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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 18 (2. Juniheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: Hodler in unsrer Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0162

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und neupräraffaelitisch Englisches, ist Altgriechisches dabei, nnd nicht nur
vonr Vasenstil, ferner Altäghptisches und Asshrisches, dann Iapanisches und
noch mehr, nnd bis auf die Hanzeit zurück, Altchinesisches. Dennoch gibt es
kaum einen Künstler, dessen reife Werke schon dem ersten Blick den Namen
ihres Verfassers so sicher nennten, wie seine. Wer denkt vor Hodlerschen Bildern
an all das, wovon er gelernt hat? Ls gibt gar keines Künstlers „Werk", das
mit jedem neuen Bilde in noch höherem Masze immer wieder als Einheit und
als Eigenheit und als Sprache einer Persönlichkeit lebendiger gewirkt und
angeregt hat, als das Werk des reifen Hodler.

Vom werdenden Hodler gilt das noch nicht. Der lernt das Malen wie einst
fast allc, die vorwärts wollten, auf französisch, und seine alten Bilder gehören
mit gediegen realistischer Zeichnung und edeltonigem Kolorit unter den da-
maligen ihrer Art zu den besten, sagen wir: der zweiten Klasse. In diese»
Bilderu dcs jungen Hodler keimt erst der spätere, immerhin er keimt dort schon.
In der „Zwiesprache mit der Natur" z. B. ist nicht nur Puvis de Ehavannes;
der Halbwüchsige da ist zu häßlich für diesen, und er tastet auch schon mit den
Händen nach Hodlerscher Geste. Die Reformatoren der „Disputation" tun nicht
nur das, und höchst ausdrucksvoll, sondern sie haben auch schon den „Par-
allelismus", nur daß er noch durch den gemeinsamen Gang realistisch motiviert
wird. Wir sehn: Hodler pfropft sich nichts Fremdes auf, er wächst aus eigener
Wurzel. Wie die Wurzel sich ausbreitet und überall her trinkt, wird das
Wachsen ruckweis. Zum dunkeln Drang tritt eine Bewußtheit, die Lheorien
kommen und, wie der Künstler klarer zu erkennen glaubt, stählt sich zum
Aberwinden der Hemmungen der Wille.

«)ünstlertheorien sind in ihrem letzten Wesen meist Fürsprechgedanken nnd
-vVnoch dazu für eigene Kinder. Mcht immer, denn wo ein sehr kräftiger Ver-
stand im Künstlermenschen lebt, kann ihm gelingen, daß er vom subjektiven
Fühlen nichts vorschnell verallgemeinern läßt. Dann stellt er die Feinempfind-
lichkeit der Künstlersinne und die Beweglichkeit der Künstlerphantasie in den For-
scherdienst und gewinnt und ordnet so Gedanken, die der Wissenschaft von der
Kunst wertvollste Unterlagen bieten. Von Hodler gilt das nicht, seine Theorien
treffen einmal und einmal nicht. Am besten, wir halten uns an die Bilder
nnd suchen in ihnen nach dem Drange, dem beides entstammt, seine Theo-
rien wie — was wichtiger —seine Werke.

Mir für mein Teil trat Hodler als der „neue Mann" zum erstenmal mit den
beiden Bildern entgegen, die ich hinter diesem Hest noch einmal zur Illustra-
tion abbilde, mit der „Nacht" und den „Getäuschten Seelen". Gelöste Gestalten-
paare mit wenig Äberschneidungen, angeordnet wie auf altgriechischen und
asiatischen Vorbildern, koloristisch noch in alter Tonschönheit. Hier ist Ausdrnck
eines gemeinsamen Erlebens, aber innerhalb dessen mit Abwandlungen. Bei
den Schlafenden wirkt der „Parallelismus" als eine allgemeine Hingestrecktheit,
aus der nur der vom Alb Besessene aufzuckt, bei den Niedergeschlagenen wir-
ken durch den „Parallelismus" die Gestalten in ihren dunkeln Gewändern wie
müde fallende Tropfen. Die Landschaften, auch wie auf alten griechischen und
asiatischen Bildern nur mit Andeutuntzen „markiert", aber dabei — und das
war neu — durch Linienführung und Tönung zugleich als Stimmungsträger.

Wenn man Hodler den „ersten Expressionisten" nennt, so bedarf das wohl
einiger Begriffs-Bestimmung. Im allgemeinsten Sinn ist ja jede Kunst Aus-
druckskunst, die nicht nur abmalt, sondern das Ich des Künstlers einmischt, in
einer Beengung des Begriffs ist es jede Kunst, die um den Ausdruck seelischer
Erregung ringt, im üblichen Wortsinn aber ist „Expressionismus" Kunst, welche
sich für diesen Zweck des Ausdrucks berechtigt fühlt, die Formen der Natur be°
liebig umzuwandeln. Expressionist in diesem letzten Sinne jedenfalls war der
Hodler der „Nacht" und der „Getäuschten Seelen" noch nicht, denn die Zeichnung
dieser Gestalten ist sorgfältig naturalistisch. Noch ist Hodlern die Wirklichkeits-
form bei der Menschengestalt unantastbar.
 
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