mit wenigen Arbeitern Form und Konstruktion
gesucht und verbessert, schlicht und unauffällig,
wie echte Handwerker es tun.
Thonet hat die grosse Aufgabe der frühen
Industriegesellschaft meisterlich gelöst, nämlich
einen Stuhl so zu konstruieren, dass er billig und
schön sein kann.
Die Welt von heute ist in einer Veränderung
begriffen, deren Ausmass wir noch nicht ab-
zuschätzen wissen. Die Massenmedien Fernsehen,
Rundfunk, Zeitung tragen ihren Teil zu dieser
schnellen Veränderung bei. Die Aufgaben der bil-
denden Kunst, der Architektur, der Umweltgestal-
tung haben längst andere Dimensionen bekommen.
Können die Avantgarden zurückstehen?
Die Welt von heute ist klein geworden, und die
Sorgen der Menschen sind uns nahegerückt.
Bakema hat bei seinem letzten Vortrag in Wien
von jenem Neger im afrikanischen Busch gespro-
chen, der kaum zu essen und nur wenig Trink-
wasser hat, aber die Möglichkeit, über einen
Transistorradio von den Problemen zu hören, die
heute Europa bewegen; etwa vom Zweitwagen
für die gnädige Frau, ein Problem, das gerade zur
Diskussion steht. Bakemas Frage geht danach,
wieweit trotz aller Nachrichtenmittel das Ver-
ständnis dieses Mannes für unsere technische
Zivilisation sein kann, wie weit wir seine Sorgen
ursprünglicher Naturverbundenheit verstehen.
Ich möchte dieses Gleichnis mit einem Beispiel
aus der Architektur, oder wenn Sie wollen, aus
der Gestaltung unserer Umwelt erweitern: Was
würde einer jener zehntausend Inder aus Calcutta
oder Bombay sagen, wenn er in einem Radio-
bericht von einer Diskussion über Formprobleme
der Architektur oder der neuesten Sensation im
Ausstellungswesen hört, selbst aber die nächste
Nacht irgendwo auf dem Gehsteig unter freiem
Himmel verbringen muss. Könnte er überhaupt
Verständnis auf bringen für eine Avantgarde der
Sensation, deren ganzes Bestreben es ist, Werte in
Frage zu stellen?
Es geht nicht darum, einzelne Vorstösse zu
unterbinden. Avantgarde lässt sich gar nicht
so leicht an die Kandare nehmen. Es geht um
die einfache Überlegung, dass mit der gleichen
geistigen oder künstlerischen Leistung entweder
eine willkürliche Formänderung durchgesetzt wer-
den kann, oder Menschen irgendwo auf Gottes
schöner Erde geholfen wird, ihre primitivsten
Bedürfnisse besser zu erfüllen. Ich glaube, hier
liegt die Entscheidung unserer Zeit und damit
unserer Jahrhunderts.
Vielleicht war es Thonet, der diese Entscheidung
unter anderen Voraussetzungen und unbewusst,
aber richtig getroffen hat.
Aber bleiben wir doch in unseren Breitegraden:
Darf ich vielleicht die Frage stellen, wie wir
uns tatsächlich die Aufgabe der Avantgarde in
unserer Zeit und unserer industriellen Welt vor-
stellen? Etwa in den Städten, die keine Form
menschlichen Zusammenseins mehr dulden, die
unmenschlich, geworden sind durch eine falsch
angewandte Technik, Städte, deren schönster
Teil durch falsch verstandenen Denkmalschutz
zum Absterben verurteil ist, zu musealem Dasein.
Städte deren Urbanitätsdenken längst durch
Verkehrsprobleme in den Hintergrund gedrängt
wurde, deren Planungsabteilungen infolge ihres
geringen Mitarbeiterstabes kaum die Agenden des
laufenden Jahres bewältigen, geschweige denn an
eine Planung für das Jahr 2000 denken können.
Zukunftsvisionen ja, aber nicht als Flucht vor,
sondern als Beginn einer Realität.
Ich möchte fragen nach dem Sinn der Form,
da sich doch vor unseren Augen ein Chaos aus-
bildet, das allgegenwärtig ist. Ein Chaos, das sich
über unsere Städte, unsere Dörfer, unsere Land-
schaft erstreckt, wie ein Aussatz alles vernichtet,
was schön und gewachsen war. Ein Chaos, das
wir anscheinend bereit sind hinzunehmen, um
einer physischen und moralischen Bequemlichkeit
willen. Ein Chaos der Architektur, ein Chaos der
Sensation, ein neuer Eklektizismus, der den des
19. Jahrhunderts längst in den Schatten gestellt
hat.
Fragen wir nach dem Formchaos jener kleinen
Dinge um uns, der Verkehrszeichen etwa, der
Beleuchtung, der Autos. Wieviele der Gegenstände,
die uns umgeben, können wir noch als anziehend,
begeisternd, spannungsgeladen usw. bezeichnen,
wenn wir schon nicht das Wort,,schön" verwenden
wollen. Nirgends Ruhe, Ordnung, Einfügung.
Ist es nicht Aufgabe der Avantgarde von heute,
dafür zu sorgen, dass wir eine neue Ordnung finden,
eine Ordnung, die unsere gesamte Umwelt erfasst.
Eine Ordnung, die Ruhe verbreitet und sich den
technischen Möglichkeiten unseres Jahrhunderts
unterordnet? Will sich die Avantgarde dafür
begeistern, braucht sie dazu die Massenmedien:
138
gesucht und verbessert, schlicht und unauffällig,
wie echte Handwerker es tun.
Thonet hat die grosse Aufgabe der frühen
Industriegesellschaft meisterlich gelöst, nämlich
einen Stuhl so zu konstruieren, dass er billig und
schön sein kann.
Die Welt von heute ist in einer Veränderung
begriffen, deren Ausmass wir noch nicht ab-
zuschätzen wissen. Die Massenmedien Fernsehen,
Rundfunk, Zeitung tragen ihren Teil zu dieser
schnellen Veränderung bei. Die Aufgaben der bil-
denden Kunst, der Architektur, der Umweltgestal-
tung haben längst andere Dimensionen bekommen.
Können die Avantgarden zurückstehen?
Die Welt von heute ist klein geworden, und die
Sorgen der Menschen sind uns nahegerückt.
Bakema hat bei seinem letzten Vortrag in Wien
von jenem Neger im afrikanischen Busch gespro-
chen, der kaum zu essen und nur wenig Trink-
wasser hat, aber die Möglichkeit, über einen
Transistorradio von den Problemen zu hören, die
heute Europa bewegen; etwa vom Zweitwagen
für die gnädige Frau, ein Problem, das gerade zur
Diskussion steht. Bakemas Frage geht danach,
wieweit trotz aller Nachrichtenmittel das Ver-
ständnis dieses Mannes für unsere technische
Zivilisation sein kann, wie weit wir seine Sorgen
ursprünglicher Naturverbundenheit verstehen.
Ich möchte dieses Gleichnis mit einem Beispiel
aus der Architektur, oder wenn Sie wollen, aus
der Gestaltung unserer Umwelt erweitern: Was
würde einer jener zehntausend Inder aus Calcutta
oder Bombay sagen, wenn er in einem Radio-
bericht von einer Diskussion über Formprobleme
der Architektur oder der neuesten Sensation im
Ausstellungswesen hört, selbst aber die nächste
Nacht irgendwo auf dem Gehsteig unter freiem
Himmel verbringen muss. Könnte er überhaupt
Verständnis auf bringen für eine Avantgarde der
Sensation, deren ganzes Bestreben es ist, Werte in
Frage zu stellen?
Es geht nicht darum, einzelne Vorstösse zu
unterbinden. Avantgarde lässt sich gar nicht
so leicht an die Kandare nehmen. Es geht um
die einfache Überlegung, dass mit der gleichen
geistigen oder künstlerischen Leistung entweder
eine willkürliche Formänderung durchgesetzt wer-
den kann, oder Menschen irgendwo auf Gottes
schöner Erde geholfen wird, ihre primitivsten
Bedürfnisse besser zu erfüllen. Ich glaube, hier
liegt die Entscheidung unserer Zeit und damit
unserer Jahrhunderts.
Vielleicht war es Thonet, der diese Entscheidung
unter anderen Voraussetzungen und unbewusst,
aber richtig getroffen hat.
Aber bleiben wir doch in unseren Breitegraden:
Darf ich vielleicht die Frage stellen, wie wir
uns tatsächlich die Aufgabe der Avantgarde in
unserer Zeit und unserer industriellen Welt vor-
stellen? Etwa in den Städten, die keine Form
menschlichen Zusammenseins mehr dulden, die
unmenschlich, geworden sind durch eine falsch
angewandte Technik, Städte, deren schönster
Teil durch falsch verstandenen Denkmalschutz
zum Absterben verurteil ist, zu musealem Dasein.
Städte deren Urbanitätsdenken längst durch
Verkehrsprobleme in den Hintergrund gedrängt
wurde, deren Planungsabteilungen infolge ihres
geringen Mitarbeiterstabes kaum die Agenden des
laufenden Jahres bewältigen, geschweige denn an
eine Planung für das Jahr 2000 denken können.
Zukunftsvisionen ja, aber nicht als Flucht vor,
sondern als Beginn einer Realität.
Ich möchte fragen nach dem Sinn der Form,
da sich doch vor unseren Augen ein Chaos aus-
bildet, das allgegenwärtig ist. Ein Chaos, das sich
über unsere Städte, unsere Dörfer, unsere Land-
schaft erstreckt, wie ein Aussatz alles vernichtet,
was schön und gewachsen war. Ein Chaos, das
wir anscheinend bereit sind hinzunehmen, um
einer physischen und moralischen Bequemlichkeit
willen. Ein Chaos der Architektur, ein Chaos der
Sensation, ein neuer Eklektizismus, der den des
19. Jahrhunderts längst in den Schatten gestellt
hat.
Fragen wir nach dem Formchaos jener kleinen
Dinge um uns, der Verkehrszeichen etwa, der
Beleuchtung, der Autos. Wieviele der Gegenstände,
die uns umgeben, können wir noch als anziehend,
begeisternd, spannungsgeladen usw. bezeichnen,
wenn wir schon nicht das Wort,,schön" verwenden
wollen. Nirgends Ruhe, Ordnung, Einfügung.
Ist es nicht Aufgabe der Avantgarde von heute,
dafür zu sorgen, dass wir eine neue Ordnung finden,
eine Ordnung, die unsere gesamte Umwelt erfasst.
Eine Ordnung, die Ruhe verbreitet und sich den
technischen Möglichkeiten unseres Jahrhunderts
unterordnet? Will sich die Avantgarde dafür
begeistern, braucht sie dazu die Massenmedien:
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