HEFT 2/3 BERNHARD RATHGEN: DAS DREHKRAFTGESCHÜTZ IM STREITE DER MEINUNGEN
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fortgelebt hat, sondern daß es damals auch den
„barbarischen“ Völkern bekannt gewesen ist.
Abbos, des Augenzeugen, lebendige Darstellung
der Belagerung von Paris hat, wie auch Ebert
(S. 136) hervorhebt, neben seinem Werte als zeit-
geschichtliche Quelle, vor allem eine große kul-
turhistorische Bedeutung. Die anschauliche Schilde-
rung der Kampfmittel, des Angriffes und der Ver-
teidigung läßt deutlich deren Zusammenhänge mit
denen des Altertums erkennen. Die „Barbaren“
erbauen die Mauern überhöhende Wandeltürme, der
Verteidiger wahrt durch Aufsetzen von neuen Stock-
werken die Überlegenheit seiner Mauertürme. Die
mit 60 Mann bewehrten Wandeltürme werden vom
Angreifer mit mächtigen Mauerböcken ausgestattet,
die Gräben, die ihre Annäherung an die Mauern
verhindern, werden ausgefüllt. Um schnell zum
Ziele zu kommen, wird geschlachtetes Vieh,
werden die Leiber ermordeter Gefangener in die
Gräben geworfen. Die Mittel sind barbarisch, der
Zweck aber entspricht den klassischen Kriegsvor-
schriften. Die Verteidiger verhindern die Arbeit der
Mauerböcke durch schwere auf sie herabgelassene
Balken. Neben dem Hagel der Pfeile werden noch
ganz besonders die in Massen geschleuderten Blei-
geschosse erwähnt. Die Barbaren hatten also auch
diese angenommen, beschränkten sich nicht auf glatt
abgerollte Bachkiesel, sie wußten den Wert der
in der Antike gebräuchlichen schweren, gleichmäßig
geformten Bleigeschosse zu würdigen. Mächtige
Steine — saxa — werden geschleudert. Mit der
Hand war das nicht möglich. Das Hebelgeschütz
war im 9. Jahrhundert noch unbekannt. Die Hand-
armbrust war noch nicht im Kriegsgebrauch, die
Standarmbrust noch nicht erfunden. Die Geschoß-
wirkungen, von denen berichtet wird, konnten nur
durch besondere Maschinen bewirkt werden, und so
ergibt sich als Schlußfolge, daß die von Abbo er-
wähnten Geschütze ebenso wie die sonstigen An-
griffsmittel und die Kampfweisen von der Antike
übernommen sein müssen, daß also das Drehkraftge-
schütz und zwar sowohl das einarmige Wurfge-
schütz — manganum — wie auch das zweiarmige
Flachbahngeschütz - catapulta - bei der Belage-
rung von Paris in den Jahren 885 -887 noch in der
vom Altertum überkommenen Art im Gebrauch ge-
wesen sind10 * II.).
10) Außer den 3 eingangs besprochenen Stellen — I.
156, 157 — I 213, 214 — I 363, 365 — seien noch die wich-
tigsten weiteren Beweisstellen hier genannt:
I. 63 heißt es bei dem ersten Angriffe der Normannen auf
den Turm an der Seinebrücke:
In der Schlacht von Hastings 1066 sind
auf Seiten der Engländer beide Arten des Dreh-
kraftgeschützes, das Wurf- und das Flachbahn-
geschütz, verwendet worden. Wilhelm, Erzbischof
von Lisieux, hat als Kaplan Wilhelms des Eroberers
alle Vorgänge der Schlacht, wenn er auch selber ihr
nicht beigewohnt haben mag, auf Grund der zuverläs-
Quam feriunt fundis acriter complentque sagittes,
I. 205. Ergo bis octonis (carri XVI rotis LX hominum ca-
pafces) faciunt mirabile (opus) visu,
Monstra rotis ignara, modi (mensure conjuncta
trinitati) compacta triadi,
Roburis (quercus) ingentis, super ariete quod-
que (unumquodque) cubante,
Domate sublimi cooperto. Nam capiebant
Claustra sinus archana (illius arietes) uteri pe-
netralia ventris (arietis)
Sexaginta viros, ut adest rumor, galeatos.
I. 234. .... in urbem
Plumbea mille volant fusa densissime mala
Alque serunt pontes validis speculas catapultis.
I. 303. Certabant plures alii fassata studere,
Quae circa resident illam (turrim) sulcosque re-
plere
Hine glebas specubus frondesque dabant nemo-
rosas,
Atque serunt pontes validis speculas catapultis.
Prata simul, virgulta quoque, et vites sine gemmis
Hincque senes tauros pulchrosque boves vitulosque,
Postremumque necant elegos, heu! quos retinebant
Captivos, sulcisque cavis haec cuncta ferebant
Idque die tota stantes agitant in agone.
I. 356. Mortiferis siquidem telis quatientibus illas
Arrietes conflant (movent) unumque locant ab eoo
In turrim contemplatur septentrio celsa
In portas alium; tenuit contra latus ejus
Oc que — cidens ternum. Magno cum pondere
nostri
Tigna parant, quorum calibis dens summa pe-
ragrat.
Machina quo citius Danum quisset terebrani
(Hier folgt die bereits genannte Stelle)
Conficiunt longis aeque lignis geminatis
Mangana quae proprio vulgi libitu vocitantur
Saxa quibus jaciunt ingentia, seo jaculando
Allidunt humiles scaenas (lobias) gentis truculentae.
II. 237. Nullus in urbe locus fuerat, qui bella lateret.
Pila falas, (turres) laceraeque tegunt nimium
catapultae
Arva, velut pluviae, plumbi nec non onerosi
Poma dabant peltis gemitus et grandia saxa;
Haec nobis illi tribuebant praemia semper.
Ad contra lapides rapidos pariterque balistas
Direxere feris nostri celeresque sagittas.
II. 250. Robore (vi) qui multus fuerat sed corpore parvus
Gesserit hoc miles quinis comitatus ab armis (ar-
matis)
Gerboldus nusquam cujus petiit catapultae
Sanguinei rostrum siccam (terram) sine fluminis
unda.
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fortgelebt hat, sondern daß es damals auch den
„barbarischen“ Völkern bekannt gewesen ist.
Abbos, des Augenzeugen, lebendige Darstellung
der Belagerung von Paris hat, wie auch Ebert
(S. 136) hervorhebt, neben seinem Werte als zeit-
geschichtliche Quelle, vor allem eine große kul-
turhistorische Bedeutung. Die anschauliche Schilde-
rung der Kampfmittel, des Angriffes und der Ver-
teidigung läßt deutlich deren Zusammenhänge mit
denen des Altertums erkennen. Die „Barbaren“
erbauen die Mauern überhöhende Wandeltürme, der
Verteidiger wahrt durch Aufsetzen von neuen Stock-
werken die Überlegenheit seiner Mauertürme. Die
mit 60 Mann bewehrten Wandeltürme werden vom
Angreifer mit mächtigen Mauerböcken ausgestattet,
die Gräben, die ihre Annäherung an die Mauern
verhindern, werden ausgefüllt. Um schnell zum
Ziele zu kommen, wird geschlachtetes Vieh,
werden die Leiber ermordeter Gefangener in die
Gräben geworfen. Die Mittel sind barbarisch, der
Zweck aber entspricht den klassischen Kriegsvor-
schriften. Die Verteidiger verhindern die Arbeit der
Mauerböcke durch schwere auf sie herabgelassene
Balken. Neben dem Hagel der Pfeile werden noch
ganz besonders die in Massen geschleuderten Blei-
geschosse erwähnt. Die Barbaren hatten also auch
diese angenommen, beschränkten sich nicht auf glatt
abgerollte Bachkiesel, sie wußten den Wert der
in der Antike gebräuchlichen schweren, gleichmäßig
geformten Bleigeschosse zu würdigen. Mächtige
Steine — saxa — werden geschleudert. Mit der
Hand war das nicht möglich. Das Hebelgeschütz
war im 9. Jahrhundert noch unbekannt. Die Hand-
armbrust war noch nicht im Kriegsgebrauch, die
Standarmbrust noch nicht erfunden. Die Geschoß-
wirkungen, von denen berichtet wird, konnten nur
durch besondere Maschinen bewirkt werden, und so
ergibt sich als Schlußfolge, daß die von Abbo er-
wähnten Geschütze ebenso wie die sonstigen An-
griffsmittel und die Kampfweisen von der Antike
übernommen sein müssen, daß also das Drehkraftge-
schütz und zwar sowohl das einarmige Wurfge-
schütz — manganum — wie auch das zweiarmige
Flachbahngeschütz - catapulta - bei der Belage-
rung von Paris in den Jahren 885 -887 noch in der
vom Altertum überkommenen Art im Gebrauch ge-
wesen sind10 * II.).
10) Außer den 3 eingangs besprochenen Stellen — I.
156, 157 — I 213, 214 — I 363, 365 — seien noch die wich-
tigsten weiteren Beweisstellen hier genannt:
I. 63 heißt es bei dem ersten Angriffe der Normannen auf
den Turm an der Seinebrücke:
In der Schlacht von Hastings 1066 sind
auf Seiten der Engländer beide Arten des Dreh-
kraftgeschützes, das Wurf- und das Flachbahn-
geschütz, verwendet worden. Wilhelm, Erzbischof
von Lisieux, hat als Kaplan Wilhelms des Eroberers
alle Vorgänge der Schlacht, wenn er auch selber ihr
nicht beigewohnt haben mag, auf Grund der zuverläs-
Quam feriunt fundis acriter complentque sagittes,
I. 205. Ergo bis octonis (carri XVI rotis LX hominum ca-
pafces) faciunt mirabile (opus) visu,
Monstra rotis ignara, modi (mensure conjuncta
trinitati) compacta triadi,
Roburis (quercus) ingentis, super ariete quod-
que (unumquodque) cubante,
Domate sublimi cooperto. Nam capiebant
Claustra sinus archana (illius arietes) uteri pe-
netralia ventris (arietis)
Sexaginta viros, ut adest rumor, galeatos.
I. 234. .... in urbem
Plumbea mille volant fusa densissime mala
Alque serunt pontes validis speculas catapultis.
I. 303. Certabant plures alii fassata studere,
Quae circa resident illam (turrim) sulcosque re-
plere
Hine glebas specubus frondesque dabant nemo-
rosas,
Atque serunt pontes validis speculas catapultis.
Prata simul, virgulta quoque, et vites sine gemmis
Hincque senes tauros pulchrosque boves vitulosque,
Postremumque necant elegos, heu! quos retinebant
Captivos, sulcisque cavis haec cuncta ferebant
Idque die tota stantes agitant in agone.
I. 356. Mortiferis siquidem telis quatientibus illas
Arrietes conflant (movent) unumque locant ab eoo
In turrim contemplatur septentrio celsa
In portas alium; tenuit contra latus ejus
Oc que — cidens ternum. Magno cum pondere
nostri
Tigna parant, quorum calibis dens summa pe-
ragrat.
Machina quo citius Danum quisset terebrani
(Hier folgt die bereits genannte Stelle)
Conficiunt longis aeque lignis geminatis
Mangana quae proprio vulgi libitu vocitantur
Saxa quibus jaciunt ingentia, seo jaculando
Allidunt humiles scaenas (lobias) gentis truculentae.
II. 237. Nullus in urbe locus fuerat, qui bella lateret.
Pila falas, (turres) laceraeque tegunt nimium
catapultae
Arva, velut pluviae, plumbi nec non onerosi
Poma dabant peltis gemitus et grandia saxa;
Haec nobis illi tribuebant praemia semper.
Ad contra lapides rapidos pariterque balistas
Direxere feris nostri celeresque sagittas.
II. 250. Robore (vi) qui multus fuerat sed corpore parvus
Gesserit hoc miles quinis comitatus ab armis (ar-
matis)
Gerboldus nusquam cujus petiit catapultae
Sanguinei rostrum siccam (terram) sine fluminis
unda.