Ernst der Frage weiß der Außenstehende nie, was es ein weniges unter
der Oberfläche ist und bedeutet. Denn hier will oft jedes Wort sein Gegen-
teil. Der bitterste tzohn ist versteckte Sehnsucht; selbst Liebe hüllt sich in
Lästerung, um verteidigt zu werden. Auch ist das innere Leben im Wallen,
im Kampf; man weiß nicht, welche Seite gerade spricht. Alles Erleben ist
dramatisch. Es sprechen in ihm mehrere Stimmen mit gleichem Recht.
Alle Rede aus solchem persönlichen inneren Treiben heraus verlangt
darum ein feines Ohr, und falls man antworten muß, einen vorsichtigen
Mund.
Aber muß man antworten? — Es ist für jede Art Antwort richtig, für
diese aber besonders, daß allein der Frager selbst sie geben kann. Man
kann ihn nur zu leiten versuchen. Die beste Leitung ist meist die, daß man
wegräumt, was sich an Fremdartigem zwischen die Menschen und ihr
Erleben gestellt hat. And in den lebendigen Beziehungen von Mensch zu
Mensch sehr oft die, — daß man schweigt. Denn das Schweigen ist die
eigentliche Form, in der man das Erleben zum Sprechen bringt.
Diesem Treiben, Sichbewegen, Wachsen gegenüber, das Erleben ist und
Ausdruck von Erleben, ist das landläufige Reden über religiöse Fragen
erlebnisfrei; meist geradezu der Versuch, sich und anderen das Erlebnis
von der Seele zu halten. Wo eine geformte Religion das Volksleben be«
herrscht, übernehmen billige Frömmeleien und Formeln diese Aufgabe;
wo, wie in der öffentlichen Meinung bei uns, das Gegenteil der Fall ist,
müssen es ebenso billige populäre Widerlegungen tun.
Ls handelt sich dabei ^ewöhnlich um die Gottesvorstellung. Mcht ver«
wunderlich: in ihr hat sich die charakteristische Eigenart der Religion bisher
am deutlichsten ausgesprochen. „Wenn es einen Gott gibt, wie kann..."
beginnen daher diese Reden zumeist.
T
«vräre die religiöse Vorstellungswelt, wie manche Forscher wollen, als
^^urtümliche Wissenschaft entstanden, so wäre freilich richtig, sich für
ihre Schöpfung und Fortbildung vor allem das Erleben fernzuhalten.
Denn das ist das Wesen der Wissenschaft: objektiv zu sein, das heißt un-
persönlich, das heißt erlebnisfrei.
Ich weiß nicht, ob ein Wissen Wert hat, welches fordert, daß alles
geistige Leben auch wieder Wissen sei. Im allgemeinen ist das, was die
Wissenschaft sonst untersucht — will sagen: unterhalb des geistigen Lebens —,
nicht wieder Wissen. Am kurz so zu sagen: Das Wachsen des Baumes
ist nicht Wissenschaft, richtet sich auch nicht nach ihr; vielmehr sie richtet
sich nach ihm. Gerade wenn, wie man doch wieder will, das geistige Leben
als unmittelbare Fortsetzung des natürlichen aufgefaßt werden soll, kann
es in seinem eigentlichen Wesen nicht zugleich sich objektiv gegenübergestell-
tes Wissen sein, muß sein Kern, Sinn und Wesen Erleben sein. Religiöse
Vorstellungen sind weder urtümliche noch fortgeschrittene Wissenschaft, weder
mittelmäßige noch tiefsinnige, weder Ratur- noch Geisteswissenschaft, sind
nie dergleichen gewesen und werden es nie sein. Sie sind Formen mensch-
lichen Erlebens, menschlicher Seelenbewegung, genau wie der Baum eine
Form bestimmter Stoffbewegung ist.
Und sie sind von genau derselben Unwiderleglichkeit. Die Säfte steigen
herauf und herab. Sie treiben Blüten und Früchte. Und es bewegen
sich in uns Trieb und Wille und treiben blühende Vorstellungen und Früchte
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der Oberfläche ist und bedeutet. Denn hier will oft jedes Wort sein Gegen-
teil. Der bitterste tzohn ist versteckte Sehnsucht; selbst Liebe hüllt sich in
Lästerung, um verteidigt zu werden. Auch ist das innere Leben im Wallen,
im Kampf; man weiß nicht, welche Seite gerade spricht. Alles Erleben ist
dramatisch. Es sprechen in ihm mehrere Stimmen mit gleichem Recht.
Alle Rede aus solchem persönlichen inneren Treiben heraus verlangt
darum ein feines Ohr, und falls man antworten muß, einen vorsichtigen
Mund.
Aber muß man antworten? — Es ist für jede Art Antwort richtig, für
diese aber besonders, daß allein der Frager selbst sie geben kann. Man
kann ihn nur zu leiten versuchen. Die beste Leitung ist meist die, daß man
wegräumt, was sich an Fremdartigem zwischen die Menschen und ihr
Erleben gestellt hat. And in den lebendigen Beziehungen von Mensch zu
Mensch sehr oft die, — daß man schweigt. Denn das Schweigen ist die
eigentliche Form, in der man das Erleben zum Sprechen bringt.
Diesem Treiben, Sichbewegen, Wachsen gegenüber, das Erleben ist und
Ausdruck von Erleben, ist das landläufige Reden über religiöse Fragen
erlebnisfrei; meist geradezu der Versuch, sich und anderen das Erlebnis
von der Seele zu halten. Wo eine geformte Religion das Volksleben be«
herrscht, übernehmen billige Frömmeleien und Formeln diese Aufgabe;
wo, wie in der öffentlichen Meinung bei uns, das Gegenteil der Fall ist,
müssen es ebenso billige populäre Widerlegungen tun.
Ls handelt sich dabei ^ewöhnlich um die Gottesvorstellung. Mcht ver«
wunderlich: in ihr hat sich die charakteristische Eigenart der Religion bisher
am deutlichsten ausgesprochen. „Wenn es einen Gott gibt, wie kann..."
beginnen daher diese Reden zumeist.
T
«vräre die religiöse Vorstellungswelt, wie manche Forscher wollen, als
^^urtümliche Wissenschaft entstanden, so wäre freilich richtig, sich für
ihre Schöpfung und Fortbildung vor allem das Erleben fernzuhalten.
Denn das ist das Wesen der Wissenschaft: objektiv zu sein, das heißt un-
persönlich, das heißt erlebnisfrei.
Ich weiß nicht, ob ein Wissen Wert hat, welches fordert, daß alles
geistige Leben auch wieder Wissen sei. Im allgemeinen ist das, was die
Wissenschaft sonst untersucht — will sagen: unterhalb des geistigen Lebens —,
nicht wieder Wissen. Am kurz so zu sagen: Das Wachsen des Baumes
ist nicht Wissenschaft, richtet sich auch nicht nach ihr; vielmehr sie richtet
sich nach ihm. Gerade wenn, wie man doch wieder will, das geistige Leben
als unmittelbare Fortsetzung des natürlichen aufgefaßt werden soll, kann
es in seinem eigentlichen Wesen nicht zugleich sich objektiv gegenübergestell-
tes Wissen sein, muß sein Kern, Sinn und Wesen Erleben sein. Religiöse
Vorstellungen sind weder urtümliche noch fortgeschrittene Wissenschaft, weder
mittelmäßige noch tiefsinnige, weder Ratur- noch Geisteswissenschaft, sind
nie dergleichen gewesen und werden es nie sein. Sie sind Formen mensch-
lichen Erlebens, menschlicher Seelenbewegung, genau wie der Baum eine
Form bestimmter Stoffbewegung ist.
Und sie sind von genau derselben Unwiderleglichkeit. Die Säfte steigen
herauf und herab. Sie treiben Blüten und Früchte. Und es bewegen
sich in uns Trieb und Wille und treiben blühende Vorstellungen und Früchte
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