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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Witte, Fritz: Der Wille zur Tat
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0027

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1$_____________ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.___________Nr. 1/2

großen Kapitels, einer königlichen Stadt, ein Idealmonument für Könige, deren
Gebeine es bergen sollte; auf der anderen Seite die in Grundriß und Aufriß wie
eine duftende mystische zarte Rose gestaltete Marienkirche; zwei vom Thema
begründete vollkommen verschiedene Raum- und Formgedanken. Dieses Leit-
motiv thematisch wie künstlerisch in diszipliniertester Einheitlichkeit in allen
zur Anwendung gelangenden Kunstäußerungen in der Kirche zu einer einzigen
großen Symphonie durchzuführen, mag für unsere Künstler schwer sein, wird
aber möglich, wenn dem Künstler die theologische Schulung zur Seite tritt.

Ungeheuer viele und reiche Fundgruben sind leider seit langem stillgelegt,
nur hin und wieder geht noch ein Einsamer hin und bricht die wertvollen Steine.
Aus der mittelalterlichen Kunst klingt alles wieder: Philosophie, Dogmatik,
Pastoral, die gesamten theologischen Disziplinen, es spiegeln sich in ihr aber auch
das geistliche Lied, die Legenden, die Mystik usf. Sind sie denn etwa unserer
Zeit mit ihrer Aufklärung nicht mehr würdig? Merkwürdig genug: in der Profan-
kunst sehen wir alle alten Sagen und Mythen, alle Histörchen und Volkslieder
wieder auftauchen zur Freude weitester Kreise. Unser christliches Volk ist ebenso
wieder reif für die volle Erfassung aller Reize der köstlichen Legenden und selbst
der apokryphen volkstümlichen Ausdeutungen der großen Geheimnisse der Re-
ligion. Wenn je, dann ist das Volk auch heute empfänglich für eine gute, von
Wärme getragene Ausdeutung der Schönheiten der Religion.

Hier will das Institut ebenfalls mit seiner Arbeit einsetzen.

Bei der Pflege des Alten soll man niemals das Neue vergessen. Auch unsere
Zeit hat eine religiöse Literatur von hoher Qualität großwerden sehen; die führen-
den, bedeutendsten Männer der Kirche, die auf den Bischofssitzen wie auf den
Lehrstühlen, Pfarrer und tieffromme Laien selbst haben uns eine in vieler Be-
ziehung einzigartige religiöse Welt erschlossen; es seien hier beispielshalber nur
genannt: v. Keppler, Faulhaber, Prohaszka, Krebs, Vögle, Schwarzmann u. v. a.
Die Beschäftigung mit diesen aus dem lebendigen Erlebnisse Gottes und seines
Gnadenreiches gewonnenen geistigen Werten würde für den christlichen Künstler
nicht nur überaus anregend und befruchtend wirken, sie würde ihm auch die
Stimmungswerte vermitteln, aus denen allem gute religiöse Kunst geboren werden
kann. Der Künstler würde wieder lernen, Christum und seine Kirche zu lieben.
Ich erinnere mich eines Essays von Henriette Brey in der Kölnischen Volks-
zeitung vom verflossenen Karfreitag: „Auch deine Seele wird ein Schwert durch-
dringen." Diese unscheinbare Niederschrift war von solch tiefer Poesie und solch
starkem ehrlichem Erleben, von solch plastischer Gestaltungsgabe getragen, daß
ich nur bedauern könnte, wenn nicht hundert kirchliche Künstler sie gelesen
hätten; ich glaube, sie alle würden nach bestem Können das dort geschriebene
Wort Bild haben werden lassen.

Seit langem haben wir uns dessen entwöhnt, das Heil des Studiums alter histo-
rischer Kunst in der Kenntnis von tausend Namen, Daten und Bildern zu er-
blicken ; es kommt uns heute in erster Linie darauf an, die gestaltenden Faktoren
der Zeitstile kennen zu lernen, die an der Arbeit gewesen sind, einen romanischen,
gotischen usf. Stil sich ablösen zu lassen; wir wollen die inneren Zusammen-
hänge erfassen, wollen wissen, welche kulturellen, welche religiösen, welche
künstlerischen Anschauungen am Werke waren. Die Kenntnis davon erschließt
uns erst auch das Erkennen des tieferen Wesens einer Kunstepoche; diese Kennt-
 
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