ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE WAFFEN-UND ^OSTÜMKUNDE
NEUE FOLGE, BAND 1 (10) APRIL 1925 Heft 6/7
DAS MITTELALTERLICHE WURFBEIL UND VERWANDTE
WURF-WAFFEN
II. TEIL
VON WALTHER ROSE.
Das europäische mittelalterliche Wurfbeil ist be-
reits Z. H. W. K. 2, 239 ff., 355,ff. unter Beigabe von
Abbildungen der damals in den einzelnen Sammlungen
bekannten fünf Exemplare von mir eingehend be-
sprochen worden.
Um eine Wiederholung des dort beigebrachten
umfangreichen historischen Beweismaterials zu ver-
meiden, soll hier nur kurz hervorgehoben werden, daß
das Vorbild dieser seltsamen Wurfwaffe in der
Francisca der Franken während der Merovin-
gerzeit (481 751) zu erblicken ist, die als eigent-
liche National- und Lieblingswaffe dieses Volks-
stammes bezeichnet werden kann. (Abb. 1.) Die
Abb. 1. Francisca vom 7.-8. Jahrhundert, gefunden zu
Kaltenengers. German. Museum. (Demmin, S. 338, Nr. 44 Bis).
Gestalt jenes an einem ganz kurzen Holzstiele be-
festigten schmalen Eisenteiles, dessen durchschnitt-
liches Gewicht auf 550 bis 600 Gramm angegeben
wird1), beschreibt Jähns anschaulich wie folgt2):
„Die Klinge steigt vom Axthelm in flachem Bogen
aufwärts und endet in leicht ausgeschwungener
Spitze. Die schmale Schneide, nur halb so lang wie
die gesamte Axt und zuweilen ein wenig nach
!) Z. H. W. K. 1, 307.
2) Jähns: Entwicklungsgeschichte der alten Trutzwaffen
(Berlin, 1899) S. 138. Cf. auch die Abb. der Francisca bei
Jähns ebendas. Tafel III Nr. 7 u. 8, sowie das im Grabe
Childerichs I (gest. 481) gefundene Exemplar auf Tafel IV
Nr. 2, ferner in Jähns’ Atlas zur Geschichte des Kriegs-
wesens Tafel 28, Nr. 19.
Demmin: Die Kriegswaffen (4. Auf!.. Leipzig, 1893) S.
337, 338 Nr. 44, 44a, 44 bis und S. 338.
Lindenschmit: Die vaterländischen Altertümer der Fürst-
lich Hohenzollemschen Sammlungen zu Sigmaringen (Mainz,
1860) S. 15 und Tafel I Nr. 6 u. 13 u. a. m.
außen gekrümmt, ist so hoch geschwungen, daß
sogar ihre untere Spitze nicht bis zum untern
Rande der Bahn hinabreicht, wodurch vermutlich
der Schwung des Hiebes wie des Wurfes verstärkt
wird; denn die Francisca ist in erster Reihe ein
Wurfbeil. Als solches verfolgte sie ihren Weg,
indem sie sich um ihre Achse drehte und beständig
überschlug. Die Klingenlänge beträgt vom Helm bis
zur Schneide 14 bis 18 cm; letzteres Maß herrscht
bei den deutschen Funden vor.“
Gleichzeitig läßt sich das Wurfbeil auch bei den
Alemannen, Burgunden, Langobarden und
Goten nachweisen, verschwindet aber bei den Fran-
ken noch vor der Zeit Karls des Großen, um sodann
im frühen Mittelalter, wenn auch in veränderter
Form, bei den Engländern3) und besonders bei
den slavischen Völkerschaften, seit dem 14. Jahr-
hundert aber auch in Deutschland wieder auf-
zutauchen. Hier erscheint namentlich gegen Mitte
des 15. Jahrhunderts das Wurfbeil bereits ganz all-
gemein zur kriegsmäßigen Ausrüstung des Landes-
aufgebotes und gemeinen Mannes gehörig, wie dies
die schon früher ausführlich zitierten Verordnungen,
insbesondere in den Gerichten des bayerischen Wal-
des vom Jahre 1436, bei der Bewaffnung der
Nürnberger Söldner durch Heinrich Schlosser von
Bern im Jahre 1449, und die Ausschreiben Herzog
Ludwigs des Reichen von Landshut in der Degen-
berger Fehde (Dezember 1468) erkennen lassen.
Aber auch in den Städten läßt sich bei dem da-
mals allgemein üblichen Waffentragen als natürliche
Folge der allgemeinen Wehrpflicht der Gebrauch
dieser Waffe feststellen, wie aus einem Berichte
des Burkard Zink in den Städtechroniken V, S. 317
hervorgeht, wonach im Jahre 1467 zwei Männer,
3) Außer den bereits angeführten historischen Belegen
für England ist auch noch die auf einem Steinkreuz in
Schottland eingehauene Centaurenfigur zu erwählen, wel-
che in jeder Hand ein Beil hält, dessen kurzer Stiel den
Gedanken an ein Wurfbeil nahelegt oder wenigstens nicht
ausschließt. (J. Romilly Allen: The early Christian monu-
ments of Scotland [Edinburgh 1903] pag. 297 fig. 311c).
Vgl. Lenz: Mitteilungen aus der Kaiserlichen Eremitage
zu St. Petersburg (Z. H. W. K. 5, 398 u. Abb. 14).
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NEUE FOLGE, BAND 1 (10) APRIL 1925 Heft 6/7
DAS MITTELALTERLICHE WURFBEIL UND VERWANDTE
WURF-WAFFEN
II. TEIL
VON WALTHER ROSE.
Das europäische mittelalterliche Wurfbeil ist be-
reits Z. H. W. K. 2, 239 ff., 355,ff. unter Beigabe von
Abbildungen der damals in den einzelnen Sammlungen
bekannten fünf Exemplare von mir eingehend be-
sprochen worden.
Um eine Wiederholung des dort beigebrachten
umfangreichen historischen Beweismaterials zu ver-
meiden, soll hier nur kurz hervorgehoben werden, daß
das Vorbild dieser seltsamen Wurfwaffe in der
Francisca der Franken während der Merovin-
gerzeit (481 751) zu erblicken ist, die als eigent-
liche National- und Lieblingswaffe dieses Volks-
stammes bezeichnet werden kann. (Abb. 1.) Die
Abb. 1. Francisca vom 7.-8. Jahrhundert, gefunden zu
Kaltenengers. German. Museum. (Demmin, S. 338, Nr. 44 Bis).
Gestalt jenes an einem ganz kurzen Holzstiele be-
festigten schmalen Eisenteiles, dessen durchschnitt-
liches Gewicht auf 550 bis 600 Gramm angegeben
wird1), beschreibt Jähns anschaulich wie folgt2):
„Die Klinge steigt vom Axthelm in flachem Bogen
aufwärts und endet in leicht ausgeschwungener
Spitze. Die schmale Schneide, nur halb so lang wie
die gesamte Axt und zuweilen ein wenig nach
!) Z. H. W. K. 1, 307.
2) Jähns: Entwicklungsgeschichte der alten Trutzwaffen
(Berlin, 1899) S. 138. Cf. auch die Abb. der Francisca bei
Jähns ebendas. Tafel III Nr. 7 u. 8, sowie das im Grabe
Childerichs I (gest. 481) gefundene Exemplar auf Tafel IV
Nr. 2, ferner in Jähns’ Atlas zur Geschichte des Kriegs-
wesens Tafel 28, Nr. 19.
Demmin: Die Kriegswaffen (4. Auf!.. Leipzig, 1893) S.
337, 338 Nr. 44, 44a, 44 bis und S. 338.
Lindenschmit: Die vaterländischen Altertümer der Fürst-
lich Hohenzollemschen Sammlungen zu Sigmaringen (Mainz,
1860) S. 15 und Tafel I Nr. 6 u. 13 u. a. m.
außen gekrümmt, ist so hoch geschwungen, daß
sogar ihre untere Spitze nicht bis zum untern
Rande der Bahn hinabreicht, wodurch vermutlich
der Schwung des Hiebes wie des Wurfes verstärkt
wird; denn die Francisca ist in erster Reihe ein
Wurfbeil. Als solches verfolgte sie ihren Weg,
indem sie sich um ihre Achse drehte und beständig
überschlug. Die Klingenlänge beträgt vom Helm bis
zur Schneide 14 bis 18 cm; letzteres Maß herrscht
bei den deutschen Funden vor.“
Gleichzeitig läßt sich das Wurfbeil auch bei den
Alemannen, Burgunden, Langobarden und
Goten nachweisen, verschwindet aber bei den Fran-
ken noch vor der Zeit Karls des Großen, um sodann
im frühen Mittelalter, wenn auch in veränderter
Form, bei den Engländern3) und besonders bei
den slavischen Völkerschaften, seit dem 14. Jahr-
hundert aber auch in Deutschland wieder auf-
zutauchen. Hier erscheint namentlich gegen Mitte
des 15. Jahrhunderts das Wurfbeil bereits ganz all-
gemein zur kriegsmäßigen Ausrüstung des Landes-
aufgebotes und gemeinen Mannes gehörig, wie dies
die schon früher ausführlich zitierten Verordnungen,
insbesondere in den Gerichten des bayerischen Wal-
des vom Jahre 1436, bei der Bewaffnung der
Nürnberger Söldner durch Heinrich Schlosser von
Bern im Jahre 1449, und die Ausschreiben Herzog
Ludwigs des Reichen von Landshut in der Degen-
berger Fehde (Dezember 1468) erkennen lassen.
Aber auch in den Städten läßt sich bei dem da-
mals allgemein üblichen Waffentragen als natürliche
Folge der allgemeinen Wehrpflicht der Gebrauch
dieser Waffe feststellen, wie aus einem Berichte
des Burkard Zink in den Städtechroniken V, S. 317
hervorgeht, wonach im Jahre 1467 zwei Männer,
3) Außer den bereits angeführten historischen Belegen
für England ist auch noch die auf einem Steinkreuz in
Schottland eingehauene Centaurenfigur zu erwählen, wel-
che in jeder Hand ein Beil hält, dessen kurzer Stiel den
Gedanken an ein Wurfbeil nahelegt oder wenigstens nicht
ausschließt. (J. Romilly Allen: The early Christian monu-
ments of Scotland [Edinburgh 1903] pag. 297 fig. 311c).
Vgl. Lenz: Mitteilungen aus der Kaiserlichen Eremitage
zu St. Petersburg (Z. H. W. K. 5, 398 u. Abb. 14).
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