Schlimmer als das Nichtverstehen ist das Missverstehen. Es ist sehr häufig und dürfte sympto-
matisch für eine gewisse kulturelle Einstellung sein, die von Nikolaus Pevsner kürzlich mit dem
Begriff ,,the anti-pioneers" Umrissen worden ist. Während die reife, in sich vollkommene Gestaltung
einfach nicht wahrgenommen wird, wird die veraltete, über der die Patina der Historie liegt, zum
Objekt des Entzückens erhoben. Die Klamotte, die wir überwunden glaubten, wird zum Ideal. In
seiner ersten Phase entrichtete auch das Bauhaus — vor allem mit seinen keramischen Arbeiten —
seinen Tribut an die Zeit. Kann es der Sinn des Bauhauses sein, dass es, das so lebensvoll und
revolutionär sein wollte und war, vierzig Jahre hernach zur Brücke für die Flucht aus unserer
Gegenwart wird? ,,Any old Bauhaus?" Ich glaube nicht, dass das Bauhaus eine antiquarische
Angelegenheit ist, aber es ist nun einmal ein Faktum, dass viele (und besonders jüngere) Menschen
den Reiz der Decadence lieben und ihn auch auf das Bauhaus projiziert sehen möchten. Diese Sicht
verweist das Bauhaus zurück in die Geschichte und gesteht ihm eine gemässigte Aktualität
bestenfalls im Bereich der Vulgärgüter zu, deren der ,,kultivierte" Mensch nur mit Ueberdruss und
Langeweile gedenkt. Was bleibt vom Bauhaus dann noch?
Ich brauche wohl nicht zu beteuern, dass ich mich dieser verbreiteten Anschauung nicht
anzuschliessen vermag; denn sonst wäre es widersinnig, wenn ich betonte, dass das Darmstädter
Institut primär nicht ein Museum, sondern eine Arbeitsstätte konstruktiver Forschung sein soll. Es
ist für dieses Institut die Voraussetzung jedweder Aktivität, die conditio sine qua non, sich darauf
zu besinnen, worin die Bedeutung und die fortwirkende Aktualität des Bauhauses liegt. Immer
wieder müssen wir uns in Darmstadt mit dem Thema dieses Vortrages beschäftigen.
Vor einigen Monaten kam der Inhaber einer italienischen Firma zu mir, um sich um Lizenzen für
die industrielle Vervielfältigung einiger Bauhaus-Produkte zu bewerben. Die Auswahl, die ihm
vorschwebte, entsprach der Marktsituation. Dinge von zeitloser Gültigkeit, aber auch antiquierte
Formen, die mit jeder Rundung und jeder Kante davon zu erzählen schienen, wie schön die ,,golden
twenties" gewesen sind, waren dabei. In diesem Fall war es meine Aufgabe, den Enthusiasmus des
Fabrikanten zu bremsen und nur die Modelle zur Reproduktion freizugeben, die nach wie vor modern,
ja mehr noch: die vorbildlich sind. Die Hinterlassenschaft des Bauhauses an gestalteten Dingen
schrumpft, wenn wir Sie sehr kritisch betrachten und auf ihre bleibende Aktualität hin untersuchen,
beträchtlich zusammen. Aber allein schon das Vorhandensein einiger — und nicht einmal weniger
— Industrieprodukte von exemplarischem Wert bedeutet viel, denn wo gäbe es das noch, dass in
einer bestimmten geschichtlichen Situation und zu einem bestimmten Gebrauchszweck entworfene
Gerätschaften über eine ganze Reihe von Jahrzehnten hinweg allen technischen und formalen
Ansprüchen genügen, die man an sie stellen kann. Die Tatsache dieser exemplarischen Gestaltungen
reicht aber nicht aus, die Faszination zu erklären, die das Bauhaus ausübt und mit der es kritische
Menschen immer wieder bewegt. Das Bauhaus war mehr als nur eine Entwurfsanstalt für Industrie-
produkte, es war aber auch mehr als nur eine Kunstschule, so wichtig die kunstpädagogischen
Methoden immer gewesen sein mögen, die es entwickelt hat. Mies van der Rohe sagte einmal:
,,Das Bauhaus war eine Idee, und ich glaube, dass die Ursache für den ungeheuren Einfluss, den das
Bauhaus auf jede fortschrittliche Schule in der Welt gehabt hat, in der Tatsache zu suchen ist, dass
es eine Idee war. Eine solche Resonanz kann man nicht mit Organisation erreichen und nicht mit
Propaganda. Nur eine Idee hat die Kraft, sich so weit zu verbreiten."
Diese Idee war sehr komplex, man kann sie nicht auf einen einfachen Nenner bringen; aber wenn
schon eine knappe Definition nicht möglich ist, so müssen wir doch versuchen, uns ihr anzunähern.
Als Idee ist das Bauhaus der, wie ich meine, mithin bedeutungsvollste kulturelle Exponent seiner
Zeit. Wir sind — das muss gesagt und bedacht werden — heute oftmals versucht, dem Bauhaus die
persönlichen, unabhängigen Leistungen der Künstler zuzuschreiben., die ihm angehörten. Ja, es
werden die Gedanken und Taten gleichstrebender anderer Gruppen wie etwa der russischen und
holländischen Konstruktivsten mitunter auf dem Konto des Bauhauses verbucht. Das wollen wir
keineswegs tun. Wir — ich meine damit besonders das Darmstädter Institut — sind uns des
Phänomenes der Wachstumparallelen bewusst und sind der Überzeugung, dass jede Leistung für
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matisch für eine gewisse kulturelle Einstellung sein, die von Nikolaus Pevsner kürzlich mit dem
Begriff ,,the anti-pioneers" Umrissen worden ist. Während die reife, in sich vollkommene Gestaltung
einfach nicht wahrgenommen wird, wird die veraltete, über der die Patina der Historie liegt, zum
Objekt des Entzückens erhoben. Die Klamotte, die wir überwunden glaubten, wird zum Ideal. In
seiner ersten Phase entrichtete auch das Bauhaus — vor allem mit seinen keramischen Arbeiten —
seinen Tribut an die Zeit. Kann es der Sinn des Bauhauses sein, dass es, das so lebensvoll und
revolutionär sein wollte und war, vierzig Jahre hernach zur Brücke für die Flucht aus unserer
Gegenwart wird? ,,Any old Bauhaus?" Ich glaube nicht, dass das Bauhaus eine antiquarische
Angelegenheit ist, aber es ist nun einmal ein Faktum, dass viele (und besonders jüngere) Menschen
den Reiz der Decadence lieben und ihn auch auf das Bauhaus projiziert sehen möchten. Diese Sicht
verweist das Bauhaus zurück in die Geschichte und gesteht ihm eine gemässigte Aktualität
bestenfalls im Bereich der Vulgärgüter zu, deren der ,,kultivierte" Mensch nur mit Ueberdruss und
Langeweile gedenkt. Was bleibt vom Bauhaus dann noch?
Ich brauche wohl nicht zu beteuern, dass ich mich dieser verbreiteten Anschauung nicht
anzuschliessen vermag; denn sonst wäre es widersinnig, wenn ich betonte, dass das Darmstädter
Institut primär nicht ein Museum, sondern eine Arbeitsstätte konstruktiver Forschung sein soll. Es
ist für dieses Institut die Voraussetzung jedweder Aktivität, die conditio sine qua non, sich darauf
zu besinnen, worin die Bedeutung und die fortwirkende Aktualität des Bauhauses liegt. Immer
wieder müssen wir uns in Darmstadt mit dem Thema dieses Vortrages beschäftigen.
Vor einigen Monaten kam der Inhaber einer italienischen Firma zu mir, um sich um Lizenzen für
die industrielle Vervielfältigung einiger Bauhaus-Produkte zu bewerben. Die Auswahl, die ihm
vorschwebte, entsprach der Marktsituation. Dinge von zeitloser Gültigkeit, aber auch antiquierte
Formen, die mit jeder Rundung und jeder Kante davon zu erzählen schienen, wie schön die ,,golden
twenties" gewesen sind, waren dabei. In diesem Fall war es meine Aufgabe, den Enthusiasmus des
Fabrikanten zu bremsen und nur die Modelle zur Reproduktion freizugeben, die nach wie vor modern,
ja mehr noch: die vorbildlich sind. Die Hinterlassenschaft des Bauhauses an gestalteten Dingen
schrumpft, wenn wir Sie sehr kritisch betrachten und auf ihre bleibende Aktualität hin untersuchen,
beträchtlich zusammen. Aber allein schon das Vorhandensein einiger — und nicht einmal weniger
— Industrieprodukte von exemplarischem Wert bedeutet viel, denn wo gäbe es das noch, dass in
einer bestimmten geschichtlichen Situation und zu einem bestimmten Gebrauchszweck entworfene
Gerätschaften über eine ganze Reihe von Jahrzehnten hinweg allen technischen und formalen
Ansprüchen genügen, die man an sie stellen kann. Die Tatsache dieser exemplarischen Gestaltungen
reicht aber nicht aus, die Faszination zu erklären, die das Bauhaus ausübt und mit der es kritische
Menschen immer wieder bewegt. Das Bauhaus war mehr als nur eine Entwurfsanstalt für Industrie-
produkte, es war aber auch mehr als nur eine Kunstschule, so wichtig die kunstpädagogischen
Methoden immer gewesen sein mögen, die es entwickelt hat. Mies van der Rohe sagte einmal:
,,Das Bauhaus war eine Idee, und ich glaube, dass die Ursache für den ungeheuren Einfluss, den das
Bauhaus auf jede fortschrittliche Schule in der Welt gehabt hat, in der Tatsache zu suchen ist, dass
es eine Idee war. Eine solche Resonanz kann man nicht mit Organisation erreichen und nicht mit
Propaganda. Nur eine Idee hat die Kraft, sich so weit zu verbreiten."
Diese Idee war sehr komplex, man kann sie nicht auf einen einfachen Nenner bringen; aber wenn
schon eine knappe Definition nicht möglich ist, so müssen wir doch versuchen, uns ihr anzunähern.
Als Idee ist das Bauhaus der, wie ich meine, mithin bedeutungsvollste kulturelle Exponent seiner
Zeit. Wir sind — das muss gesagt und bedacht werden — heute oftmals versucht, dem Bauhaus die
persönlichen, unabhängigen Leistungen der Künstler zuzuschreiben., die ihm angehörten. Ja, es
werden die Gedanken und Taten gleichstrebender anderer Gruppen wie etwa der russischen und
holländischen Konstruktivsten mitunter auf dem Konto des Bauhauses verbucht. Das wollen wir
keineswegs tun. Wir — ich meine damit besonders das Darmstädter Institut — sind uns des
Phänomenes der Wachstumparallelen bewusst und sind der Überzeugung, dass jede Leistung für
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