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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 27.1911

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Heft 11
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Pfeifer, Hermann: Hornburg, ein Meisterwerk des niedersächsischen Städtebaues
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https://doi.org/10.11588/diglit.35084#0137

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1911, u.

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Seite 127.



Hornburg, Abb, 3. Häuser Pfarrhofstraße 60/61 (Standpunkt 7).

Hornburg, Abb. 4. Haustür am Schloßberg 107.

und 24,

In dem alten Merianschen Stadtplan von Hornburg mit der
Belagerung von 1641 sehen wir in der Wasserstraße den offenen
Wasserlauf des von der Ilse abgezweigten Stadtbaches. So
war es noch vor etwa 35 Jahren: Zu beiden Seiten der Wasser-
straße schmale Bürgersteige auf niedrigen Kaimauern; einige
Klappbrücken, „Klippen“, geländerlose Stege, führten über den
vertieften Wasserlauf in der Mitte; jede „Klippe“ mußte von dem
angrenzenden Bürgerhause aus aufgezogen werden, wenn ein
Wagen durch die Wasserstraße fahren wollte; zur Nachtzeit ein
eigenartiges Vergnügen für den Fuhrmann, wenn er alle Klippen-
bürger aus dem Schlafe trommeln mußte, oder auch zur Winters-
zeit! Man kann es den Homburgern nicht verübeln, wenn sie
schließlich das malerische Bild des Stadtbaches opferten, ihn
überwölbten und die Wasserstraße pflasterten. Immerhin belebt
noch heute das Wasser an mehreren Stellen, bei den Mühlen und
an der Hagengasse, das Stadtbild in anmutiger Weise.
Wir sind bei der Kirche angelangt, setzen aber zunächst
unsere Entdeckungsreise fort. Im Vorbeigehen werfen wir einen
flüchtigen Blick in den malerischen „Brauerwinkel“, sind aber so
überrascht von der Schönheit des ab-
schließenden Patrizierhauses Nr. 293,
daß wir einen interessanten Hof da-
hinter vermuten; und in der Tat finden
wir dort eine noch schönere Grup-
pierung und Ausbildung des Baues
als an der Straßenseite. In Horn-
burg zählt es nicht zu den Selten-
heiten, daß die Häuser nach der Hof-
oder Gartenseite reicheren Schmuck
zeigen als nach der Straße: es sind
keine „Blender“, und so gehört es sich.
Nun weiter am schlichten Rat-
haus (im Plan „A“) vorüber durch die
platzartige Ausbuchtung, die zum
Pfarrhofwinkel hinabführt (Tafel 109,
Standpunkt 4 und 5) in die Pfarr-
hofstraße. Bild reiht sich an Bild,
nach allen Seiten hin; auch farbig
reizvoll durch den Wechsel des An-
strichs der Häuser in Blaugrün, Gelb-
grau, Schieferton, Grün, Rot, Weiß;
darüber das einheitliche Rotbraun der
Dächer.
Beim Pfarrhofstor öffnet sich
der Blick hinaus in die freie, schöne

pflaster, sondern einen Knüppel¬
damm, wie ihn zum Beispiel auch
der ursprünglich viel tiefer liegende
„ Bohlweg“ in Braunschweig enthielt.
Durch eine Türe mit lustiger
Rokokoschnitzerei treten wir in das
Haus des Schützenhauptmanns Rühe,
der uns mit großer Liebenswürdig¬
keit die mittelalterlichen Urkunden,
Schützenketten, Becher und die
künstlerisch entzückend geschmück¬
ten alten Rechnungsbücher der
Homburger Schützengesellschaft
zeigt. An der nördlichen Seite der
Straße befindet sich ein eigenartig
zurückgesetztes Haus Nr. 336 —
dem Stellmachermeister Jürgens ge¬
hörig — mit malerischem Wirt¬
schaftshofe davor und mit einer
fast noch malerischeren Diele, deren
reizvolle Raumwirkung,Lichtführung
und Stimmung in der Aquarellauf-
nahme von Prof. Gg. Zeidler auf
Tafel 110 wiedergegeben ist. Eine
sehr kühne Konstruktion zeigt die
Wange der Wendeltreppe in diesem
Raume, welche nicht, wie sonst
üblich, aus einzelnen Krümmlingen
zusammengesetzt, sondern aus einem einzigen ganz dünnen Brett
hergestellt ist, welches in Schraubenlinie um einen Zylinder
gebogen wurde.
Nur langsam geht unsere Wanderung vorwärts; allenthalben
hält uns Interessantes fest, überall erzählen uns die Bauten vom
alten Bürgerstolz und von der gediegenen Kunstfertigkeit der
Handwerksmeister und fordern zu Vergleichen mit der Baukunst
unserer Tage heraus. Wir biegen ein in die Wasserstraße, die
sich in sanften Windungen vom Braunschweiger Tor bis zum Kirch-
hofsplatz hinaufzieht. Zur Rechten (Standpunkt 2 auf Tafel 109)
schaut die Kirchturmspitze ein wenig in das Bild herein. Wir
wandern aber zuerst hinunter zu der platzartigen Verbreiterung, an
welche sich noch der „Unterpfarrwinkel“ anschließt. Derartiger
kleiner Sackgassen, „Winkel“, besitzt Hornburg eine große Zahl,
den „Pfarrhofswinkel“, „Brauerwinkel“, „Schinderwinkel“ und viele
andere. In den neueren Bestrebungen des Städtebaues sucht man
mit Recht das Behagliche der Sackgasse in Wohnvierteln, das
buchtenartige Zurückspringen mehrerer Wohnhäuser hinter die
eigentliche Straßenbauflucht wieder einzuführen. Den Eng-
ländern ist es in ihren Gartenstädten,
z. B. in Hampstead, bereits gelungen.
Wir wenden uns wieder nach
rückwärts. Da fällt unser Blick auf
die höchst gelungene Lösung eines
Erkers in der einspringenden Ecke
zwischen den Häusern 23
gerade über der Torfahrt. (Abb. 1,
nach einer Aquarellskizze des Ver¬
fassers.) Kann man sich ein innigeres
Verwachsen der beiden Häuser denken?
Mit einfacher Balkenauskragung und
mit einfachem Schleppdach ist eine
äußerst malerische Wirkung erzielt.
Aber nicht einem malerischen Motiv¬
ehen zuliebe, sondern aus rein sach¬
lichen Erwägungen heraus und mit
rein konstruktiven Mitteln haben die
Alten hier einen doppelten praktischen
Vorteil erzielt: Gedeckte Einfahrt und
Raumvergrößerung durch den Erker!
An solchen aus gesunder Sachlich¬
keit hervorgegangenen malerischen
Lösungen ist Hornburg unendlich
reich; ja die ganze Stadtanlage setzt
sich daraus zusammen.
 
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