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Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0161

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8z

LÜNEBURG • RATHAUS

mit seiner Großen Ratsstube schließlich zu einem Zwischentrakt verkürzte Nordfront, die über einem geschlossenen
Erdgeschoß eine im späten 15. Jh. veränderte Reihung von Fensteröffnungen in Spitzbogenblenden zeigt.
Nach 1443 sind alle weiteren Baumaßnahmen durch die nun lückenlos erhaltenen Kämmereirechnungen bis in kleinste
Details belegt. Dennoch bestehen bezüglich des Umbaus des Fürstensaales zwischen U. Boeck und H. Appühn gravie-
rende Divergenzen in der Beurteilung des Befundes wie der Quellen6 7. Mit dem in den Jahren 1478—1481 errichteten
Kämmereiflügel, einem ins Monumentale gesteigerten Bürgerhaus, wie U. Boeck treffend formulierte, der u.a. die
neue Schreiberei und die Sodmeister-Körkammer aufnahm und von den Baumassen her ein Gegengewicht zu der
allerdings in barocker Zeit veränderten Bautengruppe am Neumarkt herstellte, erreichte der Lüneburger Rathauskom-
plex seine endgültige, auch in nachmittelalterlicher Zeit nicht mehr veränderte, allenfalls bereicherte Gestalt.
Dieses wesentlich von den Bedürfnissen der Bürgerschaft und den architektonischen Vorstellungen der führenden
Ratsmitglieder geprägte, aus ökonomischen Gründen stets auf bauliche Gegebenheiten Rücksicht nehmende Ensemble
von in Jahrhunderten zusammengewachsenen Einzelbauten besticht daher weniger durch seine baukünstlerischen
Qualitäten als durch den Reichtum seiner Ausstattung, in der sich denn auch die spezifischen gesellschaftlichen
Verhältnisse dieser Stadt aufs anschaulichste dokumentiert haben8.
Geschichte der Verglasung: Die beiden ältesten Rechnungsbelege, die mit Sicherheit auf die Lieferung von Glasma-
lereien zu beziehen sind, lassen sich nicht eindeutig mit bestimmten Bauteilen verbinden: 1434 erhielt ein Glasmaler
den stattlichen Betrag von 10 Mark vor de finster uppe unser heren %ale (s. Reg. Nr. 13); 1460 bezahlt die Stadtkämmerei
dem Glasmaler Hinrik Gronow vierzehn Wappenfenster to deme nigen make (s. Reg. Nr. 14). Mit unser heren %ale
kann 1434 eigentlich nur der alte Ratssaal, die sogenannte Gerichtslaube (s. S. 96) gemeint gewesen sein. Welcher
Raum 1460 als »neues Gemach« bezeichnet worden ist, bleibt dagegen völlig offen. Sollte hiermit der Fürstensaal
(s. S. 128) gemeint sein, für den Hinrik Gronow 1467 neue Glasfenster geliefert hat und der damals als des rades
nyenhuse uppe deme marckede (s. Reg. Nr. 15) bezeichnet wurde? Jedenfalls erwähnt der an der Lüneburger Ritterakademie
lehrende, vor allem an heraldisch und genealogisch aufschlußreichen Denkmälern interessierte Ludwig Albrecht Geb-
hardi 1763 in seinen Collectanea in den Fenstern des alten Rahts und Huldigungssahls noch Wappenscheiben der Stadt,
die Georg von Dassel und Albert von Elver 1606 hatten erneuern lassen (s. Reg. Nr. 26). Etwas genauer unterrichtet
sind wir dank der Aufzeichnungen Gebhardis über die ehemaligen Farbverglasungen der Neuen Schreiberei und
der Sodmeister-Körkammer im Kämmereiflügel: Hier sind nicht nur einzelne Fensterstiftungen und deren Wappen,
sondern auch die Themen der damit verbundenen Darstellungen überliefert (s. S. i28f.). Überkommen ist hiervon
freilich nur ein heute in der Nikolaikirche befindliches Feld mit spärlichsten Resten eines einst umfangreichen Sibyl-
lenzyklus. Der fast vollständige Verlust dieser ikonographisch höchst bemerkenswerten Glasmalereien dürfte in den
durch neue Nutzungen bedingten Umbauten der betreffenden Räume im Laufe des 19. Jh. zu suchen sein.
An Ort und Stelle und ohne größere Einbußen erhalten blieben nur die Farbverglasungen des frühen 15. Jh. in
der sogenannten Gerichtslaube (s. S. 87—89) sowie diejenige von 1491 in der abgelegenen, nur von dort aus zugänglichen
Bürgermeister-Körkammer (s. S. 119L), also in Räumen, die seit dem späten 16. Jh. nicht mehr kontinuierlich genutzt
worden waren. So blieb hier alles bis zur Mitte des 19. Jh. mehr oder weniger unverändert erhalten. 1853 wurden
beide Farbverglasungen allerdings von Glasmaler H. Horn aus Rostock einer Wiederherstellung unterzogen, bei
der in großem Umfang stärker verwitterte oder gesprungene Teile durch stilgerechte Ergänzungen ersetzt worden
sind (s. Reg. Nr. 27—29). Dadurch wurde zwar einem weiteren Verfall Einhalt geboten, zugleich aber auch der Anteil
an originalem Glasbestand in bedauerlichem Umfang vermindert.
Daß die ursprünglich in fast allen Räumen anzutreffenden Farbverglasungen bis ins frühe 17. Jh. hinein ausgebessert

6 Vgl. hierzu wiederum U. Boeck (s. Anm. 2), 1969, Abb. tz (mit isome-
trischer Rekonstruktion des Zustandes um 1420) sowie Abb. 13 f.
7 U. Boeck (s. Anm. 2), 1969,8. 50, geht davon aus, daß jene die Südwest-
ecke des späteren Fürstensaales tragende Doppelarkade bereits im spä-
ten 14. Jh. beim Neubau eines Tanzhauses in den alten Ratssaal eingefügt
worden sei, während H. Appühn, in: Das Lüneburger Ratssilber (s.
Anm. 2), 1990, S. 36, diese das Erscheinungsbild des Ratssaales entschei-
dend verändernde Substruktion erst mit der Errichtung des Fürstensaales

in Verbindung bringt und um 1480 ansetzt. Da dieser Streitpunkt vor
allem für die Geschichte des Ratssaales und seiner Ausstattung von Be-
lang ist, muß dort (s. S. 86f.) näher darauf eingegangen werden.
8 Dies erklärt auch, warum der funktionsgeschichtlich so aufschlußrei-
che Lüneburger Rathauskomplex in vornehmlich typologischen Untersu-
chungen wie derjenigen von K. Gruber, Das deutsche Rathaus, Mün-
chen 1943, keine Rolle gespielt hat.
 
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