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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 16 (2. Maiheft 1918)
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Schumann, Wolfgang: Carl Hauptmann: zu seinem 60. Geburttag
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0107

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„Modernen" und Führenden, die „Naturalisten", zu sammeln suchte, dem
S. Fischerschen; ein Stück aus dem schlesischen Bauernleben, in nnverfälschtem
Dialekt geschrieben, voll von allerechtesten Zügen, voll von Leben, ohne ver-
wickelte „Komposition", ein Ausschnitt aus einem Frauenleben, anhebend mit
junger Leidenschaft, nach kurzem, im Umkreis des „Milieus" fast heldischem
Kanrpf endend mit bitterem, willensstarkem Verzicht. Es gibt heute Menschen,
die „so was nicht mehr lesen können", wie sie sagen. Ich habe „Ephraims
Breite" in diesen Tagen mit wahrer Frende, mit einem Gefühl wieder gelesen,
als ginge eine Stärknng aller Lebenskräste von dieser Dichtung aus, die nicht
groß, nicht geistvoll, nicht tiefsinnig, nicht läuternd, erbauend oder prickelnd
reizvoll, sondern „nur" echt, einfach, stark, urwüchsig ist. Hauptmann schien
sich damals dem „Aaturalismus" verschrieben zu haben. Aber es schien nur so.
Bald kam sein „Tagebnch". Es brachte zweierlei. Gedichte, die von fern an
Eichendorfs erinnerten, geboren aus rückhaltloser Hingabe an die Natur, und
solche etwa von Wilhelm Müllers Haltung, in hergebrachten Neimen und
Nhythmen — Gedichte, die bewiesen, daß Carl Hauptmann gewißlich kein
Lhriker im engeren Wortsinn ist. Bedeutsamer war der andre Teil des „Tage-
buch", die Aphorismen. In ihnen kmrdigte sich die kommende Geistesrichtung
Hauptmanns deutlicher an. Konnte man nach seinen wissenschaftlichen Ar-
beiten ihn für eine Gelehrtennatur halten, so fchalt er nun auf den „Intellek-
tualismus", schwor er auf ein „Urwissen", auf das Dasein „ewiger Rätsel",
un denen die „Verständigen" vergebens sich abmühen. Entgegen der mitleidig-
sozialen, demokratisierenden Gesinnung vieler Naturalisten trat er für „aristo-
kratische" Haltung ein. In Novellen wie „Träume" hatte man das heiße Be-
mühen gespürt, genau zu beobachten nnd auch leiseste Regungen des Lebens
„tren" wicderzugeben; nnn bekannte sich der Dichter zu der Lust des traum-
wandlerischen Versinkens, des Rauschs in Liebe und Natur. Er kannte sehr.
genau den Entwicklungweg, den er als Schaffender zurücklegte: von scharfer
Beobachtung und treuer Wiedergabe zu einfühlerischem Miterleben und un-
geburrdner Erfindung, vom „Naturalismus" zum Impressionismus und In-
tuitionismus. „Die Knnst muß gegen die Wissenschaft das Gefühl klären,
den Instinkt heben." Viel deutlicher und sicherer tritt diese Wendnng, diese
distanzierende Gesinnung in der zweiten Auflage des „Tagebuchs" WO her-
vor. Aus dieser Gesinnung heraus ist auch der berühmte Vortrag „Unsere
Wirklichkeit" entstanden, der zuerst im Kunstwart (XVI, W erschien und in dem
Carl Hauptmann die Äberlegenheit der ursprünglichen Naturanschauung, des
tief-innig „naiven" Verhältnisses zu den großen Mächten der Naturwirklich-
keit über die ganz in das Kulturgetriebe eingebundene Wesensart des „mo-
derncn" Menschen pries. Wie mir scheint, hatte er zu solchem Verhalten den
denkbar stärksten persönlichen Grund: was er als Dichter Wesentlichstes zu geben
hatte, entsprang seiner innigen Einfühlung in Urwesenheiten der Natur, auch
der Menschennatur. Schon das nächste dichterische Werk Hauptmanns, das
philosophische Drama „Die Bergschmiede", tut das dar. Hier stehen jene
ahndereichen Ieilen, welche dichterisch gefaßte Stimmen der Natur, des Sturms,
des Gebirges sind; hier umhüllt eine wundersam lebendige „Stimmung" alles
Menschliche und Geschehende, die unmittelbar erfaßte Riesengebirgstimmung
ist; hier entladen sich mit packender Gewalt Urtriebe und -wesenheiten mensch-
licher Natur. Und auf dcr andern Seite: der gedankliche Gehalt des Dramas
bleibt im ersten Anklingen stecken, bleibt unausgearbeitet, ja durchaus un-
klar; die Umrisse der Gestalten verschwinden. Neu in Hauptmanns Schaffen
aber war die Freiheit der Erfindung, das Walten einer selbstherrlichen Phan-
tasie. Auf dieser „Linie" ist er später vorgedrungen zu dem rein phantasie-
geborenen Ideendrama „Des Königs Harfe", das in anschaulichen Bildern
den Schicksalweg eines königlich Geborenen in dieser Welt der Wirrnis und
dcs Schreckens spiegelt, faszinierend, gedankenaufreizend, doch ohne letzte Klar-
heit; zu dem an Geschichtlichcs anknüpfenden, jedoch ganz intuitiv gestalteten,
ganz wirklichkeitfieinden und übrigens meinem Gefühle nach verunglückten

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