ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE WAFFEN, UND KOSTÜMKUNDE
NEUE FOLGE, BAND 1 (10) MÄRZ 1923 HEFT 1
DIE LIEDER NEIDHARTS VON REUENTHAL UND
IHR WERT FÜR DIE WAFFENKUNDE1)
VON E. A. GESSLER
„Nithart von Riuwental“ nimmt unter den Minne*
sängern eine ganz besondere Stellung ein. Seine
Dichtungsart stand im engsten Zusammenhang mit
dem Volksleben seiner Zeit, dem Bauernvolk lauschte
er seine Tanzweisen und Lieder ab und schuf eine
neue Kunstgattung der Dichtung, die „höfische Dorf*
poesie“. Neidhart kannte Sitten und Gebräuche,
Tracht und Bewaffnung der meist von ihm ver*
spotteten Bauern gründlich und seine Schilderungen
sind von größtem Realismus. Daher sind seine Be*
Schreibungen der einzelnen in den Liedern vorkom*
menden Waffenstücke authentische Belege für die
Waffenkunde seiner Zeit.
Als Lebenszeit des Dichters gibt uns die Literatur,
geschichte die Zeit von 1180—1250 an „und zwar
nicht sehr von diesen äußersten Grenzen abstehend“.
Soviel wir aus diesem Zeitabschnitt über die ritter*
liehe Bewaffnung wissen, so verhältnismäßig wenig
über die des gewöhnlichen Volkes. Gerade sie aber
läßt uns darauf schließen, wie die deutschen Fuß-
knechte der Staufenzeit bewaffnet waren. Neidharts
Dichtungen waren auch in der Folgezeit so beliebt,
daß er viele Nachahmer fand und schließlich bis
ins 16. Jahrhundert eine ganze Reihe unechter Lieder
unter seinem Namen mitliefen. Erst in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang es den Germa*
nisten, aus allen diesen Erzeugnissen die echten Ge*
dichte wieder herauszuschälen.
Dies muß erwähnt werden, weil in verschiedenen
Werken über mittelalterliche Waffenkunde Stellen
als in das Werk Neidharts gehörig zitiert und da*
raus falsche Schlüsse gezogen werden. Alle hier nicht
angeführten Stellen befinden sich auch nicht im
Original des Neidhart von Reuenthal. So kennt zum
Beispiel Neidhart die Halbarte nicht. Im folgenden
sollen die von der Bewaffnung berichtenden Stellen
im Wortlaut angeführt und gleichzeitig erklärt wer*
den; zuerst die Trutz*, dann die Schutzwaffen.
’) Auf Grund von M. Haupts Herstellung; zeitlich gruppiert,
mit Erklärungen und einer Einleitung von Fr. Keinz, Leipzig,
Hirzel, 1889.
Die beliebteste Waffe ist das Schwert; wir lernen
einige interessante Namen und Stellen über sein
Aussehen kennen.
S. 63. Gruppe V. Nr. 33. 41.
,,Einen vezzel zweier hende breiten
hät sin swert.“
Die Breite des Schwertgürtels ist für die erste
Hälfte des 13. Jahrhunderts stark übertrieben, be*
weist uns aber immerhin, daß die Schwertfessel eine
ziemlich breite Form hatte.
S. 68. Gruppe V. Nr. 36. 11.
„sin rümegazze kaphet zallen ziten wol hin hinder“
Wir ersehen aus dieser Stelle die Tragart des
Schwertes; da die Waffe gleichsam neugierig nach
hinten „gafft“, muß sie stark nach der wagrechten
Richtung gehangen sein. Der Name hat einen etwas
spöttischen Beigeschmack. Jedenfalls muß unter
„Gassenräumer“ eine ungewöhnlich lange Klinge
verstanden werden.
Desgl. Nr. 36. 32.
„wellents ir getelse niht vermiden,
sich mugen zwene an miner weibelruoten wol versniden.
Koeme ich zeinem tanze
däs alle giengen bi,
da wurde ein spil von hende
mit beiden ekken zuo.“
Hier wird das Schwert scherzhaft mit einem
Gerichtsstab verglichen, einer Rute, wie sie die
Gerichtsdiener und Boten, die Weibel, führten.
Vom Stab des Weibels hat sich der Ausdruck wohl
auf seine Wehr und von da auf die Bezeichnung
eines Schwertes überhaupt übertragen; es hatte zwei
Schneiden, Ecken.
S. 71. Gruppe V. Nr. 37. 50.
,, afterreif.
hät sin langes swert mit einem schibelohten knophe.“
Auch hier wird der Gebrauch einer langen Waffe
mit einem schweren, scheibenförmigen Knauf be*
stätigt, eine Form, die aus dieser Zeit in zahlreichen
1
NEUE FOLGE, BAND 1 (10) MÄRZ 1923 HEFT 1
DIE LIEDER NEIDHARTS VON REUENTHAL UND
IHR WERT FÜR DIE WAFFENKUNDE1)
VON E. A. GESSLER
„Nithart von Riuwental“ nimmt unter den Minne*
sängern eine ganz besondere Stellung ein. Seine
Dichtungsart stand im engsten Zusammenhang mit
dem Volksleben seiner Zeit, dem Bauernvolk lauschte
er seine Tanzweisen und Lieder ab und schuf eine
neue Kunstgattung der Dichtung, die „höfische Dorf*
poesie“. Neidhart kannte Sitten und Gebräuche,
Tracht und Bewaffnung der meist von ihm ver*
spotteten Bauern gründlich und seine Schilderungen
sind von größtem Realismus. Daher sind seine Be*
Schreibungen der einzelnen in den Liedern vorkom*
menden Waffenstücke authentische Belege für die
Waffenkunde seiner Zeit.
Als Lebenszeit des Dichters gibt uns die Literatur,
geschichte die Zeit von 1180—1250 an „und zwar
nicht sehr von diesen äußersten Grenzen abstehend“.
Soviel wir aus diesem Zeitabschnitt über die ritter*
liehe Bewaffnung wissen, so verhältnismäßig wenig
über die des gewöhnlichen Volkes. Gerade sie aber
läßt uns darauf schließen, wie die deutschen Fuß-
knechte der Staufenzeit bewaffnet waren. Neidharts
Dichtungen waren auch in der Folgezeit so beliebt,
daß er viele Nachahmer fand und schließlich bis
ins 16. Jahrhundert eine ganze Reihe unechter Lieder
unter seinem Namen mitliefen. Erst in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang es den Germa*
nisten, aus allen diesen Erzeugnissen die echten Ge*
dichte wieder herauszuschälen.
Dies muß erwähnt werden, weil in verschiedenen
Werken über mittelalterliche Waffenkunde Stellen
als in das Werk Neidharts gehörig zitiert und da*
raus falsche Schlüsse gezogen werden. Alle hier nicht
angeführten Stellen befinden sich auch nicht im
Original des Neidhart von Reuenthal. So kennt zum
Beispiel Neidhart die Halbarte nicht. Im folgenden
sollen die von der Bewaffnung berichtenden Stellen
im Wortlaut angeführt und gleichzeitig erklärt wer*
den; zuerst die Trutz*, dann die Schutzwaffen.
’) Auf Grund von M. Haupts Herstellung; zeitlich gruppiert,
mit Erklärungen und einer Einleitung von Fr. Keinz, Leipzig,
Hirzel, 1889.
Die beliebteste Waffe ist das Schwert; wir lernen
einige interessante Namen und Stellen über sein
Aussehen kennen.
S. 63. Gruppe V. Nr. 33. 41.
,,Einen vezzel zweier hende breiten
hät sin swert.“
Die Breite des Schwertgürtels ist für die erste
Hälfte des 13. Jahrhunderts stark übertrieben, be*
weist uns aber immerhin, daß die Schwertfessel eine
ziemlich breite Form hatte.
S. 68. Gruppe V. Nr. 36. 11.
„sin rümegazze kaphet zallen ziten wol hin hinder“
Wir ersehen aus dieser Stelle die Tragart des
Schwertes; da die Waffe gleichsam neugierig nach
hinten „gafft“, muß sie stark nach der wagrechten
Richtung gehangen sein. Der Name hat einen etwas
spöttischen Beigeschmack. Jedenfalls muß unter
„Gassenräumer“ eine ungewöhnlich lange Klinge
verstanden werden.
Desgl. Nr. 36. 32.
„wellents ir getelse niht vermiden,
sich mugen zwene an miner weibelruoten wol versniden.
Koeme ich zeinem tanze
däs alle giengen bi,
da wurde ein spil von hende
mit beiden ekken zuo.“
Hier wird das Schwert scherzhaft mit einem
Gerichtsstab verglichen, einer Rute, wie sie die
Gerichtsdiener und Boten, die Weibel, führten.
Vom Stab des Weibels hat sich der Ausdruck wohl
auf seine Wehr und von da auf die Bezeichnung
eines Schwertes überhaupt übertragen; es hatte zwei
Schneiden, Ecken.
S. 71. Gruppe V. Nr. 37. 50.
,, afterreif.
hät sin langes swert mit einem schibelohten knophe.“
Auch hier wird der Gebrauch einer langen Waffe
mit einem schweren, scheibenförmigen Knauf be*
stätigt, eine Form, die aus dieser Zeit in zahlreichen
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