HEFT 2/3
FRITZ RUMPF: STEPPKLEIDER DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS
65
leg anführen. Auf dem Blatte 32 des von Albert
Frisch in Berlin 1886 herausgegebenen Werkes:
Antoine Watteau. Gemälde und Zeichnungen, sieht
man an einer halb von hinten gezeigten Contouche
einen Seitenschlitz, der so tief sitzt, daß er nur ein
Taschenschlitz sein kann. Ob sich darüber noch ein
Gurtschlitz befindet, das läßt sich nicht erkennen,
es ist aber zum mindesten nicht unwahrscheinlich.
Ein überaus wertvolles Belegstück für die Seiten-
schlitze der Contouche und ihre Verwendung liefert
aber das Hamburger Kleid, eines der eingangs ge-
nannten Steppkleider (Abb. 1), die Ausgangspunkt
und Gegenstand dieser Untersuchung bilden und zu
denen wir nunmehr zurückkehren. Das Hamburger
Kleid stellt die Form eines Überziehkleidungs-
stücks vor, das während und nach der Con-
touche im Gebrauch war. Es besteht aus einer
trichterförmigen, weiten Jacke mit halblangen Är-
meln, und einem weiten Rock, aus gleichem Stoff,
wie die Jacke. Eine solche Jacke nannte man am
Beginn des achtzehnten Jahrhunderts auf franzö-
sisch casaquin, auf deutsch Kosäcklein. Der Name
stammt von der Casaque, einem kaftanartigen, bis
zur Hälfte des Unterschenkel reichenden Kittel, wie
ihn die Kosacken trugen, und wie er auch in Europa
in der Bauerntracht und der nach dieser gebildeten
Soldatenkleidung vorkam. Die Casaque unterschied
sich von der Contouche nur darin, daß sie nicht bis
auf die Erde reichte. Nichts hindert die Annahme,
daß auch die Casaque neben der Contouche als Mor-
gengewand getragen wurde. Der Casaquin ist weiter
nichts als eine bis auf die Hälfte der Oberschenkel
verkürzte Casaque. Bei Racinet 369, 5 ist ein Casa-
quinkostüm abgebildet, das, abgesehen von etwas
weiteren Ärmeln, durchaus dem Hamburger Kleide
gleicht. Nur ist es nicht gesteppt. Die taillenlose
Form der Casaquinjacke war nicht in allen Fällen
angebracht. Wenn eine Schürze angelegt werden
soll, oder wenn wirksamer Schutz vor Kälte ge-
wünscht wird, ist sie hinderlich oder unzweckmäßig.
So gab es denn, neben dem weiten, offenen Casa-
quin, auch einen geschlossenen, an der Taille zu-
sammengezogenen, wie er bei Racinet 369, 7 zu
sehen ist. Eine gelegentliche Gürtung statt der
dauernden Zusammenraffung tat die gleichen
Dienste und eine Gürtung, die sich nur auf das
Vorderteil des Casaquins erstreckte, war ebenso nahe-
liegend, wie bei der Contouche. Der zweite dicht
unter dem Gürtungsschlitz liegende Taschenschlitz,
wie ihn die Contouche aufwies, war bei dem kür-
zeren Casaquin überflüssig. Um in die, unter dem
Rock angebrachten Taschen greifen zu können, waren
Schlitze dicht am oberen Rande des Rockes sach-
gemäß.
In dem Hamburger Kleid finden sich so-
wohl Jackenschlitze für die Gürtung, wie auch
Rockschlitze für die Tasche. Dieses Kostüm
bildet also eine treffliche Gelegenheit, die, bis-
her nirgends mit Sicherheit nachzuweisende Gür-
tung der Vorderseite eines Casaquins auszu-
führen, und das Ergebnis dieses Vorgangs festzu-
stellen. Herr Dr. Grohne hat im Hamburger Muse-
um diese Gürtung vorgenommen und hat, dankens-
werterweise, Aufnahme des Kostüms in gegürte-
tem (Abb. 2) und ungegürtetem Zustande (Abb. 1)
zur Verfügung gestellt, die besser als alle Worte die
vorstehenden Ausführungen erläutern. Der Anblick
des gegürteten Casaquins könnte die Vermutung
aufkommen lassen, daß eine solche Gürtung einst
den ersten Anstoß für die bei Contouchen, Roben
und Jacken so sehr beliebte Rückenfalte gaben.
Die Seitenschlitze bieten auch eine nahezu sichere
Gewähr für die Echtheit des Hamburger Kostüms
und ferner der Berliner Steppkleider, die sich dem
Hamburger Kleide eng anschließen. Ein Fälscher
konnte kaum auf den Gedanken verfallen, eine Vor-
richtung, von der bisher in der Kostümgeschichte
noch gar nicht die Rede war, ganz ohne Not anzu-
bringen. Der ungeschützte Casaquin wäre nicht
weniger glaubhaft gewesen als der geschlitzte.
Schließlich läßt sich aus der Entstehungszeit des
Dumontschen Bildes, die auf 1725—1730 anzusetzen
sein dürfte, auch die Datierung des Hamburger
Kostüms folgern, dessen Casaquin ziemlich genau
der Contouche des Bildes entspricht, nur daß an
dieser eine Rückenfalte schon im ungegürteten Zu-
stand vorhanden ist, während eine solche Falte bei
dem Steppkleid sich erst aus der Gürtung ergibt.
Die Entstehung des Hamburger Kleides dürfte so-
mit auch um 1730, spätestens aber um 1740 -50
anzusetzen sein. Es ist wohl als ältestes der sämt-
lichen erhaltenen Steppkleider anzusprechen. Gleich-
altrig mit ihm könnte vielleicht das weiße Berliner
Steppkleid sein, das einen Unterrock mit einem
Corsage, d. h. dem oben schon einmal erwähnten
Schnürleibchen mit halblangen Ärmeln, darstellt,
eine Tracht, die ganz gewiß ursprünglich eine Haus-
tracht war, wie Casaque und Casaquin, nur eine
noch heimlichere, denn ein Corset oder Corsage
konnte wohl unter dem Schlender oder der Jacke
getragen werden, oder ohne beide, aber niemals über
ihnen. Betrachtet man jedoch die überaus zierliche
und reiche Steppstichmusterung dieses Kleides, dann
muß man sich sagen, daß es zur Zeit seines Ge-
9
FRITZ RUMPF: STEPPKLEIDER DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS
65
leg anführen. Auf dem Blatte 32 des von Albert
Frisch in Berlin 1886 herausgegebenen Werkes:
Antoine Watteau. Gemälde und Zeichnungen, sieht
man an einer halb von hinten gezeigten Contouche
einen Seitenschlitz, der so tief sitzt, daß er nur ein
Taschenschlitz sein kann. Ob sich darüber noch ein
Gurtschlitz befindet, das läßt sich nicht erkennen,
es ist aber zum mindesten nicht unwahrscheinlich.
Ein überaus wertvolles Belegstück für die Seiten-
schlitze der Contouche und ihre Verwendung liefert
aber das Hamburger Kleid, eines der eingangs ge-
nannten Steppkleider (Abb. 1), die Ausgangspunkt
und Gegenstand dieser Untersuchung bilden und zu
denen wir nunmehr zurückkehren. Das Hamburger
Kleid stellt die Form eines Überziehkleidungs-
stücks vor, das während und nach der Con-
touche im Gebrauch war. Es besteht aus einer
trichterförmigen, weiten Jacke mit halblangen Är-
meln, und einem weiten Rock, aus gleichem Stoff,
wie die Jacke. Eine solche Jacke nannte man am
Beginn des achtzehnten Jahrhunderts auf franzö-
sisch casaquin, auf deutsch Kosäcklein. Der Name
stammt von der Casaque, einem kaftanartigen, bis
zur Hälfte des Unterschenkel reichenden Kittel, wie
ihn die Kosacken trugen, und wie er auch in Europa
in der Bauerntracht und der nach dieser gebildeten
Soldatenkleidung vorkam. Die Casaque unterschied
sich von der Contouche nur darin, daß sie nicht bis
auf die Erde reichte. Nichts hindert die Annahme,
daß auch die Casaque neben der Contouche als Mor-
gengewand getragen wurde. Der Casaquin ist weiter
nichts als eine bis auf die Hälfte der Oberschenkel
verkürzte Casaque. Bei Racinet 369, 5 ist ein Casa-
quinkostüm abgebildet, das, abgesehen von etwas
weiteren Ärmeln, durchaus dem Hamburger Kleide
gleicht. Nur ist es nicht gesteppt. Die taillenlose
Form der Casaquinjacke war nicht in allen Fällen
angebracht. Wenn eine Schürze angelegt werden
soll, oder wenn wirksamer Schutz vor Kälte ge-
wünscht wird, ist sie hinderlich oder unzweckmäßig.
So gab es denn, neben dem weiten, offenen Casa-
quin, auch einen geschlossenen, an der Taille zu-
sammengezogenen, wie er bei Racinet 369, 7 zu
sehen ist. Eine gelegentliche Gürtung statt der
dauernden Zusammenraffung tat die gleichen
Dienste und eine Gürtung, die sich nur auf das
Vorderteil des Casaquins erstreckte, war ebenso nahe-
liegend, wie bei der Contouche. Der zweite dicht
unter dem Gürtungsschlitz liegende Taschenschlitz,
wie ihn die Contouche aufwies, war bei dem kür-
zeren Casaquin überflüssig. Um in die, unter dem
Rock angebrachten Taschen greifen zu können, waren
Schlitze dicht am oberen Rande des Rockes sach-
gemäß.
In dem Hamburger Kleid finden sich so-
wohl Jackenschlitze für die Gürtung, wie auch
Rockschlitze für die Tasche. Dieses Kostüm
bildet also eine treffliche Gelegenheit, die, bis-
her nirgends mit Sicherheit nachzuweisende Gür-
tung der Vorderseite eines Casaquins auszu-
führen, und das Ergebnis dieses Vorgangs festzu-
stellen. Herr Dr. Grohne hat im Hamburger Muse-
um diese Gürtung vorgenommen und hat, dankens-
werterweise, Aufnahme des Kostüms in gegürte-
tem (Abb. 2) und ungegürtetem Zustande (Abb. 1)
zur Verfügung gestellt, die besser als alle Worte die
vorstehenden Ausführungen erläutern. Der Anblick
des gegürteten Casaquins könnte die Vermutung
aufkommen lassen, daß eine solche Gürtung einst
den ersten Anstoß für die bei Contouchen, Roben
und Jacken so sehr beliebte Rückenfalte gaben.
Die Seitenschlitze bieten auch eine nahezu sichere
Gewähr für die Echtheit des Hamburger Kostüms
und ferner der Berliner Steppkleider, die sich dem
Hamburger Kleide eng anschließen. Ein Fälscher
konnte kaum auf den Gedanken verfallen, eine Vor-
richtung, von der bisher in der Kostümgeschichte
noch gar nicht die Rede war, ganz ohne Not anzu-
bringen. Der ungeschützte Casaquin wäre nicht
weniger glaubhaft gewesen als der geschlitzte.
Schließlich läßt sich aus der Entstehungszeit des
Dumontschen Bildes, die auf 1725—1730 anzusetzen
sein dürfte, auch die Datierung des Hamburger
Kostüms folgern, dessen Casaquin ziemlich genau
der Contouche des Bildes entspricht, nur daß an
dieser eine Rückenfalte schon im ungegürteten Zu-
stand vorhanden ist, während eine solche Falte bei
dem Steppkleid sich erst aus der Gürtung ergibt.
Die Entstehung des Hamburger Kleides dürfte so-
mit auch um 1730, spätestens aber um 1740 -50
anzusetzen sein. Es ist wohl als ältestes der sämt-
lichen erhaltenen Steppkleider anzusprechen. Gleich-
altrig mit ihm könnte vielleicht das weiße Berliner
Steppkleid sein, das einen Unterrock mit einem
Corsage, d. h. dem oben schon einmal erwähnten
Schnürleibchen mit halblangen Ärmeln, darstellt,
eine Tracht, die ganz gewiß ursprünglich eine Haus-
tracht war, wie Casaque und Casaquin, nur eine
noch heimlichere, denn ein Corset oder Corsage
konnte wohl unter dem Schlender oder der Jacke
getragen werden, oder ohne beide, aber niemals über
ihnen. Betrachtet man jedoch die überaus zierliche
und reiche Steppstichmusterung dieses Kleides, dann
muß man sich sagen, daß es zur Zeit seines Ge-
9