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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 27.1911

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Heft 11
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Pfeifer, Hermann: Hornburg, ein Meisterwerk des niedersächsischen Städtebaues
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https://doi.org/10.11588/diglit.35084#0140

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Seite 130.

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

1911, 11.


der stolzen Giebelseite nach der Straße zu, wobei
aber durch die Stellung der First- und Trauf-
linien senkrecht zur Straßenrichtung Wassersäcke
und Schneerinnen über den Nachbarmauern oder
enge Schluchten, „Bauwiche“, entstehen.
Bei dem Homburger Reihenhausbau sehen
wir nur da, wo eine Querstraße einmündet, den
Giebel in das Bild hereinragen, wobei dann in
dieser Querstraße die Traufe sich zeigt. Welch
reiche Linien der Dachumrisse und des „Himmels-
ausschnittes“ im Bilde ergeben sich durch diese
sachlich beste Lösung ganz von selbst! (vergl.
Standpunkt 1 der Tafel 109 und den Stadtplan
[Tafel 9, Rückseite] sowie Abb. 3).
Die sichtbar bleibenden Flächen der Brand-
giebel an dem Zusammenstoß der „traufenständigen“
Reihenhäuser sind meistens mit Dachpfannen be-
hängt oder als Fachwerk gezeigt (Abb. 3) oder
auch nur mit Brettern verschalt (Abb. 1). Die
Dachhaut ist einfach über den Brandgiebel vor-
gezogen: konstruktiv und ästhetisch wohl die
beste Lösung! Was würde dazu der nach unseren
Bauordnungen reglementierte „königlich preußische
Brandgiebel“ sagen?
Wie zweckmäßig, scheinbar selbstverständlich
fügen sich die Einfahrten zu den Wirtschaftshöfen
der Ackerbürgerhäuser in dieses durchgehende
Dachsystem ein (Abb. 1, 3 und 7).
Wie schon aus dem Stadtplan ersichtlich ist,
wo die Wohngebäude dunkel, die Scheunen,

Hornburg, Abb. 7. Blick in die Vorwerkstraße ostwärts (vom Standpunkt 6).
Nun weiter zur Marktstraße und zu der marktplatzartigen
Verbreiterung in ihrer Mitte, einem Glanzpunkt der Stadt! Der
Blick vom Standpunkt 3 (Tafel 109) zeigt uns das reich ver-
zierte Behrsche Haus mit seinem mehrfach in der Balkenrichtung
vorgekragten Erker (vergl. auch die geometrische Aufnahme
Abb. 5). Ein anderer wuchtiger monumentaler Fachwerkbau,
welcher dieses Plätzchen gegen den angrenzenden großen Platz,
den „Ruckshof“, abschließt, war in Gefahr, abgebrochen zu werden,
um einen großen Platz zu schaffen. Es kann den städtischen
Behörden, im besondern dem Bürgermeister Brinkmann und
dem Beigeordneten Vordermann, nicht hoch genug angerechnet
werden, daß sie das Gebäude, welches nunmehr in städtischen
Besitz übergegangen ist, vor dem Abbruche geschützt haben.
Während wir jetzt diesem Bau die schöne Gruppierung von
zwei kontrastierenden Plätzen verdanken, würde nach dessen
Beseitigung nur ein Platz entstanden sein, der für die Hom-
burger Verkehrsverhältnisse unmotiviert groß wäre. Gleichzeitig
würde durch den Abbruch der intime Reiz des so prächtig sich
zusammenschließenden Marktplätzchens ohne Grund zerstört
worden sein.
Wir beschließen unseren ersten Rundgang bei der Kirche
Unser lieben Frauen, die noch viel Sehenswertes bietet. Aus-
führlicheres hierüber in den obenerwähnten „Bau- und Kunst-
denkmälern“.
Bei unserem Streifzuge durch Hornburg konnten wir das
einheitliche getreue Bild einer mittelalterlichen Stadtanlage,
welche gerade wegen ihrer bescheidenen Ausdehnung so über-
sichtlich bleibt, in vollen Zügen genießen. Seit dem Wieder-
erwachen der städtebaulichen Studien haben wir uns daran ge-
wöhnt, eine Stadt als Gesamtorganismus, als ein einheitliches
Kunstwerk zu betrachten, wobei die ganze Anlage der Straßen
und Plätze und die Stellung der Bauten und Baumassen zu-
einander von größerer Bedeutung erscheint als der Reichtum
der Fassaden. Das ist gleichzeitig eine wirtschaftliche Errungen-
schaft von hohem Werte.
In Hornburg finden wir die alte Braunschweiger Bauweise
des geschlossenen Reihenbaues, wobei die Satteldächer fast
ausnahmslos ihre Traufseite der Straße zukehren, also mit dem
First parallel der Straße laufen, eine Bauart, die gesünder ist
als die prunkvollere, z. B. in Lübeck oder Danzig übliche mit

Stallungen und anderen Wirtschaftsgebäude hell
angelegt sind, treibt die Mehrzahl der Bürger
Ackerbau. Und mit diesen Wirtschaftshöfen, Gärten
und teilweise anstoßenden Äckern ist auch die enge Bau-
weise der Straßen gerechtfertigt und bei der geringen Gebäude-
höhe noch heute als hygienisch nicht schlecht zu bezeichnen.
Wenn die Einwohnerzahl Hornburgs seit der vorletzten
Volkszählung etwas zurückgegangen ist — sie beträgt jetzt
rund 2700 Seelen —, so hängt das mit der heutigen traurigen
„Landflucht“ zusam-

men. Wer weiß, ob
nicht wieder einmal
ein Zurückströmen von
den Großstädten statt-
finden wird?
Bei der Betrach-
tung der Fachwerk-
bauten im einzelnen
fällt uns die Eigenart
des niedersächsischen
Ständerbaues in die
Augen. Wir können
die ganzen Umwand-
lungen verfolgen von
der Betonung der ein-
zelnen Konstruktions-
teile in der Gotik bis
zu den klassizistischen
Einflüssen der Nach-
ahmung von Stein-
bauten in Fachwerk.
Auch die Verwandt-
schaft der geschnitzten
Ornamente mit denen
von Braunschweig,
Goslar, Wernigerode,
Halberstadt ist nicht
zu verkennen, trotz
mancher eigenartigen
Schöpfungen. Nament-
lich ist es die nie ver-
sagende Wirkung der
volkstümlichen „Fächer-

Hornburg, Abb. 8. Haustür Marktstraße 102.
 
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