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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Betrachtung und Wille in der Dichtung: zur heutigen Lage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0022

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immerhin, sie wollen zurück zur Dichtung, weg von der bloßen Litercrtur.«
Vielleicht ist das eine Erklärung. Denn daß nur, wie die verkannten
Genies meinen und die, die keinen Verlag finden, daß nur der Geld--
beutel und die Reklametrommel des K. Wolsf--Verlags ihren Erfolg »ge--
macht« hat, werden Sie heute selber nicht glauben!"

„Zwar, er hat seinen gewichtigen Anteil daran. Aber tst denn der
Lrfolg überhaupt so groß?"

„Er ist außergewöhnlich" — hier gelang es mir endlich, selber das
Wort zu bekommen — „er ist vielleicht nicht zahlenmäßig riesenhaft, zu--
mal Meyrink und Heinrich Mann ja nicht zu den »Iüngsten« gehören,
gerade die, die allein Zehntausende von ihren Büchern abgesetzt haben.
Aber er ist innerlich nicht gering. Nicht einmal an die Theorie vom Vor--
schuß-Lrfolg glaube ich, von einer bloßen, immer wieder getäuschten Er-
wartung und Spannung; das würde ja heute schon, nach drei Iahren,
einem Mißerfolg gleichsehen, von dem nichts zu spüren ist. Wahr scheint
mir, daß eine tiefe Sehnsucht diesen Iüngeren entgegen kommt; die--
selbe, die sich auch an Heinrich Manns Schaffen, sogar an seine ältesten
Iugendsünden klammert und ihnen ungeahnte Erfolge schafft. Ich glaube,
es ist die Sehnsucht nach dem Revolutionären, das ja in Mann steckt und
immer gesteckt hat. Diese Zeit verträgt so vieles, aber eins nicht: daß
man sich mit ihr abfindet. Sie will Proteste sehen und vom Willen
zu etwas irgendwie ganz anderem hören."

„Finden Sie etwa, daß Schnitzler, tzauptmann, Keyserling und alle
jene »sich abgefunden« haben? Ist nicht Helene Böhlau, ist nicht Ilg, ist
nicht Hauptmann ein »Protestler«? Sind nicht Andre von den Genannten
ihrer Zeit schlechtweg überlegen, haben sie nicht Resignation, Protest,
Revoluzzertum hinter sich gebracht und sich ins Freie gekämpft?"

„Vielleicht," erwiderte ich, „aber sie haben die Welt nicht geändert,
und sie glauben nicht, wie der junge Hasenclever, daß sie sie ändern
werden. Sie nähren keine Einbildungen. Sie gebrauchen nicht die ex-
plosiven Worte, die bezaubernden Bilder, welche die Leserschaft glauben
machen: hier wächst Krast heran, welche berufen ist, schönere Tage herauf-
zuführen."

„Ilnd diese wahnsinnige Illusion ihrer »Leserschaft« sollte den Erfolg
der »Iüngsten« mitverursachen? Heute, in der Zeit der Kanonen und
Gewehre, der exakten Wissenschaft, des Kapitalismus, der Bürokratie und
des welt- und innerpolitischen Eil-»Fortschritts«?"

»IH glaube es! Rnd das andre, was Sie anführen, kommt hinzu. In
der Tat scheinen sie zur Dichtung hinzustreben, von bloßer Literatur hin-
weg. Zwar, auch in diesem Arteil steckt viel Einbildung . . ."

„Einbildung nur? Unsinn ist es von Anfang bis zu Ende", ließ sich
der erste Gesprächteilnehmer hören. „Zeigen Sie mir doch ein Gedicht
der Iüngsten, das so vollendet wäre wie Liliencrons und Dehmels
beste, einen Roman, der mit den »Buddenbrooks« oder dem »Quint« auf
einer Stufe stände, ein Drama, das auch nur mit »Fuhrmann Henschel«
oder dem Schönherrschen »Königreich« wetteifern könnte, und zwar all das
nur und gerade in rein dichterischer Hinsicht!"

„Wohl, doch übersehen Sie, daß wir nicht fertige Werke, sondern künst-
lerische Richtungen verglichen. Vergessen Sie einen Augenblick die
bedauerliche Talentarmut der Iüngeren. Aber sie wollen ins Freie,
wollen nicht in das Ienseit-alles-Weltumgestalten-, alles Wirken-Wollens,

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