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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1918)
DOI Artikel:
Corbach, Otto: Die Zukunft des Parlamentarismus, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0077

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gen läßt und die Vertreter ehemaliger Minderheiten in den Stand setzt,
für alle erlittene Unbill Vergeltung zu üben. Der Umfang der einzelnen
Wahlkreise ist unter dem Mehrheitssystem gering, die Abhängigkeit der
Kandidaten von örtlichen Interessen daher groß. Nicht Politiker, die
stets vor allem das Wohl des gesamten Volkes im Auge haben, haben
die meiste Aussicht, gewählt zu werden, sondern solche, die sich in die
Enge von Kirchturminteressen am besten einzufügen wissen. Die Folge
ist, daß unter den Gewählten mittelmäßige Köpfe überwiegen, wirklich
bedeutende Persönlichkeiten selten sind, und daß viel zu wenig von den
wirklich allgemeinen Interessen, dagegen viel zu viel von den Sonder--
bestrebungen einzelner Wahlkreise die Rede ist.

Alle diese und viele andere Äbel soll die Verhältniswahl überwinden,
indem sie die Wahlergebnisse zu einem getreuen Spiegelbild der Stim-
menverteilung gestaltet, jede Partei genau im Verhältnis zu den für
sie abgegebenen Stimmen vertreten sein läßt. Würde dieses System
unerbittlich bis in die letzten Folgen angewandt, so müßte die gesamte
Wählerschaft einen einzigen Wahlkörper bilden, und jeder könnte in das
Parlament gelangen, der im ganzen Lande eine genügende Anzahl
Stimmen für sich zu sammeln vermöchte, beispielsweise der Leiter einer
vornehmen Zeitschrist, der in einzelnen Bezirken immer nur die wenig
zahlreiche geistige Elite als Anhänger hätte, die aber im ganzen Lande
zu einer genügend starken Wählerschaft anschwellen könnte. In dieser
idealen Form hat sich jedoch die Verhältniswahl bisher nicht als durch-
führbar erwiesen, man begnügte sich meist mit irgendeinem Kompromiß
zwischen dem überkommenen Wahlverfahren und dem Grundsatz der Ver-
hältniswahl. Das beste Wahlrecht kann mehr schaden als nützen, wenn
die sozialen Verhältnisse dafür nicht genügend entwickelt sind. Die
Gruppierung der Wählerschaft nach ihren Wohnsitzen, wie sie das
Mehrheitssystem erfordert, entspricht der Abhängigkeit der Bevölkerungs-
massen von den Grundbesitzern. Zwischen die staatlichen Machthaber
und die privaten Grundbesitzer schob sich durch den Parlamentarismus
ein durch Wählbarkeit gemildertes neues Herrentum, das zunächst auch
wieder den einzelnen Volksgenossen als bloßes Zubehör zum Boden
betrachtete und behandelte. Es diente aber doch dazu, das Los des nie-
deren Volkes im ganzen zu erleichtern, indem es als Anwalt sozialer
Ansprüche der Wählermassen den Trägern der Staatsgewalt und den
Inhabern des privaten Grundeigentums mehr Herrenrecht raubte, als
es selbst in Anspruch nahm. Der Kampf gegen die Grundbesitzer aber
konnte, solange die wirtschaftlich abhängigen Volkskreise noch nicht zu
großen, mächtigen Berufsverbänden zusammengeschlossen waren, bei all-
gemeinen Wahlen wirksam nur geführt werden, wenn verhältnismäßig
kleine Wahlbezirke gebildet wurden, in denen man sich Kandidaten
gegenübertreten ließ, die möglichst mit den Ortsverhältnissen genau ver-
traut waren. Das Zurücktreten aller anderen Abhängigkeiten vor denen
zwischen Grundbesitzern und bloßen Bewohnern gab den Weltanschauungs-
parteien freien Spielraum, ihre aus Kosten der WLHler vollzogenen
Kompromisse mit der Staatsgewalt und dem Grundbesitz zu verschleiern.
Deshalb treten diese neuerdings in dem Maße in den tzintergrund, wie
es der Gewerkschaftsbewegung gelingt, die wirtschaftlich abhängigen Be-
rufe als geschlossene Einheiten den Inhabern ihrer Produktionsmittel
gegenüberzustellen und dadurch die verschwommenen politischen „Welt-

ss
 
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