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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 14 (2. Aprilheft 1918)
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Kranold, Hermann: Zum Geburtenrückgang: (Gefahren der Statistik)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0058

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Nichtfachmann kann das nicht wissen, zumal die Behauptung, daß es auf die
absoluten Ziffern nicht ankomme, noch einigermaßen umstritten ist. — Es hieß
dann weiter: „Während im Iahrfünft 1.886 bis HO im Mittel 37,9 Geburten
auf fOOO Einwohner kamen, waren's im Durchschnitt der Iahre l906
bis WO nur 32,6, also ein Sinken der Geburtenziffer um fast (^ vom
Hundert in etwa zwanzig Iahren! f876 betrug die Geburtenzahl noch
q^2,6, für WO verzeichnet die Statistik für das Deutsche Reich nur 30,7,
für Sachsen 28,2!" An diesem Beispiel sieht man, daß die Statistik
doppeldeutig ist.

Zunächst ist es unzulässig, die Wertung eines Geburtenrückganges nur
aus der Geburtenziffer und ihrer Abnahme um so und so viel vom Hundert
abzuleiten. Denn eine möglichst hohe Geburtenziffer kann für ein menschen--
leeres sruchtbares Land etwas ganz anderes bedeuten, wie für ein über--
völkertes Land mit ärmlichem Boden. Auch soll man immer erst zusehen,
was für Kinder geboren werden, und wie viele von ihnen das erste Lebens--
jahr überdauern; man muß, so lange es sich um relativ so geringe Unter--
schiede in der „Geburtlichkeit" handelt, sich fragen, ob nicht durch einen
Rückgang der Sterblichkeit der jeweilige Geburtenausfall ersetzt oder gar
mehr als ersetzt wird (wie es gegenwärtig, im Vergleich zu (876 und
(886, zweifellos auch ist). Man muß weiter erörtern, ob es sich beim
Geburtenrückgang um eine vorübergehende oder um eine dauernde Er--
scheinung handelt. Zwar ist das letztere für diesmal sehr wahrscheinlich,
aber die Vergangenheit lehrt, daß auch solche sehr wahrscheinlichen An--
nahmen manchmal von der genauen Statistik nachträglich Lügen gsstraft
werden.

Schließlich ist es als unzulässig zu bezeichnen, wenn jemand als Maß--
stab für die Fruchtbarkeit eines Volkes die Zahl der Geburten, berechnet
auf (000 Einwohner, wählt. Man muß vielmehr berücksichtigen, daß Ver--
schiebungen in der Zusammensetzung einer Bevölkerung hinsichtlich des
Anteils der einzelnen Geschlechter und der im zeugungsfähigen Alter
Stehenden, Männer wie Frauen, und ähnliche Erscheinungen an der
ganzen Masse der Bevölkerung einen Geburtenrückgang oder eine Geburten--
zunahme vortäuschen können, ohne daß im Durchschnitt die einzelne
Frau in Wirklichkeit weniger fruchtbar ist als früher. Ich gehe hier, um
noch weiteren Komplikationen auszuweichen, nicht auf die Schwierigkeit
ein, daß die Geburtenzahlen im Laufe der Zeit, hinsichtlich der Einrechnung
oder Nichteinrechnung der Totgeborenen und hinsichtlich der Abgrenzung
der Totgeborenen gegen die Toten der ersten Lebenstage, ganz verschieden
behandelt worden sind und schon deshalb eine sehr kritische Betrachtung
des statistischen Nrmaterials nötig machen, und daß diese Kritik noch
nicht zu so sicheren Ergebnissen geführt hat, daß die Ergebnisse der Be--
völkerungsstatistik sich als populäres Bildungsmittel eignen. Auch spreche
ich absichtlich der Einfachheit halber nur von deutschen Verhältnissen, obwohl
volles Licht nur aus internationalen Vergleichen auf das Problem
des Geburtenrückganges fallen kann.

Mindestens eine derartige Tatsache kommt für uns in Betracht. Es
darf als bekannt angesehen werden, daß in Deutschland zwar seit langem
schon etwa (06 Knaben auf je (00 Mädchen geboren werden, daß aber
durch die weit stärkere Beteiligung der MLnner an der Auswanderung
es dahin gekommen ist, daß wir tatsächlich seit Iahren und auch gegenwärtig
uoch einen Frauenüberschuß in Deutschland haben. Dieser Äberschuß an

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