HEFT 2/3 OTMAR BARON POTIER: ZUR GESCHICHTE DER MORGENLÄNDISCHEN REITERPAUKE
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Herstellung beseitigt werden möchte. Diesem
Wunsche wird sich ein jeder, der Sinn für die Ge-
schichte des Mittelalters hat, anschließen müssen. Wie
will man überhaupt die Kämpfe dieser Zeit ver-
stehen, vor allem den Städtekrieg richtig beurteilen,
wenn man die Kampfmittel, deren Leistungsfähigkeit
nicht kennt? Dufour und Napoleon haben für eine
derartige Wiederherstellung den richtigen Weg ge-
wiesen. Für den Wiederaufbau der Blide ist durch
die seither bekannt gewordenen burgundischen Rech-
nungen die sichere Grundlage geschaffen. Das He-
belgeschütz ist schließlich nichts weiter als ein Ap-
parat zur Erkenntnis und Bemessung der Hebelge-
setze, der - - in kleiner Form — in jedem wissen-
schaftlichen physikalischen Kabinette einen Platz zu
finden berechtigt ist. Möge einer der vielen früher
praktisch tätigen Offiziere, die sich jetzt auf den Hoch-
schulen dem Studium der reinen Wissenschaften
mit solchem Eifer hingeben, die kriegsgeschicht-
lich so bedeutsamen Fragen der Blide in sein be-
sonderes Arbeitsgebiet einbeziehen, möge eine junge
Geisteskraft, die den Abschluß der Studien durch die
Erlangung der Doktorwürde zu beweisen gewillt ist,
die Versuche mit der Blide aufnehmen und zu einem
vollen Abschlüsse bringen. Die Geldmittel hierfür
werden sich dann, wenn der geistige Arbeiter vor-
handen sein wird, sicher finden. Stehen auf der
Saalburg die Geschütze der antiken Artillerie als
ein Geschenk deutscher Geistesarbeit an die Welt-
wissenschaft, so möge dann später die Marienburg,
der herrliche mittelalterliche Wehrbau, der neuer-
standenen Artillerie des frühen Mittelalters ihren
Schutz angedeihen lassen, die Blide dort ihre Auf-
erstehung und Aufstellung finden.
ZUR GESCHICHTE DER MORGENLÄNDISCHEN REITERPAUKE
VON OTMAR BARON POTIER
Den meisten Freunden alter kriegerischer Rüstung
dürften die kleinen Handpauken bekannt sein, wel-
che der abendländischen Kavallerie bei ihren Zu-
sammenstößen mit türkischer Reiterei so lästig ge-
worden waren.
Diese Pauken — türkisch tabl, zum Unterschied
von der großen Heerpauke kus harbi — haben
einen aus Eisen-, Kupfer- oder Messingblech ge-
schlagenen Kessel von der Gestalt einer am Stielende
abgeschnittenen Birne. Der Durchmesser dieser 14
bis 25 cm hohen Kessel schwankt zwischen 18 und
30 cm. Die Leibung des Kessels ziert mitunter das
Wellenrankenmotiv zwischen Randleisten, in Ätz-
malerei oder in Gravierung ausgeführt; sehr selten
ist der Kessel gänzlich beledert, dann aber meist
mit Lackfarben in feinen Mustern überaus ge-
schmackvoll bemalt. Das Paukenfell ist entweder
angenietet, oder, oft recht kunstreich, an den
Kessel angeschnürt, gar nicht selten selbst grün
gebeizt. Perverse Romantik ließ gern das Fell
an dieser Art von Handpauken aus der Haut
geschundener Alenschen, meist von christlichen
Mönchen, gegerbt sein. Eine derartige mit falscher
Romantik umsponnene Pauke bewahrt das Histo-
rische Museum zu Dresden1). In dem gegenwärtigen
U Die Mitteilung im Führer 1899 S. 181, sie sei das Ge-
schenk des Sultans an Äugust d. St., beruht auf einem
Zustand des Stückes konnten auch Fachleute nicht
mehr feststellen, ob die Haut vom Menschen oder
vom — Schwein herrührt. Das gegen feuchtes
Wetter sehr empfindliche Paukenfell schützt häufig
ein lederner, oft ebenfalls sehr schön gelackter
Regendeckel. Dieser gibt uns vielleicht einen Fin-
gerzeig für die Heimat der Truppe, bei welcher
diese oder jene Pauke in Verwendung gestanden
hatte. Aus den regenarmen Gegenden Mittelasiens
stammende Reitergeschwader werden diese Schutz-
hüllen leicht entbehrt haben; dagegen werden die
in der europäischen Türkei, in Polen stehenden irre-
gulären Reiter den Nutzen dieser Regendeckel bald
erkannt haben.
Ösen aus Metall, durch welche ein Riemen ge-
zogen wurde, oder auch nur ein aus Leder oder
Hanfschnur geflochtener Tragring hielten diese bis
zu 800 Gramm schweren Pauken rechts am Vorder-
bogen des Sattels fest. Dem gleichen Zweck dient
der drehbare Ring am stumpfen Boden des Schall-
kessels; ein durch diesen Ring gezogenes Riem-
chen gab der Pauke die zum Schlagen des Felles
handlichste Lage.
Derartige Pauken führte der islamitische, tarta-
Irrtum. Friedrich August II. hat sie vielmehr in der Türkei
gekauft.
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Herstellung beseitigt werden möchte. Diesem
Wunsche wird sich ein jeder, der Sinn für die Ge-
schichte des Mittelalters hat, anschließen müssen. Wie
will man überhaupt die Kämpfe dieser Zeit ver-
stehen, vor allem den Städtekrieg richtig beurteilen,
wenn man die Kampfmittel, deren Leistungsfähigkeit
nicht kennt? Dufour und Napoleon haben für eine
derartige Wiederherstellung den richtigen Weg ge-
wiesen. Für den Wiederaufbau der Blide ist durch
die seither bekannt gewordenen burgundischen Rech-
nungen die sichere Grundlage geschaffen. Das He-
belgeschütz ist schließlich nichts weiter als ein Ap-
parat zur Erkenntnis und Bemessung der Hebelge-
setze, der - - in kleiner Form — in jedem wissen-
schaftlichen physikalischen Kabinette einen Platz zu
finden berechtigt ist. Möge einer der vielen früher
praktisch tätigen Offiziere, die sich jetzt auf den Hoch-
schulen dem Studium der reinen Wissenschaften
mit solchem Eifer hingeben, die kriegsgeschicht-
lich so bedeutsamen Fragen der Blide in sein be-
sonderes Arbeitsgebiet einbeziehen, möge eine junge
Geisteskraft, die den Abschluß der Studien durch die
Erlangung der Doktorwürde zu beweisen gewillt ist,
die Versuche mit der Blide aufnehmen und zu einem
vollen Abschlüsse bringen. Die Geldmittel hierfür
werden sich dann, wenn der geistige Arbeiter vor-
handen sein wird, sicher finden. Stehen auf der
Saalburg die Geschütze der antiken Artillerie als
ein Geschenk deutscher Geistesarbeit an die Welt-
wissenschaft, so möge dann später die Marienburg,
der herrliche mittelalterliche Wehrbau, der neuer-
standenen Artillerie des frühen Mittelalters ihren
Schutz angedeihen lassen, die Blide dort ihre Auf-
erstehung und Aufstellung finden.
ZUR GESCHICHTE DER MORGENLÄNDISCHEN REITERPAUKE
VON OTMAR BARON POTIER
Den meisten Freunden alter kriegerischer Rüstung
dürften die kleinen Handpauken bekannt sein, wel-
che der abendländischen Kavallerie bei ihren Zu-
sammenstößen mit türkischer Reiterei so lästig ge-
worden waren.
Diese Pauken — türkisch tabl, zum Unterschied
von der großen Heerpauke kus harbi — haben
einen aus Eisen-, Kupfer- oder Messingblech ge-
schlagenen Kessel von der Gestalt einer am Stielende
abgeschnittenen Birne. Der Durchmesser dieser 14
bis 25 cm hohen Kessel schwankt zwischen 18 und
30 cm. Die Leibung des Kessels ziert mitunter das
Wellenrankenmotiv zwischen Randleisten, in Ätz-
malerei oder in Gravierung ausgeführt; sehr selten
ist der Kessel gänzlich beledert, dann aber meist
mit Lackfarben in feinen Mustern überaus ge-
schmackvoll bemalt. Das Paukenfell ist entweder
angenietet, oder, oft recht kunstreich, an den
Kessel angeschnürt, gar nicht selten selbst grün
gebeizt. Perverse Romantik ließ gern das Fell
an dieser Art von Handpauken aus der Haut
geschundener Alenschen, meist von christlichen
Mönchen, gegerbt sein. Eine derartige mit falscher
Romantik umsponnene Pauke bewahrt das Histo-
rische Museum zu Dresden1). In dem gegenwärtigen
U Die Mitteilung im Führer 1899 S. 181, sie sei das Ge-
schenk des Sultans an Äugust d. St., beruht auf einem
Zustand des Stückes konnten auch Fachleute nicht
mehr feststellen, ob die Haut vom Menschen oder
vom — Schwein herrührt. Das gegen feuchtes
Wetter sehr empfindliche Paukenfell schützt häufig
ein lederner, oft ebenfalls sehr schön gelackter
Regendeckel. Dieser gibt uns vielleicht einen Fin-
gerzeig für die Heimat der Truppe, bei welcher
diese oder jene Pauke in Verwendung gestanden
hatte. Aus den regenarmen Gegenden Mittelasiens
stammende Reitergeschwader werden diese Schutz-
hüllen leicht entbehrt haben; dagegen werden die
in der europäischen Türkei, in Polen stehenden irre-
gulären Reiter den Nutzen dieser Regendeckel bald
erkannt haben.
Ösen aus Metall, durch welche ein Riemen ge-
zogen wurde, oder auch nur ein aus Leder oder
Hanfschnur geflochtener Tragring hielten diese bis
zu 800 Gramm schweren Pauken rechts am Vorder-
bogen des Sattels fest. Dem gleichen Zweck dient
der drehbare Ring am stumpfen Boden des Schall-
kessels; ein durch diesen Ring gezogenes Riem-
chen gab der Pauke die zum Schlagen des Felles
handlichste Lage.
Derartige Pauken führte der islamitische, tarta-
Irrtum. Friedrich August II. hat sie vielmehr in der Türkei
gekauft.
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