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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 17 (1. Juniheft 1918)
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Alte und neue Staatsbürgerkunde
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0139

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des für die meisten sprungartig erwciterten Gesichtskreises: es regt sich zu-
sehends bei dem Zeitungsleser in Königsberg oder Konstanz, es bricht elementar
hervor bei dem höchst unsentimentalen Anschauungsunterricht in Flandern und
Galizien, an der Isonzo- und der Rigafront.

Was antworten nun den Fragern allen im Hinblick auf unsre deutsche
Zukunft die kurzen und die ausführlichen Leitfäden der Staatsbürgerkunde?
Namentlich seit einem Iahrzehnt erscheinen ja fortwährend welche. Historisch
verfahrende und soziologisch gefärbte, solche mit starkem volkswirtschaftlichem Ein-
schlag oder auch Miniaturausgaben des deutschen Staats- und Verwaltungs-
rechts und der Verfassungskunde. Volksvertretung und Staatsverwaltung sind
und bleiben wichtige Teile der Bürgerkunde; aber es darf der Blick durch diese
Gegenslände nicht eingecngt werden. Die wichtigsten außerdeutschen Kulturstaaten
müssen zum Vergleich herangezogen werden, nicht nur ganz gelegentlich und im
unmittclbarcn Zusammenhang mit geschichtlichcn Ereignissen; vielmehr rücken
auch hier die gegenwärtigen Vcrhältnisse und die ihnen zugrundeliegenden
sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und sonstigen Arsachen in den Vordergrund.

Weitcrhin mangelt es der landläufigen Staatsbürgerkunde an der nötigen
Großzügigkeit: mehr Gedanken und Leitideen, weniger kleine und varagraphierte
Einzelheiten; mehr Anleitung zum selbständigen politischen Denken gegenüber
der bedrohlichen Flut „positiven Stoffes"! Vor allen Dingen aber wird gemein-
hin eine Latsache unterschätzt, um derentwillen allein es an der Zeit wäre,
daß der nunmehrige Fnhalt die Form jener Werke sprengte: Der bloße Be-
griff „äußere Politik" ist im letztcn Menschenalter gerade für den Deutschen
unvergleichlich viel weiter und noch dazu bedeutend verwickelter geworden. Der
nahezu über unsern ganzen Planeten hin ausgedehnte Schauplatz politischen
Geschehens, politischer Probleme, sodann die unlösbare Verkettung der wirtschaft-
lichen mit den (im engeren Sinne sogenannten) politischen und der Politik ver-
wandten Fragen stellen Handelnde wie Zuschauer in der politischen Arena vor
die Wahl, umzudenken oder — zurückzubleiben.

Die Gesamtheit nun der genannten Dinge, d. h. das Lebensfähige aus der
alten Staatsbürgerkunde, vermehrt um die unabweislichen Forderungsn der
Gegenwart und der nächsten Zukunft, wird man zweckmäßigerweise nicht bei dem
alten leicht irreführenden Namen belassen dürfen. Nnd so erscheint als Sammcl-
begriff und leitcnde Idee wieder der schon von Basedow, Harnisch u. a.
geprägte Gedanke der Politischen Weltkunde, die ihren namhaftesten
Vorkämpfer unter den Lebenden in Paul Rohrbach hat.

Es handelt sich im Grunde um keine neue Wissenschaft, die sich ge-
Wohntermaßen über unsichere Tastversuche und allerhand Kinderkrankheiten zu
inncrer Kraft und äußerer Selbständigkeit durchzuarbeiten hätte. Eher könnte
man reden von einer Summe von Wissensgebieten, die einem Ziele von
denkbar weittragender praktischer Bedeutung dienstbar zu machen sind: der
Erkenntnis der Bcziehungen von Staaten und Pölkern untereinander; für
uns natürlich in erster Linie nach Maßgabe deutscher Bedürfnisse. Neben
deu Verschiedensten Einzelgebieten der phhsischen und der politischen Erd- und
Länderkunde rechnct man zur Politischen Weltkunde die Geschichte, die Volks-
wirtschaftslehre, sowie die übrige Staats- und die Rechtswissenschaft, ein voll-
gerüttelt Maß Politik im cngsten Wortsinne, nicht zu vergessen ausreichender
Vorstellungen von Völkerkunde und Völkerpsychologie, von Presse und Literatur
— das alles, und noch manches obcndrein, ein jedes Land im einzelnen und
dann nochmals alle zusammen in der Verflechtung aller dieser Größen zum
Wechselgctricbe des internationalen Ganzen der politischen Welt.

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