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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Renard, Heinrich: Der Einfluss der wirtschaftlichen Lage auf die christliche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0089

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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST Nr. 5/6

zumeist der Kirche und ihrer Kunst nicht vergessen zu werden pflegt. Das Gottes-
haus bleibt auch das ganze Mittelalter hindurch der Monumentalbau in Stadt und
Land, auch wenn die immer mächtiger und reicher werdenden Dynasten ihre
großen Burgen und Schlösser errichten, der Bürger und machtvolle Kaufherr
prächtige Wohnhäuser, Gilden- und Rathäuser in das Stadtbild einschalten.

Erst in der jüngsten Zeit, da Handel und Industrie gewaltige Reichtümer ins
Land bringen, setzt eine auffällige, der Sakralkunst Schaden bringendeVerschiebung
der Interessen ein, die um so schneller sich vollzieht, je mehr Verkehr und schließ-
lich Genußsucht unsere Sinne zu beherrschen beginnen. Zwar behält auch jetzt
noch das Gotteshaus seine Bedeutung im Bilde des Dorfes und der abseits des
Verkehrs liegenden Kleinstadt, im übrigen drängt sich aber an allen Orten das
große Rathaus mit seinem meist der inneren Begründung entbehrenden Turm,
der Schulpalast, selbst das monumental komponierte Spritzenhaus in den Vorder-
grund. Es werden schloßartige Burghäuser für die Reichspost errichtet, dem
Gotte Mammon dienen tempelartige Paläste, und der in seelische Nöte verstrickte
Angeklagte wird in großartige, Renaissance- oder Barockschlösser zur Aburteilung
geleitet. Der nervöse Reisende kauft in sakral anmutenden Hallen der Bahnhöfe,
an prächtig geschnitzten Schaltern die Fahrkarte, nimmt für einige Groschen
einen Schluck Bier in dem vornehm ausgestatteten Warteraum mit seinen kost-
baren Vertäfelungen und Gemälden, glaubt etwas monieren zu müssen, wenn
sein Fuß bei dem Betreten des Gasthauszimmers nicht in dicken Teppichen ver-
sinkt, seine Schlafstube nicht mit einem Badezimmer verbunden ist, der Wasch-
tisch nicht warmes und kaltes Wasser spendet.

Wir empfinden es kaum mehr als den Backenstreich einer Kulturlüge, wenn
wir in dem Berliner Bierpalast mit den goldschimmernden Mosaiken, einem
Schmuck, der ehedem ein Vorrecht des feierlichen Kirchenraumes und des
Thronsaales eines orientalischen Kaisers war, ein Schweinekotelett mit Sauer-
kraut essen und gleichzeitig vielleicht den Klängen aus Wagners Parsival lauschen.
So ward das niedere Materielle gleichsam zum Kult erhoben! Gleichzeitig wird
der Tanz irgendeines wilden Völkerstammes zu einem Ausdruck der Gegen-
wartskultur, und man errichtet der Tanzkunst prunkende Tempel. Zum Schluß
spielt aber das Warenhaus den Trumpf auf den Tisch des Materialismus, als es
sich zum Träger der künstlerischen Gegenwartskultur erhebt, in seinen von ersten
Künstlern erbauten und geschmückten Hallen arm und reich, gebildet und un-
gebildet, Adel und Bürger und Arbeiter an seinen Tischen versammelt, bewußt
menschliche Schwächen ausnutzend, mit der Geste des Mäzens dem Stadt- und
Straßenbild einen wertvollen Bau schenkend.

Wir dürfen nicht verkennen, daß die profane Kunst der letzten Jahrzehnte
uns manches Wertvolle gab, die christliche Kunst vieles von dauernder Bedeutung
geschaffen hat, wollen aber auch nicht übersehen, daß in unseren Kirchen viele
Werke schwacher Art, und solche stehen, deren Verfertiger nicht in die Seele
unseres gläubigen Volkes zu lesen verstanden.

Eng verbunden mit der Zunahme unseres Wohlstandes war eine starke Be-
völkerungsvermehrung, die wiederum einen erhöhten Bedarf an kirchlichen
Bauten auslösen mußte. Unsere Bischöfe, die Geistlichkeit, die Ordensleute
und das Volk haben frühzeitig diesen Bedarf erkannt und zu befriedigen verstanden,
zumal als es galt, neue aus den Zeiterscheinungen erstehende Aufgaben der Er-
 
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