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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 15 (1. Maiheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0091

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die Füllung des Staatsäckels, sondern
vor allem die LinschrLnkung dieser
Art von Genüssen beabsichtigt oder
beabsichtigen sollte.

Es ist einmal so: unsre Achtung
für den Staat, unsre Bereitschaft,
das Leben für ihn einzusetzen, be-
zieht sich nicht auf diejenigen Funk-
tionen, wonach er „die in Betracht
kommenden Gewerbe- uud Handel-
zweige" bei bequemer Verdienstmög-
lichkeit erhält, so wünschenswert das
sein mag, sondern auf seine Kul-
turbedeutung, und die sehen wir
in der Zat erst da, wo der Staat
zwischen Einnahmen und Einnahmen,
Gewerben und Gewerben zu unter-
scheiden und einige mit Bewußtsein
überflüssig zu machen versteht. Er
braucht — um diesen Einwaud der
Gassendialektik gleich zu entkräften —
dadurch keine ehrlichen Arbeiter zu
schädigen, er führt sie in andre Be-
rufe über und erlöst sie so aus nich-
tiger LLtigkeit zu befriedigender. T

„Für Deutschlands Millionär"
^üngst fuhr ich spät am Samstag
OAbend aus der Stadt nach Hause —
vierter Klasse, wie immer, wenn ich
allein bin. Der Wagen, spärlrch be-
leuchtet, war gedrängt voll von Ar-
beitern und Arbeiterinnen, die sich des
Wochenschlusses freuten. Doch hörte
ich kein unschönes, kaum ein lautes
Wort. Bald fing ein Singen an: alte
schwäbische Volkslieder klangen in die
Frühlings nacht hinaus. Ich hatte
lange in das mondhelle Neckartal
hinausgeschaut. Ietzt lehnte ich müde
in meiner Ecke. Ich nickte ein. Die
weichen Klänge vom „Holderstrauch"
verwoben sich mit den Bildern der
Mondnacht.

Der Zug hielt. Ich erwachte. Lang-
sam begriff ich, wo ich war. Ebeu
sangen sie den Schlußvers:

„Beim Holderstrauch, beim Holder-

strauch,

Da gibt's kein Wiedersehn.

Er zog ins Feld und starb als Held
Für Deutschlands Millionär."

Wie, hatte ich recht gehört? Was
war das für eiu Schlußvers? Nicht
schrill und leidenschaftlich hatten sie
ihn gesungen, ncin, ganz ruhig, so sanft
und weich wie das ganze Lied. Mir

aber gab's einen Stich durch die Seele.
So scharf empfand ich den Gegensatz
zwischen dem süßen Klang und dieser
bitteren Klage.

Aber war diese Stimmung nicht
doch begreiflich? Waren wir nicht
eben an den Daimlerwerken vorbei-
gefahren? And gab es nicht auch sonst
Geldmenschen genug im dcutschen
Vaterland, die den Krieg nur als
Geschäft ansehen? Und wenn ich mich
auch völlig unbeteiligt wußte an
jedem Kriegsgewinn, so wurde ich doch
ein Gefühl der Mitschuld nicht los.
Was hatten wir denn nun eigentlich
getan, wir „Führenden", wir „Gebilde-
ten", um diesen Männern und Frauen
ein besseres Verständnis des großen
Weltgeschehens zu geben? Was hatten
wir getan, um sie's im innern Her-
zen spüren zu lassen, daß jeder mit
seiner Hände Arbeit mitschafft aur Gan-
zen? Am sie erleben zu lassen, daß
heute jeder Staatsbürger sagen darf
und sagen soll: „Der Staat bin ich"?
Um ihnen ein Plätzchen an der Sonne,
eine gesunde Wohnung, ein Stückchen
eigen Land zu verschaffen? Was haben
wir denn nicht nur geredet, sondern
getan, um ihneu Feierabendglück
und Sonntagsfreude, Arbeitstolz und
Verantwortungsgefühl zu geben? Was
getan, um sie körperlich und geistig
in unser Volksleben einzugliedern?

Es ist furchtbar, daß unser Volk
das singen kann: „Für Deutschlands
Millionär". Müssen wir es nicht
noch dahin bringen, daß einmal die
Kinder, die jetzt geboren werden, ohne
Bitterkeit von den Helden des Welt-
kriegs singeu: sie starben für unsl
Eberhard Decker

Zur Auswahl der Tüchtigen. 2

ie Berliner Begabtenschule stellt die
pshchologische Fähigkeitsprüfung in
ihren Dienst. Mit ihrer Hilfe wählt
sie die aus, die als wirkliche Bcgabte
in Betracht konnnen. Dies ernsthafte
Bemühen, den wirklich Begabteu ge-
recht zu werden, ist ohne Zweifel hoch
erfreulich.

Aber! — Es wird die Konzentra-
tionsfähigkeit geprüft, indem gleich-
zeitig gerechnet wird und eine Ge»
schichte erzählt. Sehr richtig. Aber
siud das die wertvollsten Menschen,

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