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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: Dada
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0105

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die das Auf- und Vorwärtskommen derjenigen Künstler hemmte, die aus der
Erscheinung als solcher neue Werte gewinnen wollten. Aber einmal in die Tages-
arbeit gerufen, ließ sich das Wort nicht rechtzeitig in die Ecke bannen, und
was es an Wahrheit sagte, war mißverständlich. Das ist gewiß: der Stoff
macht's nie, denn der Flachkopf plättet den höchsten Stoff flach, das kann er,
und der Hohlkopf füllt sich nicht vom reichsten, dieweil er löcherig ist. Aber
Kunstwert ist nur ein anderes Wort für Gehalt, und künstlerischer Gehalt ist
das, was ein Menschen°Ich im Beisammen mit einem Stoff an Weiter»
erzeugendem erzeugt. Lin Rasenstück oder ein Käfer in der Malerei ist Kunst,
wenn Albrecht Dürer seine Freude mit hineingemalt hat, so daß sie daraus
strahlt, und Nicht-Kunst, wenn ihn einer mit pflichtmäßiger Korrektheit unter
Gähnen nachliniert und abgepünktelt hat. Lin paar Striche von Liebermann,
ein paar Töne von Whistler sind Kunst, wenn sie sich in unsrer Phantasie so
zusammenstimmen und so zusammenbaun, daß der Genuß jener Feinäugigen
an der Welt auch uns erquickt. Wenn aber ein Menzel uns Charaktere schildert,
die er auf Herz und Nieren geprüft hat, oder ein Böcklin Gestalten, zu denen
sein mächtiges Naturgefühl Wellen, Winde und Wolken verdichtet hat, darf
man dann die Gabe der Charakterschilderung oder die der seherischen Poesie als
Gleichgültigkeit behandeln, das Bild allein auf Farben, Massen, Linien an-
sehn und es ausschließlich nach dem Malerischen werten? Eben das
bürgerte sich nun ein. Man maß nur nach dem Wie des Malerischen auch
dort, wo das große Abergewicht der Bedeutung gerade im Seelischen der
Erfassung und des Ausdrucks lag, wie eben bei Menzel und bei Böcklin, vor
allem bei Klinger. Man entwöhnte sich dessen, einen Maler überhaupt darauf»
hin anzusehn, was er denn als Phantasie, als Geist, als Seele, als ganzer
Mensch aus den Dingen heraus- und in die Welt hineinschuf, man engte das
Kunstgenießen ein, als wären nur die Leistungen der Sinnesorgane als solche
der Betrachtung wert. Kohlfelder und Spargelbündel können sehr schön sein,
und es ist vortrefflich, wenn man das zu sehn lehrt, indem man sie vortrefflich
malt! Aber die Entdeckerfreude an dieser Schönheit verführte dazu, ihre Ver-
mittler so hoch zu preisen, als erschöpfte das Schwelgen in Kohlfeld- und
Spargclbund-Schönheit, in Licht- und Farbenschönheit, in Linien und Flecken
und Valeurs das Letzte, was ein Bild zu bieten vermag. Und so irrte man ab
vom Geistigen in der Kunst.

Ein weiteres tat das Aberschätzen Ler „Richtung". Seit Wagner mit seiner
„Zukunftsmusik" der Kritik zum Trotze zur Weltberühmtheit kam, bangt in
den meisten vom kritischen Metier eine geheime Angst und flüstert ihnen zu:
„Geh mit. geht mit!" Einmal, zweimal, dreimal mögen sie einem „Neutöner"
noch sagen: Stuß!, ist der Mann aber zäh und gut umfreundet, so machen
die ersten Hypnotisierten den kritischen Gaul mittanzlustig, dem Mann hoch zu
Roß wird unbehaglich, er kommt ins Drehen, und schlicßlich sindet auch er
am Kaiser die neuen Klcider schön, die der Kaiser nicht an hat. Ach, es ist ja
schon an und für sich ein Ansinn, bei Kunstwerken in irgendeiner „Nichtung"
als solcher die höhere Menschenleistung zu sehn. Im gesellschaftlichen,
sozialen, im politischen Leben mögen Massenbewegungen entscheiden. Kunst
aber und nun gar Höhenkunst, ist ja Sache des „höchsten Glücks der Erden-
kinder", der Persönlichkeit, und wie erst Erobererkunst, die für Seele und Sinne
Neuland gewinnen will! Wenn eine Richtung als solche Höchstgut an Kunst,
also an Persönlichkeitswert verbürgte, so müßten die Genies zugweise antreten
können.' Was zieht, trabt zu Herden zusammengebellt oder läuft Leithammeln
nach, kommt damit auch auf Lie Weide, aber mit der Pflege der Persönlichkeits-
werte hat das doch kaum zu tun. Ans draußen wenigstens sehn sie, die in Herden
ziehn, selten nach Sehern aus. Weg mit dem Bilde: Das Wichtigmachen der
„Richtung" vor der Persönlichkeit lenkt auf das Vielen Gemeinsame und damit
auf das Äußerliche der Kunst. So trägt es seinerseits dazu bei, zu entgeistigen.

In einem vollen Kunstwerke lebt ein ganzer Mensch. Die in der Kunst-
kritik regierenden Herren jedoch sehn seit lange nicht auf den Ganzen. Wie

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