Verbürgte
Auflage 5000.
Zentral-OrganfürSammeLwesen,
Versteigerungen «nd Alterthumskunde.
Verbürgte
Auflage 5000.
Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Udo Beckert in Stuttgart, Böbltngerstr. 2, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
gegründet 1881, prämiirt mit goldenen Medaillen in Stuttgart, München, Berlin, Paris, Gent und London.
Nr. 40.
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Deutschland u. Oesterreich 2.50
vierteljährlich, Ausland 3.—
Stuttgart, 2S. September I8S7.
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Die Nonpareillezeile oder deren
Raum so Pfg., Auktionen so Pfg.
5. Jahrgang.
Gefälschte Autogramme.
Um gefälschte Luther-Handschriften handelte es sich
M einem Betrugsprozeß, der neulich vor der dritten
Strafkammer des Landgerichts I in Berlin stattstand.
Aus der Untersuchungshaft wurden der Händler Ernst
Hermann Kyrieleis und Ehefrau Anna Kyrieleis, geb.
Lühr, vorgeführt. Sie sollen gemeinschaftlich Betrüge-
reien eigener Art begangen haben; dem Ehemann wer-
den 18 vollendete und 12 versuchte, der Ehefrau 16
vollendete und 8 versuchte Fälle zur Last gelegt. Die
Staatsanwaltschaft hatte Mühe gehabt, das Belastungs-
material zusammenzutragen und zu sichten, da die An-
geklagten sich ein weites Gebiet als Schauvlatz ihrer
schwindelhaften Thätigkeit auserkoren hatten; die Be-
trugsfälle spielten in 16 großen Städten Deutschlands
und Oesterreichs. Der Ehemann Kyrieleis soll ein be-
sonderes Talent zur Nachahmung von Handschriften be-
sitzen und sich durch fortgesetzte Uebung die Eigenschaft
angeeignet haben, die Handschrift Luther's in täuschend
ähnlicher Weise nachzuahmen. Im Jahre 1893 soll er
angefangen haben, diese Fähigkeit zu betrügerischen
Zwecken zu verwerthen. Er suchte sich Bibeln und Bücher
aus der Reformationszeit zu verschaffen und trug in
diese dann — gewöhnlich auf die letzte Seite — Bibel-
stellen oder auch von Luther selbst verfaßte Kirchenlieder
ein, an die er dann noch eine Widmung Luther's an
einen Freund knüpfte und darunter den Namen Luther's
setzte. Diese gefälschten Handschriften suchte er dann zu
möglichst hohen Preisen an den Mann zu bringen. Zu-
nächst suchte er Absatz durch Annonciren in auswärtigen
Zeitungen. Es meldeten sich auch Kauflustige, in den
meisten Fällen schickten sie aber die Bibel zurück, weil
sie an der Aechtheit der Handschriften zweifelten. In
einem Falle war es dem Angeklagten sogar begegnet,
daß er eine Bibel aus dem Jahre 1770 mit einer Hand-
schrift Luther's versehen hatte. Kyrieleis pflegte seine
Sendung mit einem Schreiben zu begleiten, worin er
erzählte, daß die Bibel 250 Jahre lang im Besitze seiner
Familie sei. Sie habe ursprünglich Luther gehört, sei
im dreißigjährigen Kriege an Gustav Adolf gelangt, und
von diesem habe einer seiner Vorfahren sie für treu ge-
leistete Dienste als Geschenk erhalten. Jetzt gebiete ihm
die Noth, sich von diesem werthvollen Erbstück zu trennen.
Wie die Anklage annimmt, hat Kyrieleis Jahre lang
„Luther's Autogramme" in großer Anzahl angefertigt.
Dann ging er mit seiner Ehefrau auf Reisen, und diese
mußte den Verkauf der Bücher bewerkstelligen. Bevor
das Ehepaar Berlin verließ, wurde hier folgender Be-
trug ausgeführt. Am 9. März 1896 brachte Frau Ky-
rieleis ein mit einer angeblichen Handschrift Luther's
versehenes Exemplar von Spangenberg's „Auslegung
von Episteln" zur GenerÄve'waltnng der königlichen
Bibliothek und bot es dem Direktor Rose zum Kauf
für 50 Mark an. Sie wußte dabei ihre angebliche
Nothlage in so beweglicher Weise zu schildern, daß Pro-
fessor Rose und sein Amtsgenosse, Professor Stern, der
Angeklagten je fünf Mark schenkten. Prof. Rose ließ
sich dann auch bewegen, das Buch aus eigenen Mitteln
für 100 Mark anzukaufen. Im April desselben Jahres
befand das Ehepaar sich in Leipzig. Frau K. begab sich
hier zum Pfarrer Dr. Georg Buchwald, der einen be-
suchter Handschuh mit messingenen Randeinfassnngen und Knöchel-
wülsten, gekehlt und mit ausgezackten Folgen. Der Daumen ist an
der Scharniere hängend. Von einem Harnische des Erzherzogs Sig-
mund von Tyrol. Deutsche Arbeit um 1480.
deutenden Ruf als Kenner von Luther-Handschriften besitzt.
Sie überreichte ihm das mit einem Luther-Autogramm ver-
sehene Werk: „Xoetss ^.ttieaa" von Aulus Gellius und bat
ihn, es für den Leipziger Professor v. Gebhardt zu begut-
achten und zu bewerthen. Dr. Buchwald schätzte den Werth
des Buches auf 250 Mk. Darauf ging Frau K. zum Prof,
v. Gebhardt und bot ihm unter Vortrag einer rührenden
Geschichte das Werk zum Kauf an. Ihre Bemühungen
waren umsonst und ebenso ein anderer Versuch bei einem
Leipziger Buchhändler. Schließlich gelang es ihr, das
Buch gegen 50 Mark zu verpfänden. Die Angeklagte
ging nach Berlin zurück und machte von hier aus Ab-
stecher nach Halle, Göttingen, Rostock, Bremen, Hamburg
und Lübeck, überall Werke mit gefälschten Luther-Auto-
grammen anbietend. Schließlich ging das Ehepaar nach
Wien. Dort gelang es den Angeklagten, Werke für
etwa 1000 Gulden abzusetzen, stets unter der Vorspiegel-
ung, daß nur die Noth sie dazu treibe, sich von den
kostbaren Erbstücken zu trennen. Von Wien reisten die
Angeklagten nach München. Hier zeigt Frau K. dem
Direktor der königlichen Hof- und Staatsbibliothek, von
Laubmann, drei Bücher mit Luther-Handschriften, tischte
wieder ihre alte Erzählung auf und bat ihn, die Hand-
schriften zu prüfen und ihr Aechtheit zu bescheinigen.
Direktor von Laubmann ließ sich täuschen und stellte die
Bescheinigung aus. Darauf gingen die Angeklagten zu
einem Antiquar in München und verkauften nicht nur
diese drei Bücher, sondern noch weitere elf Bücher mit
gefälschten Luther-Handschriften für 1700 Mark. Einige
Tage später tauchte das reisende Ehepaar in Mailand
auf. Dort gelang den Angeklagten ein Hauptstreich;
der Buchhändler Ulrico Hoepli ließ sich von ihnen falsche
Handschriften für 4000 Lire aufhängen. Bald darauf
aber wurde das gefährliche Ehepaar verhaftet. Zu der
Verhandlung waren als Sachverständige geladen: Me-
dizinalrath Dr. Long, Direktor Dr. Kortüm, Dr. Perl,
Professor Dr. Koeppen und Direktor Dr. Gerstenberg,
sowie der Gerichtschemiker Dr. Jeserich. Der Angeklagte
K. ist früher schon einmal wegen Urkundenfälschung und
Betruges zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt worden.
Das Reichsgericht hatte das Urtheil aufgehoben und in
der neuen Verhandlung wurden Zweifel an der Zu-
rechnungsfähigkeit des Angeklagten laut; Kyrieleis wurde
der Irrenanstalt Hildesheim zur Beobachtung überwiesen
und auf Grund des Gutachtens des Direktors Dr. Gersten-
berg als geisteskrank vorläufig außer Verfolgung ge-
setzt. Der Sachverständige Dr. Long, der bei seiner
Begegnung mit dem Angeklagten K. Bedenken über dessen
Zurechnungsfähigkeit hegte und seine Beobachtung in
einer Irrenanstalt anordnete, bekundete, daß der An-
geklagte sich ihm als „Jesus XIX." vorstellte. Direktor
Dr. Gerstenberg wiederholt sein früheres Gutachten da-
hin, daß der Angeklagte, der zahlreiche körperliche Ano-
malien zeigte, auch geistig nicht normal sei. Dieses Gut-
achten bezieht sich jedoch nur auf die Jahre zurückliegende
Zeit der Beobachtung durch diesen Sachverständigen.
Im Jahre 1894 war gegen den Angeklagten K. ein
Verfahren wegen Verleitung zum Meineide eingeleitet
worden, und auch in diesem Verfahren war die Unter-
suchung seines Geisteszustandes nothwendig. Oberarzt
Prof. Dr. Köppen, dem diese Untersuchung in der Cha-
ritee oblag, bekundet, daß man dort den Angeklagten
zunächst für einen Simulanten hielt; die sorgfältig ge-
sammelten Daten über sein Vorleben und seine erbliche
Belastung haben aber gar keinen Zweifel darüber ge-
lassen , daß der Angeklagte ein im höchsten Maatze pa-
thologisch veranlagter Mensch ist, der zur Zeit geistes-
krank war. Ueber den heutigen Zustand des Angeklagten
kann der Sachverständige nichts aussagen. Er hat s.
Z. den Angeklagten als gemeingefährlich bezeichnet und