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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,1.1916

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Heft 4 (2. Novemberheft 1916)
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Schumann, Wolfgang: Erich Wolfgang Korngolds Opern: Nachenkliches zu dem Fall eines "Wunderkindes"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14295#0229

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ihrer Schwester, betört, betört durch ein wild packendes Lied — in zehn
Minuten wird er ihr folgen. Dann soll ihn Simone töten. Er tritt ins
Nebengemach: wenn er sie das Lied wieder singen hört, soll er hervor--
stürzen und den Prinzen umbringen. Nun kommt der Prinz. Violanta
aber zögert mit dem Lied; der Verführer gewinnt ihr Ohr mit einer langen,
Mitleid heischenden Erzählung von seiner freud- und sinnlosen Iugend;
er entdeckt endlich, datz sie selbst für ihn erglüht und überwindet ihr
Zagen, ihr Bangen; sie gesteht; auch sie entschuldigt sich mit ihrem harten,
liebeleeren Dasein, und beide versinken endlich in süßes Schwelgen. Wäh-
rend dessen treibt Simones lingeduld ihn zu dem Ruf „Violanta!", der
von außen her in die tristanische Szene mahnend, zwei Mal herein klingt.
Da singt sie, traumverloren, das Lied. Simone tritt ein und zückt nach
kurzem, alles aufklärendem Wortwechsel den Dolch; Violanta aber wirft
sich vor den Geliebten und erhält die tödliche Wunde. Der Gesang der
Sterbenden jubelt die Wonne des Liebestodes noch einmal hinaus;
Simone und Alfonso umstehen wie Marke und Kurwenal erschüttert ihre
letzten Minuten. — Es leuchtet ein, dast in dem verhängnisvollen Liede
der musikalische Schwerpunkt liegt. And gerade Hier versagt
der Tonkünstler; eine gequälte, mühsam ins Scheinleidenschaftliche hinein--
orchestrierte Rnmelodie Lritt auf.

Der ungeduldige Ruf Simones während der Liebesszene ist in ebenso
dramatisch hilfloser Weise erfaßt; er klingt wie warnend, erstaunt herein;
man begreift, dast Violanta und Mfonso nicht einmal erschrecken, daß
die Szene förmlich unbewegt davon bleibt. Ein Fehler, der spricht.

Für die Persönlichkeit eines Komponisten wird immer bezeichnend
sein die Wahl seiner Texte. Kein Zufall, daß Beethoven nur einmal
innerlich von einem der dutzendweise ihm vorliegenden „Bücher" gepackt
wurde, daß Wolf Iahre hindurch nach einem Libretto lechzte, und daß
Strauß auf die zerrüttetsten Gestalten neuerer Dichtung „zeichnete". Der
junge Korngold hat zuerst ein herzhast läppisches Lustspiel ergrifsen, in
dem jeder Möglichkeit der Vertiefung ausgewichen wird zugunsten publi-
kumsicherer Süßlichkeiten und altehrwürdiger Bühnenmätzchen. Er hat
es wohl sogar selbst „in Verse gegossen" und sich dann erst, als das Ganze
gar zu flach schien, bei der Gestaltung des „Amasis" an den Beckmesser
erinnert. Noch peinlicher aber ist sein zweiter Griff. tzans Müller,
einer jener Wiener, die aus dem nichtigen „pikanten" Lebemanntum
der Weltstadt angebliche Komödien mit unterlegtem, sogenannten Tiefsinn
herstellen und das Ssterreichertum nach Kräften diskreditiert haben, hat
diese „Violanta" gemacht. Ein Stück, das zu zwei Dritteln aus schlechtester
Bühnensauce, aus Renaissancefarbentöpfen und Schminke, aus dem Ver--
such zu Effekten besteht, die als Gattung seit Meyerbeer bekannt und für
jeden Freund echter Bühnenkunst erledigt sind, zu einem Drittel aber aus
der alles verweichlichenden, den Begriff „Renaissance" ins Kitschige wen-
denden Sentimentalität, die in Alfonsos und Violantas gesungenen Lebens-
erinnerungen ihre undramatischen Orgien feiert. Das also ergriff den
jungen Korngold so innerlich, daß er dem Zwang gehorchen mußte! Das
also halten an dreißig Theaterkritiker für unentbehrlich, wenn sie den
Spielplan des Weltkriegwinters festsetzen! Sagen wir es grad-

heraus: wenn bei einem Neunzehnjährigen nicht eine gründliche Umkehr
immerhin möglich wäre, so sähen wir hier nichts zu hoffen. Dieser sichere
Instinkt für das Effektversprechende, mag es auch jedes Gehalts bar
 
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