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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,1.1916

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1916)
DOI Artikel:
Weinel, Heinrich: Warum keine Reichskirche?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14295#0221

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sind und zusarninenarbeiten. Dabei kann jede Landeskirche und jeder
Einzelne so lutherisch oder reformiert bleiben, wie er will.* „Zweck-
verband" nennt Bezzel das höhnisch. Gut, dann ist's etn Zweckverband
sittlicher Art und im Heiligsten, das der Mensch besitzt. Mögen diese extre»
men Lutheraner doch auch weiterhin glauben, daß sie mehr und besser
lutherisch oder reformiert seien als wir; es bleibt ihnen unbenommen. Sie
mögen es zeigen in größerer Glaubenskraft und Liebestat. Aber wir wün-
schen, daß ein Bezzel den „Calvinismus" nicht bloß in Worten lobte, son»
dern die Hand ausstrecke, um unbeschadet seines Luthertums mit reformier-
ten deutschen Männern zusammenzuarbeiten zum Wohl des Vaterlandes.
Schließlich wird auch die Reichskirche eine Bekenntnisgrundlage haben.
Denn jeder, der sich evangelisch nennt und der evangelisch sein will, wird
auch irgendwie die Bekenntnisse des sechzehnten Iahrhunderts, in denen die
Männer der Beformation ausgesprochen haben, was sie glaubten und
wollten, als klassische Urkunden ansehen und mit ihnen im wesentlichen
übereinstimmen. Wir freier Gerichteten halten vielleicht andere Dinge für
wesentlich als Bezzel, Iahn und die Männer ihrer Richtung. Ober besser:
wir halten vieles nicht mehr für wesentlich, was sie für wesentlich halten,
wissen aber, daß wir in dem wirklich Wesentlichen mit ihnen übereinstim-
men. Sie können heute darin noch nicht wie wir empfinden. Vielmehr
müssen wir uns heute noch Dinge sagen lassen, die wir uns nur gefallen
lassen können, weil wir trotz all diesem fühlen, daß wir zusammengehören.
Dinge, wie dies: „Weinel ist sich wohl bewußt, daß er das Christentum
der Apostel auf Abbruch gibt. Aber nun hat er freien Raum für seinen
Neubau." Lrotzdem sind wir als Deutsche und Evangelische bereit, mit
solchen Männern zusammenzuarbeiten. Denn wir sind überzeugt, daß die
Zerrbilder, die sie von uns haben und entwerfen, einer gemeinsamen Arbeit
und einem wirklichen, nicht parteimäßigen Sichkennenlernen nicht stand-
halten können.

Man hat die Reichskirche um dieser Gesinnung willen, aus der sie gedacht
ist, als eine „liberale" Schöpfung in Mißachtung der anderen Rich-
tungen bringen wollen. „In Weinels Reichskirche soll liberal die Losung
sein." Daß man mit seinen deutschen Volksgenossen Gemeinschaft sucht
und trotz abweichender Richtung mit ihnen an der sittlichen und religiösen
Gestaltung des deutschen Volkes arbeiten will, ist freilich auch liberal,
wie es wahrhaft christlich ist. Aber liberal im Parteisinn ist es nicht. Denn
es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß in der Reichskirche die ortho-
dox oder wenigstens modern positiv geleiteten Landeskirchen den wenigen
in — ich darf nicht sagen liberalem — aber ausgleichendem Sinn geleiteten
Landeskirchen zahlenmäßig weit überlegen sein werden. Darum haben

* Seit diese Worte im Frühsommer geschrieben wurden, hat ein sehr mäch-
tiger Führer der Orthodoxie, der Generalsuperintendent Zöllner von West-
falen, freilich ohne sich dabei über den Plan einer Reichskirche auszusprechen,
für die evangelischen Kirchen der Zukunft die Ablegung des Bekenntnischarakters
ganz in dem oben geforderlen Sinn vertreten. So wichtig das ist, so stark ist
doch auch der Wider'sprnch gewesen, den Zöllner bis in die Reihen der Mittel-
partei hinein gefunden hat. Wer hoffen will, darf sich dennoch sagen: der Ge-
danke einer vergrößerten und restlosen Lrneuerung der Anion bis zum Einschluß
aller Richtungen nnd Gemeinschaften, die evangelisch sein wollen, ist im Vor-
schreiten.
 
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