Der Jagdforft von Belowesch
In
Holt auf der Jagd. (Text Sette 112.)
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.
in der Um-
den Kreisen
Die Wissenschaften sind Gemeingut, weil dar Denken
Gemeingut ist, und dar Denken au» der Quelle de» Wissen»
schöpft. (W. Wundt.)
lich schon das Hochparterre bezeichnet wird. Das Schloß
ist auch dadurch interessant, daß es durchweg von oben
bis unten aus russischem Material von einheimischen
Künstlern und Arbeitern hergestellt ist. Auch die ge-
sammte ebenso geschmackvolle, wie komfortable Einricht-
ung ist bis auf das kleinste Stück hinunter rein russi-
schen Ursprungs. Eine ganze Kolonie von Ziegeleien
und allen möglichen Werkstätten befand sich hier mitten
im wilden Forst während des Baus. Alles wurde an
Ort und Stelle bergestellt, und das Mobiliar z. B.
besteht ausschließlich aus örtlichem Holz. Auch alle
reich verwendete Kunstschmuckarbeit stammt aus dem
Grodno'schen Gouvernement, ebenso wie die schönen Ma-
jolikakacheln der Oefen und Kamine. Weißes Ahvrn-
und Lindenholz, dunkel gebeiztes oder naturfarbenes
Eichenholz wurde zur Verkleidung der Wände und Decken
und zu den Möbeln benutzt, deren Polster mit Leder
oder Kattun bezogen sind, und deren Formen oft sehr
In letzter Zeit ist der riesige Jagdforft von Belo-
Svesch wiederholt genannt worden. Dort hatte der Kaiser
von Rußland mit seiner Familie Erholung
gesucht nach den an Erregungen und Stra-
pazen reichen Tagen des Warschauer Besuches
und der großen Feldübungen
gegend von Bialystok. —
aller Jagdfreunde Eu-
ropas ist der riesige Forst
bekannt als der einzige Ort — außer
einigen Punkten im Kaukasus —, wo
in Europa noch Auerochsen Vorkom-
men. Uebrigens hat man dieser Tage
gerade den Versuch gemacht, diese
wilde Rinderart nach Norden zu ver-
pflanzen, indem in den Wildpark von
Schloß Gatschina bei St. Petersburg
ein Stier und eine Kuh der aussterb-
enden Art übergesührt worden sind.
Der gewaltige Jagdgrund liegt ge-
rade in der Mitte des Gouverne-
ments Grodno und umfaßt heute
<ca. 103,000 da hügeligen Geländes,
wovon der weitaus größte Theil auf
Waldbestand — riesige Nadelholz-
bäume, Lärchen und Eichen zumeist
— entfällt. In diesem Forstdickicht
streifen nicht nur die Heerden der
mächtigen, zottig langhaarigen, un-
geheuer wilden und bösen Auerochsen,
sondern Hausen auch schwere Hirsche
und Elenthiere, leichtfüßige Rehe, Wölfe, Füchse, Luchse,
Marder und zahllose Eichhörnchen. Wahrhaft gesegnete
Jagdgründe, deren Erhaltung sich das Hofministerium
denn auch besonders angelegen sein läßt. Nicht bloß
das jetzige kaiserlich russische. Bereits im 16. Jahrhundert
setzte das „lilthauische Statut" eine strenge Strafe auf
die Tödtung von Auerochsen, und von Alters her war
der Forst mit seinem reichen und seltenen Wildbestande
der Jagd der Könige und Zaren Vorbehalten. Katha-
rina II. überließ manche Theile ihren Günstlingen als
Geschenk; ihr Sohn Alexander I. aber bestimmte das
ganze Gebiet zu einem unveräußerlichen Besitz des
Staates. Unter seinem Nachfolger Nicolaus I. wurde
diese Domäne dann behufs vernünftiger Forstwirthschast
in 541 Parzellen getheilt, jede von zwei Ouadratwerst
Umfang. Sie war damals beträchtlich kleiner als jetzt,
wo die Zahl dieser Parzellen sich bereits auf 934 beläuft.
-Seit 18 Jahren ist das Grundstück den kaiserlichen Apa-
originell sind. Die Wände zeigen zwischen Panneaux
mit Kattuntapeten oder mit lichttönigen Malereien auch
schöne gebrannte Ornamente. Die Decken- und Wand-
malerei bringt neben Jagdmotiven auch mythologische
und allegorische, sowie schöne Blumenstückc. Das Ka-
binett des Kaisers ist über der hohen unteren Holzver-
kleidung ganz mit gepreßtem Elenleder ausgeschlagen.
Schwere, lederüberzogene Eichenmöbel von eigenartigsten
Formen bilden seine Einrichtung. In einem der Gast-
zimmer ist unter Anderem ein Tisch zu sehen, dessen
mächtige Platte in einem Stück aus einem 350 Jahre
alten Eichenstamme im Querschnitte herausgesägt worden
ist. Besonders schön ist die architektonische Holzorna-
mentik im Hauptsalon: Alles in Hellen Tönen gehalten,
die Wände durch Pilaster und Simse reich gegliedert;
dazwischen Panneaux mit Blumenstücken, die Decke mit
drei großen, von Amoretten belebten Medaillons. Unter
dieser Regierung ist noch ein zweites kleineres Gebäude
hinzugekommen; es ist für einen Theil
der Suite und für Forst- und Ler-
waltungsbeamte bestimmt. Die ganze
Einrichtung besteht aus Erzeugnissen
der Hausindustrie. Auch eine schöne
Kirche, aus rothem Backstein, zu der
bereits Alexander III. den Grundstein
legen ließ, die aber erst 1895 einge-
weiht wurde, erhebt sich ganz in der
Nähe des Hauptschlofses. Sie ist in
gothischem Stile erbaut. Als farbiger
Schmuck sind innen und außen viel
Majoliken verwendet worden. Aus
Majolika z. B. bestehen auch alle
Rahmen der Heiligenbilder, ja sogar
der ganze Ikonostas (Altarzwischen-
wand) in altrussischem Stil. Der
Oberverwaller des ganzen so reiz-
vollen Besitzes lebt im Flecken Be-
lowesch selbst. Ihm unterstehen gegen
1500 Wirthschafts- und Forstver-
waltungseinheiten, und mit allen ist
er telephonisch verbunden. Anch elekt-
rische Beleuchtung ist im Schlosse, in
den Nebengebäuden, im Garten hergerichtet, und feenhaft
erstrahlte jetzt während des kaiserlichen Besuches der
nach jeder Seite hin moderne Jagdfitz inmitten des
finsteren, schier undurchdringlichen Riesenforstes. Die 25
km lange Zweigbahn, die erst in diesem Jahre erbaut
wurde und vom Hauptstrange direkt nach Belowesch
führt, zieht sich auf 19 km ohne eine einzige Kurve
schnurgerade durch den Wald, dessen uralte Riesen mit
ihren mehr als 100 Fuß hohen Gipfeln zum Theile
nur immer einmal im Jahre während der kurzen Tage
der Kaiserjagd aus ihrer beschaulichen Ruhe aufgeweckt
werden durch zeitgenössisches rasselndes und zischendes
Eisenbahngetriebe. . . . Dann versinkt alles wieder in
tiefes Schweigen. Wie schlafbefangen liegt in tiefer
Waldesdämmerung das moderne Dornröschenschlotz da
und ringsum wähnen sich dann die Auerochsen und all
das übrige Wildgethier die einzigen Herren des uralten
Dickichts.
nagen zugereiht worden. Das geschah also unter Alex-
ander III., der diesem Jagdforste überhaupt großes
Interesse entgegenbrachte und unter anderem auch, kurz
vor seinem Tode, hier ein schönes Jagdschloß in engl.
Cottage-Style errichten ließ. Es steht auf einer von
der Narewka durchströmten Lichtung und ist heute von
prächtigen Blumengärten umgeben — ein eigenartiger
Gegensatz zu dem Urwalde unmittelbar ringsum, den
übrigens jetzt eine zum Schlosse führende Eisenbahn
durchquert. Zwei Thürme schmücken den zweistöckigen,
aus gelben und rothen Ziegeln auf hohem Fundamente
von Haustein aufgeführten Bau. Man denke übrigens
bei der Bezeichnung „cottaAs" nicht an etwas räumlich
Kleines, denn das Schloß zählt nicht weniger als 120
Wohn- und Wirthschaftsräume, die rings um den hohen
Treppenflur gruppirt sind. Die kaiserlichen Gemächer
befinden sich im zweiten Stock, nach Berliner Ausdruck-
weise aber im ersten, als welcher im Russischen gewöhn-
Auslage 5000. ^ Versteigerungen und Alterthumskunde. Auflage 5000
Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Reinsburgstr. 44, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
gegründet 1881, prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, München, Berlin, Paris, Gent und London.
Nr. 52.
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Stuttgart, 22. Dezember 18S7.
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5. Jahrgang.
ist
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