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Antiquitäten-Zeitung — 5.1897

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Nr. 35 (25. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61937#0277
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AMESOWKeN^
! Versteigerungen und Alterthumskunde.

Verbürgte
Auflage 5000.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böblingerstr. 2, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
gegründet 1881, prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, München, Berlin, Paris, Gent und London.

Nr. 35.

Abonnement:
Deutschland u. Oesterreich 2.50
vierteljährlich, Ausland 3.—

Stuttgart, 2». August L8Ä7.
(Erscheint wöchentlich.!

Anzeigen:
Die Nonpareillezeile oder deren
Raum so Pfg., Auktionen so Pfg.

5. Jahrgang.


Seltsame Bücher.
Eine Erinnerung von E. Rossi.
(Nachdruck verboten.)

Lady Rothschild erwachte eines nebeligen November-
Morgens mit einem gellen Angstschrei.
„O, ich habe entsetzlich geträumt,"
antwortete sie mit noch immer stieren
Blicken auf die devote Frage ihrer Be-
dienung.
Das kleine Kammermädchen schlug
mit einem „sdoelrin^" die Hände zu-
sammen, konnte aber tief innerlich die
Befriedigung nicht unterdrücken, daß
diese „ungezählten" Millionäre, die
sich Alles kaufen konnten „für ihr vieles,
vieles Geld", doch wenigstens nicht den
Träumen zu kommandiren vermochten.
Ja, was kaufte dieser Baron Na-
thanael nicht Alles! Gab es wohl
irgendwo in London, Paris und Ber-
lin, nein in der ganzen civilistrten Welt
ein Kunstwerk oder eine Kuriosität, die
dem Kennerauge des Millionärs ent-
gangen wäre? Und vom Sehen bis
zum Besitzen war bei ihm nur ein Schritt,
nur ein Federzug! Sein Sohn pflegte
lächelnd zu sagen: „Wäre Papa An-
tiquar geworden, so hätte er ein reicher
Mann werden können" — ein Compli-
Ment, welches der ältere Baron dankend
in Empfang nahm. — Lady Rothschild
blieb auch während der Toilette etwas
-verstört; der Traum mußte einen selt-
sam tiefen Eindruck auf sie gemacht
haben, denn um ihre klugen milden
Augen lag ein leichter Schatten, und
sie schrak bei dem leisesten Geräusch
-zusammen.
Was hatte sich zugetragen ?
Am Abend vorher war in der Bibliothek des Hauses,
in der berühmten Palmen-Rotunde, eine kleine intime
Gesellschaft beim Thee versammelt gewesen. Der Baron
hatte eine Anzahl Bücher gekauft, die er den Herren
der Gesellschaft im Flüstertöne erklärte, und da er ab
sichtlich das Heranziehen von Damen in diesem Kreis
vermied, glaubte die Lady, daß es sich möglicherweise
wieder um Curiosa wie die illustrirte „Uuoslla" Vol-
taire's oder „llulistts" des Marquis de Sade und ähn-
liche Büchern handle, die die Eigenschaft haben, zu gleicher
Zeit für berühmt und berüchtigt zu gelten. Ihrem
«einen Sinn lag das Lesen solcher Bücher fern, den

Schlüssel zum Kuriositäten-Schrank, der derartige Lek-
türe barg, trug der Baron bei sich, sonst stand die ganze
wunderbar ausgestattete Bibliothek jedem Mitglieds der
Familie zur Benutzung frei. Dieses Mal aber schien
sie in ihrer Annahme zu irren, denn ihr Gatte legte den
kleinen Stapel Bücher auf ein offenes Regal, und dort
blieben sie liegen, doppelt geheimnißvoll, weil sie deut-
lich gehört, wie der Baron bei der Vorzeigung gesagt
hatte: „Die Damen sollen es nicht wissen" . . .
Man verließ endlich die Palmen-Rotunde und sou-
pirte im Marmorsaale des Palais. Mitternacht war
längst vorüber, als Lady sich in ihr Schlafzimmer zu-
rückzog. Gewöhnlich las sie noch ein paar Seiten irgend
eines Tages-Romans, ehe sie ihr Nachtgebet sprach; es

war nur eine neugierige Frauen-Jdeenverbindung, daß
sie an das neue Päcklein Bücher in der Bibliothek dachte.
Bon der Zofe begleitet, gelangte sie zu dem Bücherbrette,
von dem sie langsam, fast widerwillig, eins nach dem
andern der alten, hier und da schon an den Ecken ram-
ponirten Bücher aufnahm. War es nun die Erregung
oder irgend ein anderes Motiv, ein Instinkt vielleicht
— die Berührung dünkte ihr unangenehm, die Leder-
einbände fettig und seifig, obgleich sie sich durch Nichts
von andern alten Büchern unterschieden.
Die beiden ersten gleichen Formats und Einbands
mochten einer gewissen Mary Bateman gehört haben,
ihr Name stand inwendig auf dem Deckel; das eine war
„Lurt ok 8säit.iou" von Sir John Cheek, das andere:

„Arcadian, Princeß von Braithwaiter," alte uninteressante
Bücher aus dem Anfang dieses Jahrhunderts. Dann
kam ein ganz kleines Bändchen langweiliger französischer
Gedichte; der Deckel inwendig trug den Namen Louvet
de Couoray. War er der Besitzer gewesen, oder der
Verfasser? Unmöglich das Letztere — sagte sich die
hochgebildete Lady, die des geistvollen Schriftstellers
„Briefe" kannte und seinen berühmten „Abschied", ehe
er von der allesverschlingenden Guillotine vernichtet
wurde-es folgten zwei Elzevir-Bände, „ge-
bunden von Joseph Zaelmsdorf," ferner ein ganz kleines
Büchelchen mit der Eintragung: „George Cudmore 1830,"
das die Lady als unbekannt bei Seite legte. Einen
fluchtigen Blick warf sie noch auf das ebenso unbekannte
„Life of Corder", „John Horwood",
um dann den letzten Band zu ergreifen,
der eine Reihe vorzüglicher Copien aus
Hans Holbein's „Todtentanz" enthielt.
Alle anderen Bände ließen ihr In-
teresse kalt, aber diese vortrefflichen Ver-
vielfältigungen des berühmten „vauss
waeubrs" zogen sie sonderbar an; sie
nahm das Buch, gab es der Zofe zum
Tragen, und so wenig auch für die
Stunden der Nachtruhe solche Lektüre
geeignet ist, sie blätterte darin, bis die
Erregung, welche die Bilder hervor-
riefen, einer völligen Abspannung wich,
der Vorbotin eines tiefen Schlafes.
Und aus diesem tiefen Schlaf war
sie am Morgen mit einem entsetzlichen
Angstgeschrei erwacht.
Ihre Lieblingstochter löste durch
zärtlichen Morgenkuß die ängstliche
Spannung; ihr erzählte die Baronin
den seltsamen und beängstigenden
Traum; doch dem heiteren Geplauder
des klugen Mädchens gelang es, den
garstigen Eindruck zu verscheuchen.
Als die Lady sich am Spätabend
zur Ruhe begab, fand sie das ominöse
Buch, das das Kammermädchen auf
den Nachttisch gelegt hatte; sie besah
die Bilder zum zweiten Male — und
zum zweiten Male erwachte sie am
nächsten Morgen mit einem Angstschrei.
„Meine Tochter soll kommen," rief sie völlig ver-
stört, und als dieselbe erschrocken herbeieilte: „Denke
Dir, Jane, ich habe wieder dasselbe geträumt, dasselbe
Entsetzliche!" Dem jungen Mädchen waren alle Fami-
lienmitglieder schnellstens gefolgt, denn die Zofe hat mit
schlecht verhehltem Schrecken den Frühstückstisch alarmirt,
und der Gatte sowohl als die Söhne glaubten an einen
ernstlichen Unfall.
„Was ist geschehen?" fragte Baron Nathanael.
„Zwei Nächte hintereinander habe ich denselben ab-
scheulichen Traum gehabt — die Bibliothekthür öffnet
sich, und herein tritt ein Zug weißer Gestalten, Männer,
angeführt von einem widerlichen alten Weib — sie
haben sich zu einem Kranze umschlungen, einem Todten-


DaS deutsche Kolonialhaus. Kostraum für Kakao, Schokolade und Kaffes. (Text Seite S77.)
 
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