Verbürgte
Auflage 5000
AuffE'sWo Aentral-OrganfürSammelwesen,
' " ' Versteigerungen und Alterthuurskunde.
Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böblingerstr. 2, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
gegründet 1881, prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, München, Berlin, Paris, Gent und London.
Nr. 27.
Abonnement:
Deutschland u. Oesterreich 2.50
vierteljährlich, Ausland 3.—
Stuttgart, »0. Juni 1887.
(Erscheint wöchentlich.)
Anzeigen:
Die Nonpareillejeile oder deren
Raum So Psg., Auktionen so Pfg.
5. Jahrgang.
Die Wissenschaften sind Gemeingut, weil das Denken
Gemeingut ist, und das Denken aus der Quelle des Wissens
schöpft. (W. Wundt.)
Das Wedgewood-Weibcherr.
Von
Gräfin Baudissin.
(Nachdruck verboten.)
„Da ist er," sagte meine Mutter.
Ein Wagen war im schnellsten Tempo die Straße
-entlang gefahren, er hielt mit kurzem Ruck vor un-
serem Hause, lebhafte Stimmen erhoben sich auf dem
Hausflur, die Thüren wurden laut zugeschlagen.
Wir hörten das Mädchen die Treppe herauflaufen —
hinter ihr rief eine ungeduldige Stimme: „Melden
Sie mich den Damen sofort! Meine Zeit ist kurz
bemessen — schnell, schnell!" Mit verhaltenem Llthem
lauschten wir den Vorgängen draußen; er war es
wirklich! Wir blickten uns au; wir verstanden uns
wie immer gleich, meine kleine Mutter und ich. In
uns erhoben sich beklemmende Angst, tiefster Abscheu;
wir hatten Beide das Gefühl, als sei ein Todfeind
über unsere Schwelle getreten und störe den Haus-
frieden mit frevelnden Worten. Ich wandte mich
zum Gehen, meine Mutter war auf einen Stuhl ge-
sunken. Schwerer Kummer sprach aus ihren lieben,
ernsten Augen, denen man es ansah, wie viel Thrä-
nen bittersten Schmerzes sie in letzter Zeit geweint
hatten.
Ich beugte mich zu ihr nieder, zu ihr, der ich
um jeden Preis Sorgen und Leid ersparen wollte.
Ich küßte ihre zitternden Lippen: „Laß mich nur
machen, Mutter; ich werde mit den Herren sprechen,
ihnen alle Sachen zeigen. Sei nur ruhig, noch ist
nichts sicher — wir können noch immer zurück!"
Ich eilte aus dem Zimmer, die Treppen hinab;
immer lauter erschollen die Stimmen von unten, die
Herren mochten über mein langes Verweilen zürnen.
Auf der letzten Stufe standen sie schon, um bei mei-
nem Anblick mir sofort entgegen zu gehen. Der Erste
war ein Herr in mittleren Jahren, er trug einen
grauen Knebelbart, einen Operngucker in einem
schreiend gelben Futteral um die Schulter gehängt
und verbeugte sich nun mit allen Zeichen höchster
Eile und Beweglichkeit vor mir.
„Mein Name ist Frischeis; ich komme, wie dem
Fräulein bekannt sein wird, um die Sachen der Frau
Mama, die ja wohl eine Antiquitäten-Liebhaberin —
vielleicht auch Kennerin, wie wir gleich sehen werden —
fein soll, zu besichtigen. Sie haben mir die Aufforder-
ung dazu ertheilt — erlaube mir, meinen Begleiter vor-
zustellen, junger Mann, aber schon sehr gewandt, sehr!
Weitz sehr genau Bescheid über Alles, Alles, meine Dame!
Aber nun schnell, wenn ich bitten darf, mein Fräulein;
die Zeit drängt, mein Zug geht i:i einer halben Stunde
— bis dahin müssen wir uns klar sein — bitte, vor-
wärts!"
Ich hörte seinem Wortschwall zu; ich war betäubt
von dieser Redeweise, dieser Ueberstürzung. Ich wandte
mich um und schritt den Herren voran, die Treppe wie-
der hinauf. Unwillkürlich beeilte ich mich nicht;
vielleicht klopfte mein Herz zu stark, vielleicht auch
bäumte sich in mir der Oppositionsgeist auf. Jeden-
falls gewann ich meine ruhige Ueberlegung zurück.
Dahin war es also mit uns gekommen! In die
Hände dieses Mannes sollten unsere Sachen übergehen,
unsere lieben, alten Sachen, die wir mit so viel Fleiß,
so viel Ausdauer gesammelt hatten! Kein Mittel hatten
wir gescheut, wenn eine vergoldete Tasse auf kleinen
Füßen, ein altes geschliffenes Glas mit Wappenschildern
oder Sprüchen, eine Meißner Schaale mit den zierlichen
Sträußchen unsere Sammelbegierde entflammt hatte.
Wir hatten gespart am Wirthichaftsgeld, an den Aus-
gaben für Toilette und Vergnügungen, bis endlich
das Ersehnte erstanden war. Herrliches hatten wir
zusammengetragen; im Laufe der Jahre waren die
minderwerthen Sachen ausgemerzt und bei den
Trödlern gegen etwas Schöneres, Formvollendeteres
eingetauscht worden. Wir rühmten uns, wenn auch
nicht die größte, so doch eine der schönsten Samm-
lungen von altem Glas, Krystall und Porzellan zu
haben — ach, und wie liebten wir sie! Da plötzlich
starb mein Vater; er stand noch im besten Mannes-
alter; wir Kinder waren zum Theil noch unversorgt.
Wir sollten nun lernen, auf eigenen Füßen zu
stehen, allein den Weg durch's Leben finden.
„Verkauf Dein Haus!" sagten die mit der Ge-
schäftsregulirung betrauten Verwandten. Meine
Mutter schüttelte ihr Haupt; weßhalb? — Es ließ
sich ein Theil vermiethen, den übrigen würde sie
mit ihren Kindern und Sachen weiter bewohnen.
„Mit Deinen Sachen? Wohl, aber wäre es
nicht besser, Du miethetest Dir eine Etage? Du
könntest sie recht hübsch und geschmackvoll mit den
Möbeln aus Deines Mannes Zimmern einrichten."
Ja; aber wohin mit meinen Tassen und Glä-
sern, mit meinen drei alten Zimmern? Ich müßte
ja ein ebenso großes Quartier wie das jetzige nehmen."
„Du meinst doch nicht etwa — aber daran ist
nicht zu denken — todtes Kapital, Liebe — denk'
an die Kinder! Wir glaubten, Du sändest es so
selbstverständlich, wie wir alle, daß Du Deine so-
genannte „Sammlung" verkaufst. Wir fänden es
Alle unrecht, wenn Du ohne Weiteres auf all' die
Zinsen verzichten würdest; in den Sachen steckt so
viel Werth — überlege und denk' an die Kinder."
„Die Kinder — die Kinder", wiederholte meine
Mutter leise. Dann weinten wir alle. Der Tod
ist so schrecklich, raubt uns so Vieles, daß man
glaubt, alles Uebrige sei leicht herzugeben, zu er-
tragen. Aber nun trat uns allen die Gewißheit
entgegen: Das ganze Schicksal ist verändert. Die
gewohnte Umgebung würde fortan einen schlechten
Rahmen um die neuen Verhältnisse bilden; trennen
— fortgeben, Alles fortgeben !
Meine Mutter faßte sich zuerst; sie hatte so
viel gelitten um ihres Mannes Tod, sie hatte sich
lange ausschließlich der Trauer hingegeben. Nun
wollte sie den Kindern den Vater ersetzen, sie schützen
und ihre Rechte wahren; sie wollte für ihre Kinder
sorgen nach bestem Vermögen und Können.
Sie willigte in den Verkauf ein, ohne zu murren
oder zu klagen. Die Verwandten übernahmen die Ver-
mittelung an die Händler. Und da war nun der Reichste
von allen, der Angesehenste! Er hatte sein Kommen an-
gesagt und Alle priesen unser großes Glück, sein Inte-
resse erweckt zu haben. Aber seit seinem Erscheinen