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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 16 (2. Maiheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0116

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Stiefkind der deutschen Religionfor-
schung gewesen. Eigentümlich genug;
doch hängt es wohl mit typisch deut-
scher Ärt zusammen; nicht nur tadelns-
werter — einem gewissen Weitergrei-
fen in Wollen und Wissen, Selbstver--
gessen in Verstehen und Durchdringen
des Ganzen. Sonst sollte es kaum
etwas Wichtigeres für uns geben, als
die Erforschung der Art, wie aus dem
weltabgewandten Verzweiseln und
Sichtrösten der sterbenden Antike über
Heliand und deutsches Mönchtum, über
Rom- und Orientfahrten, über Ecke-
hard und rheinische Ketzerei hinweg
Luthers zufassender Glaube wurde und
wuchs. Leider, wie gesagt, ist es Hauck
nicht vergönnt gewesen, so weit zu füh--
ren. Aber seine Schilderung der
Hohenstaufen- und der nächsten Nach-
hohenstaufenzeit versprach viel für die
Aufgabe.

Den Laien erfreut besonders die
Gabe lebensvoller Charakterisierung.
Man glaubt etwas miterlebt zu haben,
wenn man ein Kapitel gelesen hat,
wie das des vierten Bandes, wo die
ersten Ketzer am Miederrhein auftreten.
„Es ist wunderbar", zitiert Hauck aus
dem Briefe eines Augenzeugen, „sie
haben die Pein des Feners nicht nur
geduldig, sondern mit Freuden ertra-
gen und überwunden." Eine kleine
Genossenschaft kam MZ aus Flandern
nach Cöln. „Sie kannten", erzählt Hauck,
„den fanatischen Argwohn der Bevölke-
rung und scheuten sich, ihn zu erregen.
Wenn sie ihr Nachtquartier nicht in
der Stadt, sondern in einer Scheuer
vor dem Tore nahmen, glaubten sie
unbeachtet bleiben zu können. Aber
man bemerkte und beobachtete sie auch
dort. Daß sie nicht zur Messe kamen,
genügte, um den Verdacht, sie seien
Irrgläubige, hervorzurufen. Sie wur-
den vor das geistliche Gericht gestellt
und nach langen Verharrdlungen ver°
urteilt. Man hat sie am Iudenkirch-
hof verbrannt. Als schon die Flam-
men die Armen umzingelten, segnete
Arnold, ihr Führer, seine Leidens-
gefährten zum Sterben ein . . . Mit
den Männern war eine Iungfrau ver-
haftet worden; ihr Liebreiz erregte
Mitleid; einige Kölner Bürger suchten
sie zu retten. Aber sie ließ sich nicht
zurückhalten: Als Arnold in den

Flammen zusammenbrach, verhüllte sie
ihr Gesicht mit dem Gewand und
stürzte sich über den Leichnam des Ge-
mordeten; so ist sie umgekommen.
Diese Vorgänge machten großes Auf-
sehen." Dies als Probe der Art, wie
tzauck durch kleine Züge farbig zu zeich-
nen versteht.

Flandern ist alter Boden selbstän»
diger Frömmigkeit. Aberhaupt der
Niederrhein. Ich benutze die Gelegen-
heit, auf «in paar Bändchen flämischer
Mystik hinzuweisen, die Friedrich
Markus Hübner in der Inselbücherei
übersetzt hat. Ketzer sind diese Mh»
stiker ja nicht ohne weiteres; doch leb»
ten sie in der Gefahr. And den Größ-
ten von ihnen, Eckehard, hat nur ein
plötzlicher natürlicher Tod vor der Ver-
urteilung bewahrt. Es findet sich in
jenen Bändchen (Visionen der Schwe-
ster Hadewich — um (300 — und Ian
van Ruisbroecks Buch von den zwölf
Beghinen — um (3(0), wie in fast
aller Mhstik, Zartestes mit Rohestem
gemischt. Die Mhstik in ihren Nie-
derungen ist vielfach Genuß frommer
Phantasien, Gesichte, Stimmungen.
Die Leidenschaftlichkeit dieses Ge-
nießenwollens äußert sich in einer ge-
wissen Aufdringlichkeit der Bilder, die
vor keinem Gleichnis irgendwelcher
starker Genußmittel zurückschreckt, nicht
einmal des Alkohols, noch selbst dem
des wohlschmeckenden Mahles. „Mein
Fleisch ist gar und wohl gebraten / Am
Marterkreuz zu deinen Gnaden" heißt
es bei Ruisbroeck. Und bei -emselben
dann wieder ein Gleichnis wie das,
wo der Schauende die Augen von
allem Sonnebeschienenen abwendet
und „ganz hingegeben mit dem Ge-
sicht statt dessen nur das Licht und die
Strahlen verfolgt, die aus der Sonne
kommen und so sich hinübergeleitet
fühlt in dasselbe, was die Sonne ist."

Bonus

Girardi 1°

as Wiener Burgtheater hat mit
Volksschauspielern kein Glück. Th-
rolt und Balajthh: kaum gegrüßt, ge-
mieden; Alexander Girardi kommt nnd
stirbt im gleichen Iahre, seinem acht-
undsechzigsten. Ob er abergläubisch ge-
wesen ist? Schauspieler sind's vielfach.
Wie konnte er dann in Raimunds

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