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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 14 (2. Aprilheft 1918)
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Kranold, Hermann: Zum Geburtenrückgang: (Gefahren der Statistik)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0057

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auch in der Wissenschaft schon eine bedeutende Rolle gespielt; so hat
man zum Beispiel, als die Beobachtungen am Krankenbette nicht mehr
ausreichen wollten, die Wirksamkeit des von Behringschen Diphtherieserums
aus statistischem Wege beweisen wollen und gesagt: Im Iahre s895 starben
in Berlin zum Beispiel von einer Million Lebenden 5^5 an Diphtherie,
im Iahre sZOS dagegen nur noch s5H,2, und diese Abnahme ist ganz langsam
und kontinuierlich vor sich gegangen. Im Iahre sbZS aber ist die Serum-
behandlung nach von Behring eingeführt. Also ist dieser Rückgang der
Serumbehandlung zuzuschreiben. Demgegenüber ist zu sagen: Von s885
bis sZZS hat sich dieselbe Zahl bereits, ohne daß es die Serumbehandlung
gegeben hätte, von söl4,8 auf jene SZö vermindert. Zugleich aber hat
sich die Zahl dsr Erkrankungen an Diphtherie von s895 bis s905 von
^08^,2 auf s Million Lebende bts auf R52,7 herabgemindert. Es ist aber
ganz klar, daß eine solche Verringerung der Zahl der Erkrankungen ganz
automatisch zu einer entsprechenden Verringerung der Zahl der Todes-
fälle führen muß, so lange die Krankheit nicht einen wesentlich bös-
artigeren Charakter annimmt; wenn also die Nachprüfung ergibt, daß im
Iahre I895 der Anteil der Todesfälle an Diphtherie an den Erkrankungen
an Diphtherie (^,6 vom Hundert ausmacht, so müssen wir von der Wirkung
der Serumbehandlung erwarten dürfen, daß dieser Satz sich auf die Hälfte
oder doch jedenfalls ganz wesentlich vermindert hat. In Wirklichkeit er-
lagen dagegen OOS von soo an Diphtherie Erkrankten immer noch s3,3
dem Leiden. So führt also die Vergleichung vergleichbarer
Zahlen und die Ausschaltung der zeitlichen Zufälligkeit, daß die Diph-
therie eine viel seltenere Krankheit geworden ist, zu dem Schluß, daß
sich mit statistischen Methoden jedenfalls eine bessernde Wirkung
der Serumbehandlung auf die Aussichten, eine Diphtherie-Erkrankung
zu überleben, nicht nachweisen läßt. —

Ein in der Tagespresse in letzter Zeit mit besonderer Vorliebe zu Aus-
flügen in das statistische Gebiet benutztes Thema ist der Komplex von
Fragen, der sich an die Erscheinung des Geburtenrückganges an-
schließt. Gerade auf diesem Gebiete, der Bevölkerungsstatistik, aber ist
es selbst für den sehr genau eingearbeiteten Fachmann besonders schwierig,
zu einwandfreien Ergebnissen zu gelangen. Auch anerkannt hervorragende
Statistiker sind in den gefährlichen Fehlerquellen dieses Gebiets rettungslos
ertrunken. Folgendes Beispiel diene als Nnterlage für die Erörterung
im Einzelnen:

In einem Aufsatze über die wachsende Anlust der Frauen zur Mutter-
schaft las ich die folgenden Darlegungen, die bestimmt waren, die Größe
des Geburtenrückgangs in Deutschland und besonders in Sachsen recht
anschaulich den Lesern vor Augen zu führen: »Ieder weiß, daß die Geburten-
zahl im Deutschen Neiche stetig und gar nicht etwa langsam fällt."

Das ist nicht ohne weiteres richtig. Die absolute Zahl der Geburten
wenigstens ist zwar in den letzten Iahren manchmal (aber nicht immer)
hinter der des jeweiligen Vorjahres zurückgeblieben, aber gerade die Zahlen
für (9(2, die vor kurzem durch die Zeitungen gingen,* zeigen wieder eine,
wenn auch geringfügige, Zunahme der absoluten Geburtenzahl in Preußen.
Nun könnte man sich darauf berufen, daß es eben auf die absolute Gebur-
tenziffer gar nicht ankomme, und für die relativen Ziffern stimme jene Be-
hauptung. Aber das müßte der zitierte Autor mindestens erwähnen; der

* Dieser Aufsatz wurde vor längerer Zeit geschrieben.

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