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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Renard, Heinrich: Der Einfluss der wirtschaftlichen Lage auf die christliche Kunst
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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 5/6

Wenn einmal größere Instandsetzungsarbeiten am Gebäude oder an den
Stücken der inneren Einrichtung, am Gerät, an der Paramentik notwendig werden,
wird es Sache des Geistlichen sein, das eine oder andere Gememdeglied für das
Aufbringen der Kosten zu gewinnen. Warum sollte nicht einmal ein Wohl-
habender, dessen Geschenktrieb früher immer nur auf Glasgemälde und Altäre
gelenkt wurde, dafür zu gewinnen sein, der Pfarrkirche neue Türflügel im Haupt-
oder Nebenportal, die Steineinfassung des Portals oder eines Fensters, die In-
standsetzung eines Ausstattungsstückes zu übernehmen, wenn sein Name an dem
Stück der Nachwelt überliefert wird.

Entsteht bei einem Gotteshause ein Raumbedarf, so wird man zunächst
trachten, ihn durch den Einbau von Emporen zu befriedigen, wie es in den armen
Zeiten der Vergangenheit auch geschah. Es sind hierbei andere Wege einzu-
schlagen, da die im Mittelalter übliche Seitenempore den Forderungen der Gegen-
wart nicht entspricht. Erinnern wir uns, daß der Emporeeinbau nicht ausschließ-
lich eine Folge der Reformationszeit mit ihren Forderungen bezüglich Gestühl
und Bequemlichkeit war, sondern daß die Emporekirche schon zu romanischer
Zeit in den engen umwährten Städten mit ihren nicht erweiterungsfähigen Kirch-
plätzen systematisch ausgebildet wurde. Wir werden heute aus geldlicher Not
den Gedanken der Emporekirche aufgreifen müssen, da es die wohlfeilste Er-
weiterungsmöglichkeit ist.

Kann auf diesem Wege der benötigte Mehrraum nicht beschafft werden, so
ist die bauliche Erweiterung ins Auge zu fassen. Es gibt kaum eine alte Kirche,
die uns nicht das eine oder andere Erweiterungsmotiv zeigt. Auf alle diese Mög-
lichkeiten einzugehen, ist an dieser Stelle nicht angängig. Der Geistliche, dem
die heutige schwere Zeit die Last eines Bauvorhabens auf die Schultern legt, möge
aufmerksam durch die benachbarten Ortschaften wandern, in denen er recht bald
die eine oder andere, auch für sein Gotteshaus brauchbare Erweiterungsart finden
wird. Bei der Planung wird er dem Architekten als ersten Richtpunkt den der
Sparsamkeit geben und selbst daran denken, daß unnötiges Entfernen eines
Ziegelsteines, eines Sparrens, eines Ziegels vom Dach sehr kostspielige Neu-
beschaffungen herbeiführt. Wirtschaftliches Denken und konservatives Emp-
finden müssen Hand in Hand gehen.

Muß aber irgendwo in den nächsten Jahren ein Neubau durchgeführt werden,
so wird man wohl zunächst einen Notkirchenbau planen müssen, oder man wird,
will man einen Definitivbau erstellen, die schlichteste Raumform mit den wirt-
schaftlich vorteilhaftesten Baumitteln durchzuführen bemüht sein müssen. Das
Äußere spiegele klar den Innenraum wieder, aller entbehrliche Aufputz werde ver-
mieden, und es wird, wenn der Architekt in eigenem intuitiven Erleben die Forde-
rungen eines neuzeitlichen katholischen Kirchenraumes erkannt hat, er ein wirk-
licher Baukünstler ist, und daher die wirtschaftlichen Forderungen der Gegen-
wart mit den Bauweisen der Neuzeit in künstlerischer Form zu erfüllen versteht,
das Gotteshaus von heute gebaut sein. Wir erhoffen einen religiösen Aufstieg,
der neue Kräfte, neue Gedanken in der Künstlerseele auslösen wird. Die kommende
Kunst wird nicht das Ergebnis wissenschaftlichen Studiums oder das Produkt
der Arbeit am grünen Tisch sein, sondern aus dem fnschquellenden Empfinden
des tief religiösen jungen Künstlers fließen.
 
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