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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 16 (2. Maiheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: Dada
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0104

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DaS Lsben ist wichtiger als die Kunst. Er ist Internationalist und Individualist.
Ständig muß er die Elemente seiner Persönlichkeit aus dem Chaotischen heraus»
reißen und doch jeden Moment bereit sein, sich selbst aufzugeben. Seine meta»
phhsische Erkenntnis ist die der Brutalität. Dada ist das primitivste VerhältniS
zum Leben und das intensivste zugleich. Der Dadaismus ist die Kunst der
gesteigertsten Bewegung, und derjenige ist der größte Künstler, der das be-
wegteste Leben hat. Das Verhältnis zu den Dingen ist Hingabe und Ironie
zugleich. Ideal: der Sensationsfilm." Die Berliner „Z. a. M.", reaktionärer
Gesinnung auch kaum verdächtig, spricht in ihrem Berichte von „geistiger
Drückebergerei", „schon veralteten Futuristen-Gstanzeln", gelegentlicher Kopro-
lalie, echtem Kunstfaulenzertum, ganz netter Parodie des allerneuesten Kunst-
geschwätzes und angesichts der Polemik gegen den Expressionismus von den
Brüdern Metzeles in einer Oststadt, die Konkurrenten sind und von denen sich
der eine bei den Kunden des andern mit dem tzinweise empfiehlt: „der
richtige Metzeles bin i ch". „Der richtige Bonrgeois-Metzeles" (sagt,Z. a. B.")
,ist also wohl der Dadaismus. Man könnte auch ungehalten tun, weil solche
Späße nicht in die Zeit passen. Ader ein Publikum, das in Scharen sein
Geld selbst dorthin trägt, wo sich die Albernheit schon im Titel ankündigt, wird
doch nicht hinderdrein ein Recht auf Entrüstung geltend machen wollen." Nun
eine Stimme von rechts: „Die seltsamen Spiele", meint die „Deutsche Zeitung",
„die jene jungen Herren so offen treiben, sind nicht zu vergleichen mit dem
täppischen Gebaren junger Neufundländer, die in ihrer jugendlichen Dummheit
zwar allerlei Possen treiben, aber doch die künstige Kraft bereits fühlen lassen,
es sind vielmehr bewußt vorgehende, unserm deutschen Empfinden gänzlich fern-
stehende Macher, die entweder durch die traurigen Erfolge der Geschäfte des
»Sturms« verlockt, sich gleiches »einnehmendes Wesen« anzueignen hoffen, oder
aber — und vielleicht trifft beides zu — geistig Kranke sind, deren Gebaren ja
gewiß Mitleid erregen kann, welches aber darum doch durch die Gefahr der
Ansteckung nicht weniger bekämpfenswert ist. Denn wenn Menschen erst so
weit gelangt sind, daß sie bewußt das Lallen des Säuglings, das unartikulierte
Gestöhn des Schmerzes oder sonstige Naturlaute nachstammeln und diese Nach-
ahmungen dann als Kunst, als Kulturziel anpreisen, dann sind nur
diese beiden Möglichkeiten noch vorhanden."

Ia, so weit wäre man also. Wer an Dementia praecox leidet, ist zu geistig
dafür. Das Säuglings-Dada, in diesem Zeichen siege die Kunstl Will sie in
gleicher Richtung weiter, so bleibt ihr nichts übrig, als in den Mutterleib zurück-
zukriechen, um dort den Embryonismus zu gründen.

Nun aber stellt sich die Frage vor: wie das möglich ward? Most, der
sich absurd gebärdet, ist da nicht viel, sondern in der Hauptsache bazillenreicher
Essig mit Schimmel, aus dem wir keinerlei Sorte Wein erhoffen dürfen. An
dummen Menschen, Lie sich für extragescheit hielten, hat's nie gefehlt, an Leuten,
die deren Dummheit und Litelkeit ausnutzten, ebensowenig, neu aber ist, daß
lin den Kunstgewässern von heute jegliche Wasserpest gedeiht. Das muß doch
wohl auch an der Aufsicht und der Pflege dieser Gewässer mit liegen. Sprechen
wir heut einmal d a von. Also nicht von den dunkeln Krästen, die im Werden-
den die Arbeit hemmen, umbiegen, verkümmern oder in Geiltrieben verwuchern
lassen und den Psychologen und Soziologen weit wichtigere als Doktor-Fragen
stellen. Nein, von dem, was Geschmack und Urteilsvermögen im Volke an-
regen, üben und klären könnte: von den Reinigungs- und Reguliermethoden
des Kunstbetriebes, von dem, was Ausstellungen und Sammelsport, Kunst-
schulen und Kunstbetrachtungen regiert, von der wirklich oder angeblich wissen-
schaftlichen und kritischen Kunstschriftstellerei.

Ihre große Wandlung begann mit dem Worte: „Es kommt in der Knnst
nur auf das Wie an, niemals auf das Was". Keiner, der vor dreißig Iahren
in den Kampf für Fortschritt trat, hat auf Las Wort verzichtet, auch ich werd'
es gebraucht haben, denn es schien uns allen damals unentbehrlich als Waffe
gegen die anekdotische und gegen die literarische, gegen alle die Philister-Malerei,
 
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