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Die Gartenkunst — 12.1910

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Groddeck, Georg: Heimatschutz und Naturschutz, [1]
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Personalnachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.22776#0093

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XII, 5

DIE GARTENKUNST.

85

wir ihnen den Duft der Blumen nehmen und die Stille der
Nacht, wenn sie den Vogelsang nicht mehr hören und das
Rauschen des Windes in den Bäumen? Warum strebt man
vom Lande in die Stadt, von der Stadt in die Großstadt?
Um schöner zu leben? Um mehr Geld zu verdienen, Geld,
das man in Bildung umsetzen kann? Aber ist denn die Bil-
dung ein Ziel? Es ist doch nur ein Mittel dazu, höhere, innere
Werte zu schaffen, besser für die Kultur des Volkes zu sorgen.
Es ist mit der Bildung wie mit dem Gelde. Gewil'3, es gibt
einige Wenige, deren Talent durcii Kenntnisse erhöht wird.
Aber das Wertvolle an diesen wenigen ist doch nicht, daß
sie gebildet waren, sondern daß sie Großes leisteten. Die
größten Leistungen sind aber nicht von der Höhe der Bildung
oder Kenntnisse abhängig gewesen, sie wurden von Männern
getan, die oft nicht so viel wußten, wie jetzt ein Volksschüler
der dritten Klasse. Und das wird immer so bleiben. Kennt-
nisse erwerben ist eine Freude, so wie es eine Freude ist, zu
lieben oder zu kämpfen, aber Kenntnisse zu besitzen gibt
keine Anwartschaft auf einen höheren Genuß.

Mißverstehen Sie mich nicht. Ich bin kein Gegner der
Bildung und habe es mir sauer werden lassen, zu wissen, was
ich weiß. Mein Lebenswunsch, für den ich jetzt immer mehr
und mehr mich erwärme, ist der, daß jeder Deutsche recht
wissen möge, was er weiß, daß die Deutschen ein Herren-
und Führergeschlecht auch im Wissen werden.

Aber die Natur und der Naturschutz ist eine Sache aller,
auch des Arbeiters, der keine Bildung besitzt, auch des
Ärmsten und Verwahrlosesten unter uns, und wer die
Fühlung mit der Natur verloren hat, ist ein armseliger Tropf.
Was glauben Sie wohl, wie viele unserer hochgelehrten
Herren vermögen ohne den Kalender und die Uhr, lediglich
nach der Stellung der Gestirne zu sagen, welcher Tag und
Stunde im Jahr es ist. Ich kann es nicht und Sie vermutlich
auch nicht; der Tiroler Bauernbube aber kann es. Er steht
der Natur näher als wir. Und der Natur nahe zu bleiben,
daran hat jeder von uns das gleiche Interesse, das Volk als
ganzes aber hat es vor allem.

Wenn Sie die Geschichte betrachten, so werden Sie
finden, daß die großen Güter des Lebens: die Religionen,
die Philosophien, die Mythen vom Volk geschaffen worden
sind, als es noch in Gemeinschaft mit der Natur lebte. Die
schöpferische Kraft des Volkes, das noch roh war, hat
uns die Märchen von Hänsel und Gretel geschenkt, so gut
wie den Sang vom Achill und Odysseus und vom hörnenen
Siegfried. Und diese Kraft stammt aus dem Verkehr mit der
Natur, nicht aus Kenntnissen. Christus war kein Mann von
Kenntnissen, Luther wußte nicht, daß die Erde sich um die
Sonne bewegt und ich zweifle, ob Bismarck imstande war,
die Knochen des menschlichen Körpers zu zählen wie ein
Student der Medizin.

Die Natur gibt uns Kraft und die Fähigkeit, vorwärts,
aufwärts zu kommen. Sie zu schützen ist eine Aufgabe,
der sich jeder widmen sollte. Vielleicht glaubt aber dieser
oder jener die Natur brauche keinen Schutz. Das wäre
ein bedenklicher Irrtum. Sie braucht ihn allerorten, bei uns
so gut wie anderswo, sie braucht ihn gegenüber ihrem so-
genannten Herrn, in Wahrheit ihrem Ausbeuter und Ver-
wüster, dem Menschen. Dieser Ausdruck ist nicht zu hart.

Denken sie an die Rheinberge, die mit Rauch und Ruß
bedeckt sind und in denen die Tunnel gähnen. Denken Sie
an die Drahtseilbahnen, die jeden Berg hinaufsurren, an die
Aussichtstürme, die man auf die kahlen Berge baut, auf denen
kein Bäumchen den Blick hindert, lediglich, damit man ein
paar Meter höher steht und damit der Berg häßlich wird. Das
Erzgebirge und die sächsische Schweiz hat man zersprengt und
zerfetzt, die Neckarberge ebenso, das Siebengebirge gleichfalls.
Ist's mit dem Fluß anders? Wer im Sommer dem Lauf
irgend einer Quelle oder eines Baches nachgeht, weiß, wie
der Mensch es versteht, das klare Wasser zu trüben und die
Fluten zu verpesten. Aber was will das sagen gegen die Ver-
wüstungen, die die Fabriken und die großen Städte in unseren

Flüssen anrichten, die alles Leben des Wassers vergiften.
Und sind etwa die kahlen, nach der Richtschnur regulierten
Flußufer noch schön, heimisch, lockend zum Träumen? Die
Wasserfälle zerstört man, um elektrische Kraft daraus zu ge-
winnen, wie die Laufenburger Stromschnellen, oder den
rrollhätta-Fall, der Schweden mit Licht versorgen soll; sogar
der Niagara-Fall fällt dem Menschen zum Opfer. Oder
nehmen sie die Stauwerke, die ganze Täler verunstalten,
nehmen Sie die Wirtshäuser und Luftkurhotels, die sich an
jedem einsamen Seeufer breitmachen, die Bahnen, die durch
die wilden und milden Täler führen und die schönsten Stellen
der Natur mit dem Touristen-Übel beflecken. Denken Sie an
die Lüneburger Heide, die man jetzt verwüstet, dieses Paradies
aller Maler und Dichter und stillen besinnlichen Leute. Das
alles ist der Mensch. Man muß die Natur schützen gegen den
Menschen, gegen seine Habgier.

Ich gebe ja zu, Flüsse müssen reguliert werden, aber
muß man deshalb jeden Strauch und Baum vom Ufer reißen?
Ich gebe zu, es ist notwendig, Bahnen zu bauen, Automobile
zu haben, selbst der teuflischen Erfindung der Drahtseilbahn
will ich die Existenzberechtigung nicht absprechen. Aber
alles läßt sich, allerdings mit etwas mehr Kosten, machen,
ohne daß sie die ganze Natur zerstören. Die Drahtseilbahnen
lassen sich anbringen, ohne daß sie einen wie der Tod an-
gähnen, die Stauwerke lassen sich bauen, so daß sie schön
wirken, daß sie in die Natur hineinpassen.

Schützt die Natur, sie ist das Heiligste ; sie ist das größte
Gut des Menschen, sie ist auch sein Wohlstand. Wir haben
von den Verwüstungen gelesen, die die Überschwemmungen
in Paris angerichtet haben. Wir denken an die Millionen, die
dort verloren gegangen sind in Wasser und Schlamm; wir
Deutsche sind so mitleidig gesinnt, daß wir sogar zum Besten
der Pariser getanzt haben. Da haben Sie den Wert der
Natur. Zur Zeit der französischen Revolution hat man die
Wälder in Frankreich geschlagen. Der Wald aber ist der
beste Schutz gegen die Überschwemmung: das Moos, die
Sträucher und Bäume verschlucken das Wasser, das
vom Himmel fällt. Diese rasenden Fluten, die über Nacht
daherbrausen und den Wohlstand ertränken, kommen nur
dort vor, wo der Wald vernichtet ist. In Italien, in Südfrank-
reich, in den südlichen Alpen, in Tirol sehen Sie es an den
Flußbetten, die im Sommer ausgetrocknet daliegen und im
Winter und Frühling kilometerweit ausgedehnt sind. Das ist
der Fluch, der dem Waldschlagen folgt. Und wenn es noch
dabei bliebe! Aber kommen sie ans Mittelmeer, nach Griechen-
land, nach Kleinasien oder Mesoportainien oder Afrika. Dort
blühte einst eine Kultur wie die unsre. Man hat den Wald
vernichtet, und jetzt breitet sich die Wüste aus, oder der
Sumpf, wo einst Schlösser oder Felder standen, wo die Kunst
und die Wissenschaft geschaffen wurden, von der wir alle
leben. Wahrhaftig, der Ruf nach Schutz der Natur ist dringend,
er ist berechtigt, er ist notwendig.

Oder nehmen Sie etwas anderes. Jahrzehntelang hat
man das Raubzeug verfolgt, die Eulen, Bussarde und Adler
bis auf geringe Reste Und jetzt schreibt man für das Raub-
zeug Schonzeiten vor. Denn man weiß schon jetzt, daß der
Krankheiten unter dem Wild immer mehr werden, seit es
nicht mehr vom Räuber verfolgt wird. (Fortsetzung folgt.)

Personalnachrichten.

Rud. Goethe, Kgl. Landesökonomierat, feierte am 10. April
d. J. sein goldenes Berufsjubiläum.

Der infolge seiner persönlichen Liebenswürdigkeit all-
gemein geschätzte alte Herr, der seit seinem Rücktritt von der
Leitung der Geisenheimer Lehranstalt für Obst-, Wein- und
Gartenbau in körperlicher Rüstigkeit und geistiger Frische in
Darmstadt im Ruhestand lebt, ist geboren am 13. April 1843 'n
 
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