HEFT 1
FR. SOMMER: DER KLINGENHANDEL DER SOLINGER HANDWERKSBRÜDER
13
wieder zu: nach ungeheuerlichen Verbesserungen und
Veränderungen kehrt der Mensch wieder zu einfachen
Formen zurück; alle Übertreibung ist Zeichen des
Verfalles.
Die ganze grandiose Veränderung, die in den Am
sichten der Reiter im Laufe der Zeiten vor sich
ging, besonders in Bezug auf die Turniere, die doch
einst das Höchste an Tapferkeit und Reitergeist ver«
langten und die in ihrer Blütezeit auf Tod und Leben
gingen, drückt sich in den Worten jenes Herrn
Cavendysch aus: „Was kann auch endlich von einem
Menschen rühmlicher und wohlanständiger seyn, als
wann er bey irgend eines großen Fürsten Beylager
dem Ringelrennen und Carrousel auf der Rennbahn
zierlich beiwohnt!“
Es ist für den Reiter der Rokokozeit nicht zu
verwundern, wenn er auf die „Zierlichkeit“ des
Reitens überhaupt den größten Wert legt und sie
zur ausschlaggebenden Eigenschaft des guten ,,Be«
reuters“ erhebt. „Zierliche Sitzung wirkt mehr, als
alle anderen Hülfen.“ Die Beine sollen jetzt gestreckt
sein, als wenn sie „auf dem Boden ständen“. Der
Hauptunterschied im Sitz gegen früher aber ist, daß
das Gesäß sich nicht mehr gegen den hinteren Sattel«
bogen stemmen soll; der Reiter soll auf dem Spalt
sitzen und zwischen dem Körper und den Sattel«
teilen hinten und vorne soll ein einige Finger breiter
Raum sein, also daß der Körper im Sattel schwebt
und nicht mehr jede Bewegung des Pferdes mit«
macht, es vielmehr unter sich laufen läßt. (Moderne
Reitlehrer empfehlen diese Sitzart von neuem, z. B.
Lochner.) Um den seitherigen Halt wieder zu ge«
winnen, wird verlangt, daß Oberschenkel und Knie
wie „angeleimt“ im Sattel sind.
Im übrigen hat Cavendysch ganz recht, nebenbei
gesagt, wenn er es nicht für ein vernichtendes
Unheil hält, einmal vom Gaul zu fallen, „weilen meist
mehreres erfordert ein guter Bereuter zu seyn, als sich
nur veste im Sattel zu halten“. Wenn das Herunter«
fallen eine Blamage gewesen wäre, wie hätten die
Turnierer des XVI. Jahrh. leben können, die doch
mehr unterm Pferd lagen, als sie drauf saßen.
Im allgemeinen wurden im XVI. Jahrh. weit höhere
Ansprüche an die Ausdauer der Rosse gestellt, als
im XVIII.; dessen Reiter wundern sich darüber
und geben zu, daß sie den ihrigen diese Fatiguen
nicht zumuten könnten. Das XVIII. Jahrh. verlangte
von der Pferdedressur eine größere Anzahl von
„airs“, die mit der Mode, aber auch mit der An«
forderung an größere Wendigkeit zusammenhingen.
Es sieht in den Courbetten, Caprioien, im Mezzo,
Tutto und Contratempo in Serpentinen und Redop«
pires in Säulen und Mauern und in der Pirouette
die höchste Wichtigkeit, und diese soll so schnell
gedreht werden, daß der Zuschauer im Gehen kaum
das Gesicht des Reiters sehen kann.
Im XVIII. Jahrh. stellte Einer die Behauptung auf,
daß Reiten, Tanzen und Fechten nicht in einer Person
zu vereinigen sei; die Beobachtung hat es anders ge«
lehrt. Im XII. Jahrhundert war es eine normale An«
forderung an den jungen Turnierer, daß er „tags
kämpfen, nachts tanzen“ mußte, und der Freydal
lehrt, daß es im XVI. Jahrhundert ebenso gehalten
wurde; seit jener Zeit hat sich an diesen guten
Eigenschaften der Reiter nichts geändert, und daß
sie auch noch kämpfen können, haben sie im Welt«
krieg tausendmal bewiesen.
„Sitz und Sattel“ möge Anregung geben, das so
wichtige ritterliche Reiten, das grundlegend für das
Fechten ist und mit diesem in Wechselwirkung steht,
genauer kennen und das Ritter« und Reiterleben ver«
stehen zu lernen.
DER KLINGENHANDEL DER SOLINGER HANDWERKS«
BRÜDER IM 15., 16. UND 17. JAHRHUNDERT
VON FRIEDRICH SOMMER
In den bereits erschienenen Abhandlungen über
die Geschichte der Solinger Klingenindustrie ist der
Aufbau des Klingenhandels von 1400 bis 1800 so
gut wie nicht berücksichtigt. Das Hauptinteresse
wurde den Bruderschaften geschenkt und dabei meist
auf Grund älterer Quellen erwähnt, daß nur den
Schwertfegern der Handel nach fremden Ländern
gestattet war, und daß man deren Reisen ins
Ausland als nicht schadenbringend für die Erhaltung
der Handwerke ansah, da sie in die Herstellungs«
verfahren der Klingen nicht eingeweiht waren. Das
Studium dicker Aktenbände über Streitigkeiten unter
den Solinger Handwerkern, die früher vor dem
Kaiserlichen Kammergericht in Speyer, später Wetz«
lar, verhandelt wurden, und jetzt im Staatsarchiv in
Wetzlar aufbewahrt sind, spielte mir Material in
FR. SOMMER: DER KLINGENHANDEL DER SOLINGER HANDWERKSBRÜDER
13
wieder zu: nach ungeheuerlichen Verbesserungen und
Veränderungen kehrt der Mensch wieder zu einfachen
Formen zurück; alle Übertreibung ist Zeichen des
Verfalles.
Die ganze grandiose Veränderung, die in den Am
sichten der Reiter im Laufe der Zeiten vor sich
ging, besonders in Bezug auf die Turniere, die doch
einst das Höchste an Tapferkeit und Reitergeist ver«
langten und die in ihrer Blütezeit auf Tod und Leben
gingen, drückt sich in den Worten jenes Herrn
Cavendysch aus: „Was kann auch endlich von einem
Menschen rühmlicher und wohlanständiger seyn, als
wann er bey irgend eines großen Fürsten Beylager
dem Ringelrennen und Carrousel auf der Rennbahn
zierlich beiwohnt!“
Es ist für den Reiter der Rokokozeit nicht zu
verwundern, wenn er auf die „Zierlichkeit“ des
Reitens überhaupt den größten Wert legt und sie
zur ausschlaggebenden Eigenschaft des guten ,,Be«
reuters“ erhebt. „Zierliche Sitzung wirkt mehr, als
alle anderen Hülfen.“ Die Beine sollen jetzt gestreckt
sein, als wenn sie „auf dem Boden ständen“. Der
Hauptunterschied im Sitz gegen früher aber ist, daß
das Gesäß sich nicht mehr gegen den hinteren Sattel«
bogen stemmen soll; der Reiter soll auf dem Spalt
sitzen und zwischen dem Körper und den Sattel«
teilen hinten und vorne soll ein einige Finger breiter
Raum sein, also daß der Körper im Sattel schwebt
und nicht mehr jede Bewegung des Pferdes mit«
macht, es vielmehr unter sich laufen läßt. (Moderne
Reitlehrer empfehlen diese Sitzart von neuem, z. B.
Lochner.) Um den seitherigen Halt wieder zu ge«
winnen, wird verlangt, daß Oberschenkel und Knie
wie „angeleimt“ im Sattel sind.
Im übrigen hat Cavendysch ganz recht, nebenbei
gesagt, wenn er es nicht für ein vernichtendes
Unheil hält, einmal vom Gaul zu fallen, „weilen meist
mehreres erfordert ein guter Bereuter zu seyn, als sich
nur veste im Sattel zu halten“. Wenn das Herunter«
fallen eine Blamage gewesen wäre, wie hätten die
Turnierer des XVI. Jahrh. leben können, die doch
mehr unterm Pferd lagen, als sie drauf saßen.
Im allgemeinen wurden im XVI. Jahrh. weit höhere
Ansprüche an die Ausdauer der Rosse gestellt, als
im XVIII.; dessen Reiter wundern sich darüber
und geben zu, daß sie den ihrigen diese Fatiguen
nicht zumuten könnten. Das XVIII. Jahrh. verlangte
von der Pferdedressur eine größere Anzahl von
„airs“, die mit der Mode, aber auch mit der An«
forderung an größere Wendigkeit zusammenhingen.
Es sieht in den Courbetten, Caprioien, im Mezzo,
Tutto und Contratempo in Serpentinen und Redop«
pires in Säulen und Mauern und in der Pirouette
die höchste Wichtigkeit, und diese soll so schnell
gedreht werden, daß der Zuschauer im Gehen kaum
das Gesicht des Reiters sehen kann.
Im XVIII. Jahrh. stellte Einer die Behauptung auf,
daß Reiten, Tanzen und Fechten nicht in einer Person
zu vereinigen sei; die Beobachtung hat es anders ge«
lehrt. Im XII. Jahrhundert war es eine normale An«
forderung an den jungen Turnierer, daß er „tags
kämpfen, nachts tanzen“ mußte, und der Freydal
lehrt, daß es im XVI. Jahrhundert ebenso gehalten
wurde; seit jener Zeit hat sich an diesen guten
Eigenschaften der Reiter nichts geändert, und daß
sie auch noch kämpfen können, haben sie im Welt«
krieg tausendmal bewiesen.
„Sitz und Sattel“ möge Anregung geben, das so
wichtige ritterliche Reiten, das grundlegend für das
Fechten ist und mit diesem in Wechselwirkung steht,
genauer kennen und das Ritter« und Reiterleben ver«
stehen zu lernen.
DER KLINGENHANDEL DER SOLINGER HANDWERKS«
BRÜDER IM 15., 16. UND 17. JAHRHUNDERT
VON FRIEDRICH SOMMER
In den bereits erschienenen Abhandlungen über
die Geschichte der Solinger Klingenindustrie ist der
Aufbau des Klingenhandels von 1400 bis 1800 so
gut wie nicht berücksichtigt. Das Hauptinteresse
wurde den Bruderschaften geschenkt und dabei meist
auf Grund älterer Quellen erwähnt, daß nur den
Schwertfegern der Handel nach fremden Ländern
gestattet war, und daß man deren Reisen ins
Ausland als nicht schadenbringend für die Erhaltung
der Handwerke ansah, da sie in die Herstellungs«
verfahren der Klingen nicht eingeweiht waren. Das
Studium dicker Aktenbände über Streitigkeiten unter
den Solinger Handwerkern, die früher vor dem
Kaiserlichen Kammergericht in Speyer, später Wetz«
lar, verhandelt wurden, und jetzt im Staatsarchiv in
Wetzlar aufbewahrt sind, spielte mir Material in