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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 27.1911

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Högg, Emil: Die Architektur auf der Brüsseler Weltausstellung 1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.35084#0012

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Seite 2.

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

1911, 1.

Standpunkt zu dem vorgelagerten Gartenplatz gewinnen und
geriet dann unvermittelt in eine der Nebenstraßen, die sich
zwischen einem Wirrsal von großen und kleinen Pavillons
auftaten. Erwischte man die richtige, so kam man schließ-
lich auf den zweiten, tiefer liegenden Gartenplatz, der von
allerlei Monumentalbauten zweifelhafter Güte umsäumt war
und dessen unverhältnismäßiger Ausdehnung wir die Rettung
der seinen Eckabschluß bildenden deutschen Abteilung ver-
danken.
Vergebens suchte man in dieser beunruhigenden Fülle der
Eindrücke eine die Massen meisternde Hand, vergebens eine
Ausnutzung der so überaus günstigen Höhenunterschiede des
Geländes, vergebens eine Verwendung des üppig grünen Hinter-
grundes, den das Gehölz des Parks bot, vergebens überlegte
perspektivische Wirkungen, geschlossene Architekturbilder, künst-
lerische Steigerung. Es läpperte sich eben so weiter und löste
sich schließlich ganz allmählich und unmerklich in den sehr
geräumigen Vergnügungsvierteln auf.
Die Architektur der einzelnen Gebäude dieser Stadt aus
Gips uiid Pappe würde zu einer nicht minder herben Kritik
Anlaß geben. Doch — de mortuis nil nisi bene! So sei denn
nur beiläufig gesagt, daß es für den deutschen Geschmack schwer
fällt, zu verstehen, wie die romanischen Völker sich heute noch
in der Wiederholung von barockisierenden Palastmotiven gefallen
können, die wir seit immerhin 12—15 Jahren endgültig als
unerlaubte Gedankenlosigkeiten auf die Seite gelegt haben.
Nicht minder staunten wir über die große Zahl von Nach-
bildungen historischer Backsteinbauten in Gips, wie z. B. das
Rubenshaus, das Haus der Stadt Brüssel, das der Stadt Gent
usw. Wir kennen diese Art Ausstellungsarchitektur von dem „Alt-
Berlin“ der Treptower Veranstaltung 1896 her, und so wird sich
auch jeder Harmlose über das stimmungsvolle „Alt-Brüssel“, die
so jählings verschwundene „Kermeß“, herzlich gefreut haben.
Endlich ließ man auch gerne noch den altehrwürdigen hollän-
dischen und belgischen Städten die Freude an ihrer stolzen
Vergangenheit, obgleich hier der Gegensatz zwischen dem
Renaissancegewand und dem modernen Inhalt oft recht störend
hervortrat. — Wenn aber ein Staat wie Holland nichts Besseres
zu tun wußte, als seinen großen Repräsentationshallen nach
außen hin in derselben Scheinbacksteinarchitektur die Gestalt
eines holländischen Rathauses mit grünen Fensterläden in drei
Scheinstockwerken zu geben, so hat man wohl Ursache, über
solche Anspruchslosigkeit aufrichtig betrübt zu sein. Holland
ist doch ein Land, durch dessen Baukunst heute wieder ein
frischer Zug geht! Holland hat doch Architekten! Warum ließ
es hier so gar nichts davon merken?
Folgerichtig baute sich Marokko einen marokkanischen
Tempel, Italien einen Sieneser Palazzo und Spanien eine kleine
Alhambra. Alles ganz nett, aber natürlich ohne allen Anspruch
auf künstlerische Bewertung. England, Frankreich, Österreich
usw. traten mit Außenarchitektur überhaupt nicht in die Er-
scheinung; sie hatten sich unvorsichtiger Weise in die großen
Eisenhallen hinter der belgischen Abteilung hineinnötigen lassen.
Diese Eisenhallen waren primitive Nutzkonstruktionen; die Be-
mühungen, ihr nacktes Gerippe architektonisch zu behandeln,
machten den Eindruck flüchtiger Augenblicksdekorationen im
Riesenkarussellstil. Nur England hatte es verstanden, mit ein-
fachen Mitteln vornehm zu wirken, indem es die Decke seiner
weiträumigen Halle mit weißen, halbdurchsichtigen Stoffen ver-
hängte und so ein diskretes, gleichmäßiges, milchiges Licht
über seine Schaustellung fluten ließ. Vermutlich haben diese
feuergefährlichen Stoffe die Vernichtung der englischen Abteilung
beschleunigt.
Auch die einheitliche Durchbildung und gefällige Auf-
stellung der Schränke und Pavillons stand hier in wohltuendem
Gegensatz zu dem unübersichtlichen Gedränge von Buden und
Kojen, durch das man sich in den Hallen der übrigen Länder
winden mußte.
Die Architektur des deutschen Hauses, seiner Hallen und
Innenräume darf ich als bekannt voraussetzen. Die vom Reichs-
kommissar autorisierte Ausgabe „Deutschlands Raumkunst“ führt
ja diesen Teil der Weltausstellung in erschöpfender Bilderreihe
vor. Mancher mag bedauern, daß wir bei einer für die inter-

nationale Einschätzung der deutschen Baukunst so wichtigen
Gelegenheit nicht etwas kühner aus uns herausgetreten sind,
daß wir der zumeist noch in Stilnachahmung befangenen Welt
nicht einen überzeugenderen Beweis von der Kraft gegeben
haben, mit der das junge Deutschland nach baukünstlerischem
Ausdruck ringt. Diese doch etwas allzu vorsichtige und lokal
gefärbte Münchner Putzarchitektur steht nicht so recht in geistiger
Fühlung mit der Raumkunst, die dahinter sich entfaltet. Immer-
hin wollen wir damit zufrieden sein, daß das deutsche Haus so
ziemlich die einzige Leistung auf dem weiten Brüsseler Aus-
stellungsfelde war, die als wirkliche Baukunst angesprochen
zu werden verdient.
Überzeugender verkündeten das Lob der deutschen Archi-
tekten unsere Ausstellungshallen. Da war alles straffe Einheit-
lichkeit in Form und Farbe, aus der Konstruktion und Ordnung
abgeleitete Schönheit, Übereinstimmung des Raumes mit den
ihn füllenden Gegenständen — welch ein ruhiges, überlegenes
Bild im Vergleich mit der Zerfahrenheit in den Hallen der Belgier,
der Italiener, der Franzosen.
Viel Rühmliches wäre ferner zu sagen über die deutsche
Raumkunst. Doch möge die kurze Feststellung genügen, daß
die emsige Arbeit unserer Künstlerschaft und die in einer Reihe
von Raumkunstausstellungen während der letzten Jahre gesammelte
Erfahrung hier in einer großzügigen, sicher geleiteten, reifen
Schöpfung zur Geltung kommt. Dem Eindruck, daß ein starker
und lebensfähiger Wille zu künstlerischer Betätigung am Werke,
daß ein junger Stil geboren ist, werden auch diejenigen Völker
sich nicht verschließen können, die noch kein Ohr für die neue
Formensprache haben.
Über die raumkünstlerischen Leistungen der anderen
Nationen ist dagegen wenig zu sagen: England, unser Lehr-
meister, hatte sich mit der Vorführung historischer Möbelgruppen
begnügt. Österreich, das uns seinerzeit die englische Bewegung
übermittelt hat, und dessen Jung-Wiener Schule hier ein Feld
der Ehre hätte finden können, fehlte ganz. Und die romanischen
Länder sind offenbar nach den modernen Seitensprüngen der letzten
zehn Jahre reumütig zu ihren Louis-seize-Zimmereinrichtungen
mit Gobelinbezügen und Vergoldung zurückgekehrt und haben
darauf verzichtet, an der Schaffung einer neuen angewandten
Kunst mitzuarbeiten. Mit großem Geschick waren daher die
Stilnachahmungen jeglicher Schattierung gemacht, während die
vereinzelten Versuche, selbständiger vorzugehen, recht schwach
ausgefallen waren. Es fehlt der innere Trieb. Nur die Werke
einer kleinen, aber Aufsehen erregenden Gruppe, welche Frank-
reich in seinem „Salon des arts decoratifs“ vorführt, möchte ich
davon ausnehmen. Es war ein elegant und graziös ausgestalteter,
pavillonartiger Raum am Ende der französischen Abteilung, und
er barg das Erlesenste und Feinste, was Paris an modernem
Kunsthandwerk zu bieten vermochte, vom Lalique-Schmuck und
Galle-Glas bis zur luxuriösen Zimmereinrichtung. Mochten die
Formen nach unserer Auffassung auch noch stark an den für
uns verflossenen Jugendstil anklingen, so lag doch in allen
hier vereinigten Werken ein ernster, einheitlicher Wille, vorwärts
zu kommen, verbunden mit raffiniertestem Geschmack und einer
Vollendung in der technischen Ausführung, der wir nichts Gleich-
wertiges an die Seite zu setzen haben. Eine sehr lesenswerte
Abhandlung über die Ursachen, aus denen das französische
Publikum sich solchen Leistungen gegenüber in jeder Art ab-
lehnend und verständnislos verhält, findet sich in der April-
nummer der Zeitschrift „L’art decoratif“, als Einleitung zu einer
ausführlichen Schilderung genannter Abteilung.
Beim Durchwandern der deutschen Räume drängt sich dem
Beschauer die Überzeugung auf, daß hier der tote Punkt in
der Entwicklung endgültig überwunden ist, daß eine von Stil-
imitation befreite, dem Geiste der Zeit entsprechende angewandte
Kunst in Deutschland eine Pflegestätte und Heimat gefunden
und sich zu allgemeiner Anerkennung durchgerungen hat. Daß
andere Nationen dies heute vielfach noch nicht begreifen oder
zugeben wollen, daß sie dem „stile allemand“ zumeist noch
verständnislos gegenüberstehen, beeinträchtigt keineswegs die
Wucht der Tatsache, welche durch die Brüsseler Weltausstellung
dem Erdkreis bekanntgegeben worden ist. Und darin liegt für
uns ihre Bedeutung. E. Högg.
 
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