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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1917)
DOI Artikel:
Hoffmann, Paul Theodor: Deutsche Freiheit von Luther her
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0164

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Drei Grundtypen deutscher Freiheitsempfindungen gegenüber dem
Staate lassen sich aufstellen: eine, welche die Persönlichkeit als höchstes
Glück der Erdenkinder auffaßt, der die innerlichste Eigenartigkeit lder
Seele das kostbarste Gut des Lebens überhaupt ist, die darum jeden Ein-
griff von außen, vom Staate her, als schmerzliche Vergewaltigung emp-
findet. Dieses Freiheitsgefühl brennt am stärksten in Menschen vom
Schlage Nietzsches. Als zweite Art nennt Meinecke die „Freiheit im
Nebeneinander". Der Staat wird nicht mehr als ein heftige Leiden
erregender Gegensatz empfunden, sondern als etwas, dem man aus dem
Wege gehen kann. „Man schafft sich eine friedliche Insel freien indi-
viduellen Innenlebens, sagt zu ihr mit Mörike: »Du bist Orplid, mein
Land«, und überläßt die unangenehme Außenwelt sich selbst? Diese laxe
staatsbürgerliche Haltung war vor dem Weltkriege zumal in geistig
und seelisch besonders „kultivierten" Schichten bei uns weit verbreitet.
Die dritte Freiheitsempfindung aber ist heute wohl die stärkste und fast
unser ganzes Volk umfassende geworden: „Man gibt die eigene Indi-
vidualität und die eigene Selbstbestimmung nicht auf, aber man fühlt,
wie sie umwachsen, genährt und überwölbt ist von anderen höheren Indi-
vidualitäten, von all den Lebenskreisen, die uns erfüllend und von uns
erfüllt umgeben, bis zum Staate und zur Nation hinauf." Hier endlich
finden sich die Lösungsmöglichkeiten des Konfliktes zwischen Einzelleben
und überindividueller staatlicher Gemeinschaft. War vorher nur die
persönliche, hier ist auch die politische Freiheit gerettet und damit, aller
Problematik im Ausgestalten zum Trotz, eine Lebensführung gewähr-
leistet, die das deutsche Volk zu einem wahrhaft freien, vielleicht im tiefsten
Sinn zu dem freiesten der Erde machen kann und machen wird. Und gerade
in dieser letzten Form der Freiheitsempfindung kehrt jener erhabene polare
Gegensatz wieder, den Luther in seiner „Freiheit des Christenmenschen"
aussprach.

Wie aber stellt sich nun diese deutsche Freiheit zur Welt überhaupt?
Ist sie etwa die furchtbare Bedrohung des Weltfriedens, ist sie der Hort
imperialistischer Machtgelüste, als die sie unsere Feinde anschuldigen
und bekämpfen? Diese Frage beantwortet Otto Hintze im letzten Teile
unseres Buches. Er weist nach, wie gerade der Imperialismus, der die
rücksichtslose Ausdehnung der Macht über andere Völker, die brutale
Befriedigung von Eroberungsgelüsten ohne Bekümmern um die Daseins-
berechtigung fremder Nationalitäten, der deutschen Weltpolitik fern-
gelegen haben und fernliegen. Er zeigt, wie Deutschlands Politik auf
eine seiNer Kraft und Kultur würdige nationale Selbsterhaltung unter
gleichberechtigten, friedlich neben ihm und mit ihm lebenden Völkern
gerichtet ist, und er sagt: „Das Gleichgewicht im Weltstaatensystem muß
der Leitstern der deutschen Weltpolitik sein."

So handelt es sich auch hier wieder um eine Freiheit der Nationen,
die sich aufbaut auf innerer Gerechtigkeit. Das ist zunächst nur eine
Forderung, aber es ist die deutsche Forderung. Wohl denken nicht alle
Gefährten unseres Vaterlandes in gleicher Weise, wohl haben auch wir
Männer unter uns, die für rücksichtslosen Imperialismus eintreten.
Doch sie sind die kleine Minderheit. Die von Grund aus gegensätzlichen
Weltanschauungen liegen im Kampf. Wo hätten sich Ideale je ohne
Widerstand und tzemmnisse durchgerungen? Aber wir glauben es, und
für unser Vaterland wissen wir es schon: die deutsche Freiheit ist auf

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