Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Antiquitäten-Zeitung — 5.1897

DOI Heft:
Nr. 32 (4. August)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.61937#0253
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Zentral-Organfür Sammelwesen,
Versteigerungen und Mterthumskunde.

Verbürgte
Auflage 5000

Verbürgte
Auflage 5000.
Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böblingerstr. 2, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
gegründet 1881, prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, München, Berlin, Paris, Gent und London.

Nr. 32.

Abonnement:
Deutschland u. Oesterreich 2.50
vierteljährlich, Ausland 3.—

Stuttgart, 4. August 1887.
(Erscheint wöchentlich.)

Anzeige«:
Die Nonpareillezeile oder deren
Raum 20 Pfg., Auktionen 30 Psg.

5. Jahrgang.

Dis Wissenschaften sind Gemeingut, weil das Denken
Gemeingut ist, und das Denken aus der Quelle des Wissens
schöpft. (W. Wundt.)


Gibbon s Bibliothek.
Novelle von E. Rossi.
(Nachdruck verboten.)

„Und der Regen regnet jeglichen Tag", sagte der
junge Engländer und trommelie verdrießlich an den
Fensterscheiben des Speisesaals, in welchem er bereils
drei Tage lang Gefangener des schlechten Wetters war.
Eine Regenwolke überströmte unaufhörlich die Stadt
Lausanne; zu dieser Herbstzeit waren nur noch wenige
Fremde anwesend, der junge Mann langweilte sich! Zu-
erst hatte er die wenigen Bücher gelesen, die im Bereich
des Hotels zu erlangen waren, aber die seichte Kost der
billigen Unterhaltungslitteratur jener Tage — es war
im Jahre 1795 — behagte ihm nicht, umsomehr, als er
darunter keine Bücher in seiner Muttersprache fand.
Der Wirth, den er nach englischen Büchern fragte, zuckte
mit den Achseln: „Englische Bücher, ja, Sir, die haben
wir hier genug — ein ganzes Haus voll, und" fügte
er ein wenig spöttisch hinzu, wenn Sie dreißigtausend
Francs daran wenden wollen, so stehen sie ihnen gleich
zur Verfügung!"
„Was heißt das? Erklären Sie sich deutlicher", ries
der junge Engländer plötzlich interessirt, „was hat es
für eine Bewandtniß mit dieser englischen Bibliothek?"
„Wie Sie als Engländer vielleicht wissen," entgeg-
nete Herr Stromgäner, der Besitzer des Hotels, „gab
es unter Ihren Landsleuten einen Geschichtsschreiber
Gibbon. Er hinterließ eine Bibliothek von zehntausend
Bänden, die er seinem Neffen, dem hier in Lausanne
lebenden Doktor Burbage, vererbte. Der Doktor aber
ist bald darauf gestorben, hat die Stadt als Erbin ein-
gesetzt, und diese nun sucht einen Käufer für Haus und
Bibliothek. Sehen Sie dort drüben das kleine weiße
Haus mit den grünen Läden? Das ist es — ich habe
also Recht, wenn ich behaupte, daß es englische Bücher
genug in unserem Lausanne gibt."
Der Engländer griff nach seinem Schirm, hing sich
den Mantel über die Schulter und ging in den ström-
enden Regen hinaus. Sein Weg führte ihn auf das
Rathhaus. Dort fragte er nach dem Herrn, der das
Haus und die Bibliothek des Dr. Burbage zu verkaufen
habe.
Der Bürgermeister wollte in umständlicher Breite
feine Konditionen ausbreiten, der Fremde unterbrach ihn
jedoch kurz: „Wie viel kostet Alles?"
„Dreißigtausend Francs" rief der biedere Schweizer
mit überlegenen Mienen; doch traute er seinen Augen
kaum, als Jener sein Portefeuille herauszog und die
geforderte Summe baar hinzählte. In wenigen Mi-
nuten war das Dokument ausgefertigt, welches Mr.

Beckford von Fonthill zum Eigenthümer des Burbage'-
schen Hauses machte, und genau fünfunddreißig Minuten
später als er das Hotel verlassen, kehrte er wieder zu-
rück, den Wirth aufsuchend.
„Bitte, Herr Stromgäner, hier ist der Schlüssel
zum Burbage'scbcn Hause, schicken Sie gefälligst den
Hausknecht hinüber, daß er ein Zimmer komfortabel heize;
außerdem besorgen Sie mir einen Korb mit Lebensmit-
teln — ich habe Ihren guten Rath befolgt und die
englische Bibliothek gekauft."
Der Wirth, der anfangs nicht wußte, ob er dies
ernsthaft aufzufassen habe, nahm den Schlüssel und be-
auftragte seinen Diener mit der Ausführung des ihm
gewordenen Auftrages. Er blieb dann neugierig am
Fenster, das weiße Häuschen nicht aus den Augen
lassend.


Nr. 18. Perlschneckenpokal. 17. Jahrhundert.
Museum in Stuttgart, Neckarstraße 8. (Text Seite 252.)
Der Knecht öffnete mit dem Schlüssel das Schloß
der Thüre und verschwand im Innern des Hauses.
Volle zehn Tage noch dauerte das unliebsame Regen-
wetter, eine Zeit, die Mr. Beckford in seiner Bibliothek
hinbrachte. Der Wirth sorgte für jeden Comfort und
erlaubte sich nach einigen Tagen, dort selbst seine Auf-
wartung zu machen. Der Engländer war sehr zufrieden
mit seinem Kauf und erklärte sich dem Herrn Strom-
gäner für den Rath zu Dank verpflichtet — als aber
am elften Tag ein warmer Sonnenstrahl die feuchten
Straßen trocknete und damit die Hoffnung auf einen
prächtigen Nachherbst gab, schloß er sein weißes Häus-
chen ab, zahlte die hohe Hotelrechnung und reiste ab —
-den Schlüssel steckte er in die Innentasche seines
Reisemantels.

Die Neugier der guten Lausanner, wer dieser Krösus
incognito sei, blieb lange unbefriedigt, denn darüber
war man einig, daß der einfache Name Beckford nur
eine Hülle sein konnte, unter welcher sich irgend ein
vornehmer Herr verbarg. Große Heiterkeit und un-
gläubiges Achselzucken erregte zu dieser Zeit die Er-
klärung eines Touristen, daß man es in dem seltsamen
Menschen gar mit dem bekannten Dichter Beckford zu
thun habe. Ein Dichter! Der Spatz war gut — als
ob das Dichten so viel einbringe! Aber der Tourist er-
zählte Wunderdinge von Beckford, der nicht nur ein
Dichter von Gottes Gnaden, sondern auch einer der
reichsten Edelleute in England sei. Mehr als eine Mil-
lion Pfund Sterling habe er zum Restauriren seines
Schlosses Fonthill ausgegeben, einen Marstall von hun-
dertundzwanzig der kostbarsten Pferde halte er, und in
seiner Küche seien nicht minder kostbare dreißig franzö-
sische Köche beschäftigt, von seinen Festen spräche die
Welt, er gäbe oft Gesellschaften, zu denen eintausend,
sage eintausend Personen geladen worden wären, von
denen einzelne in seinem Hause verblieben und sich sei-
ner jahrelangen Gastfreundschaft erfreut hätten.
Das Lachen der Lausanner verwandelte sich in
Staunen; doch als Jahr auf Jahr verstrich, ohne daß
der Besitzer der Gibbon'schen Bibliothek wiedergekehrt
war, oder seine Bücher reklamirt hätte, fiel er endlich
der Vergessenheit anheim, besonders da in den unruhigen
Zeiten am Ende des vorigen und zu Beginn des ge-
genwärtigen Jahrhunderts so viele neue Erscheinungen
die neutrale Schweiz bevölkerten, daß der Einzelne da-
runter verschwand.
Beckford fuhr von Lausanne direkt nach Genf. Hier
hatte er Kreditbriefe auf ein Bankhaus, die er selbst
abgab. Herr Suermont, der liebenswürdige Bankier,
fragte, ob es in seiner Macht stehe, die verdrießliche
Miene seines Klienten aufzuhellen, und der Dichter, der
warme Theilnahme aus dem Tone der Frage heraus-
hörte, vertraute dem neuen Bekannten feine große Sorge
an, daß ihn — seine Stiesel so sehr drückten. Die An-
kunft der Reisekoffer hätte sich verzögert, ein Ersatz in
den Kaufläden der Stadt war ihm bisher nicht möglich
geworden. Herr Suermont war fein genug, diese kleine
Plage als wirkliche Kalamität aufzufassen; doch war er
im Stande, ihm aus dem Stiefelmaterial eines seiner
Söhne auszuhelfen. Mit warmem Händedruck und herz-
lichem Dank schritt Mr. Beckford leichtfüßig und leicht-
herzig aus dem Privatbureau des Bankiers. Die Karte
des jungen Herrn Henry Suermont, der ihm so freund-
lich auf die Füße geholfen, steckte er zu dem Hausthür-
schlüssel des Burbage'schen Hauses in feine Manteltasche.

Beckford wurde, in seine Heimath zurückgekehrt, ein welt-
scheuer Sonderling, als nach kurzer Ehe sein heißgelieb-
tes Weib, ein schönes, aber blutarmes Mädchen starb.
Umsonst versuchten die vornehmsten Damen, den Millio-
när in ihre Netze zu ziehen und seine Wittwerschaft zu
beendigen; doch blieb er seiner „Hartie" treu bis an's
Grab.

Seit jener Zeit, wo er in Lausanne — damals noch
 
Annotationen