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PAUL POST: HERKUNFT UND WESEN DER SCHAUBE
BAND 1
Ein weiteres Charakteristikum der Schaube, den
Arm nicht durch das Ärmelloch, sondern einen
Längsschlitz im Ärmel zu stecken, so daß derSchau-
benärmel zur Hälfte hinten herabhängt, ist von
Hause aus keineswegs eine Eigentümlichkeit nur
der Schaube, sondern im 2. Drittel des 15. Jahr-
hunderts durchaus allgemein. Bereits im 2. Jahr-
zehnt des Jahrhunderts h-atte sich zunächst am lan-
gen Sackärmel, später allgemein bei, allen Oberge-
wändern ein Schlitz herausgebildet, der gelegentlich
zum Durchstecken eines oder beider Arme benutzt
wurde. Bei der Schaube wird nun diese Tragweise
zugleich mit dem Öffnen des Rocks dem legeren
Charakter des Gewandes entsprechend zur Regel.
Das Offentragen der Schaube führt im Laufe des
16. Jahrhunderts häufig noch zu einer wichtigen Er-
gänzung dieser Tracht, die das bisher einfache Pro-
blem einigermaßen kompliziert und, wie wir glau-
ben, zu der verbreiteten und irrigen Vorstel-
lung, die Schaube sei ein Mantel, beigetragen hat.
Wir wählen zum Ausgangspunkt das Bildnis Hein-
richs VIII. im Besitze des Herzogs von Devonshire in
Chatsworth (Tafel IV). Obwohl nur eine alte Kopie
nach Holbeins verloren gegangenem Wandgemälde im
Schloß Whitehall von 1537, liefert das augenschein-
lich sehr getreue Nachbild, dessen kostümliche Ex-
aktheit sich am erhaltenen Originalkarton kontrol-
lieren läßt, eine ausgezeichnete Vorstellung von der
Pracht, Eleganz und Tragweise der königlichen Gar-
derobe und ist wohl wert, hier als Kostümtafel vor-
geführt zu werden.
Unter einer bis zum Knie verkürzten Schaube2)
trägt der König zunächst einmal ein reich gestick-
tes, geschlitztes Untergewand, dessen Brust vorn
sichtbar wird und dessen Ärmel, durch die Schlitze
des herabhängenden Schaubenärmels gesteckt, die
Arme bedecken. Durch die Schlitzungen an Brust und
Ärmel hindurch wird das Hemd sichtbar. Es handelt
sich also um das Wams. Zwischen Wams und
Schaube aber ist noch ein drittes, augenscheinlich
ärmelloses Gewand eingeschaltet mit tiefem, brei-
tem Brustausschnitt, dessen seitlicher schmaler Rand
bei genauem Zusehn zwischen Schaube und Wams
sichtbar wird, und dem vor allem der von der Muste-
rung des Wamses abweichende Schoß angehört.
Zur Erklärung dieses eingeschobenen Schoßge-
wandes ist vom Wams auszugehn. Diesem fällt be-
kanntlich vor allem die wichtige Funktion zu, zur
Befestigung der Hose zu dienen, die am unteren Rande
2) Zwei Originalschauben von verwandtem Schnitt aus
dem Historischen Museum in Dresden sind in der Z. H.
W. K. 9 auf Alte Trachten Taf. I abgebildet.
des Wamses festgenestelt wird. Aus diesem Grunde
endet das Wams stets gerade abschneidend in Taillen-
höhe, anstoßend an den oberen Hosenrand, mit dem
es verschnürt wird. Diese Verschnürung ist daher bei
offener Schaube stets zu sehn. Liegt nun auch dem
ganz bewußt auf die saloppe Landsknechtstracht
eingestellten Kostüm jener Epoche jede Verhüllung
intimer Gewänder man denke an die Entwicklung
des Hosenlatzes im allgemeinen durchaus fern,
so mag doch für besondere Gelegenheiten eine ge-
Abb. 8. Jan Scorel. Cornelisz Aernts van der Dussen. 1550—1551. Berlin,
K. Fr.-Mus.
wisse Zurückhaltung angemessen erschienen sein.
Jedenfalls glauben wir, daß aus diesen oder ähn-
lichen ästhetischen Regungen das beschriebene
Schoßgewand eingeschoben ist, dessen tiefer Brust-
ausschnitt ja aufs deutlichste zeigt, worauf es vor
allen1 ankommt, nämlich auf den Schoß, der die
Verschnürung von Wams und Hose verdeckt, ähn-
lich wie die moderne Weste bei offenem Rock den
oberen Hosenrand und die Hosenträger.
Die Analyse des Kostüms ist nun freilich nicht
in allen Fällen so klar und offensichtlich, wie bei
dem beschriebenen Bildnis Heinrichs VIII. Z. B. auf
dem Berliner Scorel-Bildnis des Cornelis Aernts von
1550 (Abb. 8) bedeckt das Schoßgewand unter der
PAUL POST: HERKUNFT UND WESEN DER SCHAUBE
BAND 1
Ein weiteres Charakteristikum der Schaube, den
Arm nicht durch das Ärmelloch, sondern einen
Längsschlitz im Ärmel zu stecken, so daß derSchau-
benärmel zur Hälfte hinten herabhängt, ist von
Hause aus keineswegs eine Eigentümlichkeit nur
der Schaube, sondern im 2. Drittel des 15. Jahr-
hunderts durchaus allgemein. Bereits im 2. Jahr-
zehnt des Jahrhunderts h-atte sich zunächst am lan-
gen Sackärmel, später allgemein bei, allen Oberge-
wändern ein Schlitz herausgebildet, der gelegentlich
zum Durchstecken eines oder beider Arme benutzt
wurde. Bei der Schaube wird nun diese Tragweise
zugleich mit dem Öffnen des Rocks dem legeren
Charakter des Gewandes entsprechend zur Regel.
Das Offentragen der Schaube führt im Laufe des
16. Jahrhunderts häufig noch zu einer wichtigen Er-
gänzung dieser Tracht, die das bisher einfache Pro-
blem einigermaßen kompliziert und, wie wir glau-
ben, zu der verbreiteten und irrigen Vorstel-
lung, die Schaube sei ein Mantel, beigetragen hat.
Wir wählen zum Ausgangspunkt das Bildnis Hein-
richs VIII. im Besitze des Herzogs von Devonshire in
Chatsworth (Tafel IV). Obwohl nur eine alte Kopie
nach Holbeins verloren gegangenem Wandgemälde im
Schloß Whitehall von 1537, liefert das augenschein-
lich sehr getreue Nachbild, dessen kostümliche Ex-
aktheit sich am erhaltenen Originalkarton kontrol-
lieren läßt, eine ausgezeichnete Vorstellung von der
Pracht, Eleganz und Tragweise der königlichen Gar-
derobe und ist wohl wert, hier als Kostümtafel vor-
geführt zu werden.
Unter einer bis zum Knie verkürzten Schaube2)
trägt der König zunächst einmal ein reich gestick-
tes, geschlitztes Untergewand, dessen Brust vorn
sichtbar wird und dessen Ärmel, durch die Schlitze
des herabhängenden Schaubenärmels gesteckt, die
Arme bedecken. Durch die Schlitzungen an Brust und
Ärmel hindurch wird das Hemd sichtbar. Es handelt
sich also um das Wams. Zwischen Wams und
Schaube aber ist noch ein drittes, augenscheinlich
ärmelloses Gewand eingeschaltet mit tiefem, brei-
tem Brustausschnitt, dessen seitlicher schmaler Rand
bei genauem Zusehn zwischen Schaube und Wams
sichtbar wird, und dem vor allem der von der Muste-
rung des Wamses abweichende Schoß angehört.
Zur Erklärung dieses eingeschobenen Schoßge-
wandes ist vom Wams auszugehn. Diesem fällt be-
kanntlich vor allem die wichtige Funktion zu, zur
Befestigung der Hose zu dienen, die am unteren Rande
2) Zwei Originalschauben von verwandtem Schnitt aus
dem Historischen Museum in Dresden sind in der Z. H.
W. K. 9 auf Alte Trachten Taf. I abgebildet.
des Wamses festgenestelt wird. Aus diesem Grunde
endet das Wams stets gerade abschneidend in Taillen-
höhe, anstoßend an den oberen Hosenrand, mit dem
es verschnürt wird. Diese Verschnürung ist daher bei
offener Schaube stets zu sehn. Liegt nun auch dem
ganz bewußt auf die saloppe Landsknechtstracht
eingestellten Kostüm jener Epoche jede Verhüllung
intimer Gewänder man denke an die Entwicklung
des Hosenlatzes im allgemeinen durchaus fern,
so mag doch für besondere Gelegenheiten eine ge-
Abb. 8. Jan Scorel. Cornelisz Aernts van der Dussen. 1550—1551. Berlin,
K. Fr.-Mus.
wisse Zurückhaltung angemessen erschienen sein.
Jedenfalls glauben wir, daß aus diesen oder ähn-
lichen ästhetischen Regungen das beschriebene
Schoßgewand eingeschoben ist, dessen tiefer Brust-
ausschnitt ja aufs deutlichste zeigt, worauf es vor
allen1 ankommt, nämlich auf den Schoß, der die
Verschnürung von Wams und Hose verdeckt, ähn-
lich wie die moderne Weste bei offenem Rock den
oberen Hosenrand und die Hosenträger.
Die Analyse des Kostüms ist nun freilich nicht
in allen Fällen so klar und offensichtlich, wie bei
dem beschriebenen Bildnis Heinrichs VIII. Z. B. auf
dem Berliner Scorel-Bildnis des Cornelis Aernts von
1550 (Abb. 8) bedeckt das Schoßgewand unter der