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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 18 (2. Juniheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: Hodler in unsrer Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0163

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Doch er entwickelt sich weiter. Hodler ist darin durchaus Dentscher, daß ihm
das Ausdrucksvolle, das Charakteristische wichtiger als das Gefällige ist, und
insoweit Deutschschweizer, wie das eben Gesagte vom Deutschschweizer sogar
noch mehr als vom Reichsdeutschen gilt. Auch in seinen Gestalten, den männ°
lichen wie den weiblichen, erkennt man Schweizer ja allerwege, und nicht nur
am Aussehn, auch am Ausdruck und am Bewegen überhaupt. Nun versucht
dieser Germane in der romanischen Umwelt aus seinem Ausdrucksdrange herauS
Las, was man so eine Shnthese nennt, also eine Synthese von Germanischem
und Romanischem. Die schöne Linie, die Lurythmie, soll zur Charakte--
ristik hinzukommen, soll die Komposition des Bildes beherrschen und ihr die
Ruhe und Schönheit geben. Die romanische Eurhthmie trifft bei Hodler
Lereits den Parallelismus an, der durch räumliche Wiederholung den
Ausdruck seelischer Zustände wiederholen und dadurch eindringlicher suggerieren
will. Mit dem Parallelismus mag sich Lurythmie verbinden, da sich die Par--
alleleu ja bewegen lassen, wenn schon das eine Formungsprinzip durch das
andre beim Komponieren behindert wird. Aber das Prinzip der schön be°
wegten Linie findet als Material die an sich durchaus nicht immer schön--
linigen, sondern charakteristischen Menschenkörper vor. Was bleibt ihr
übrig, als sie zurechtzudrehn? Hodler muß also nicht nur die naturalistische,
sondern auch die charakteristische Einzelform fortan als solche um- und in die
Eurythmie einkomponieren. Die Gesichter stören dann wohl die Gesamtstim--
mung, ihr Ausdruck wird abgedämpft oder die Köpfe werden weggewendet. Bei
Len Leibern beginnt das Stellen und Biegen, das den Spötter zu dem Worte
verführen könnte, diese seltsamen ideal-realistischen Shmbolgestaltcn „müllerten"
ja und seien dabei obendrein in einer von einem Ansachverständigen, nämlich
einem Ballettmeister, einexerzierten Pose vom Photographen „abgefaßt". Der
Hodlersche Drang will aber noch mehr zur „Synthese" bringen. Scharfe Be-
wegung will klaren Kontur, in seinen älteren Bildern hat Hodler den auch.
Aber da ist der P l e i na i r is m u s, der auch mit überwunden werden soll.
Der scharfe Umriß wird aufgegeben, auf daß alles luftig und raumhaft werde.
And schließlich drängt das Verlangen nach Monumentalität. Ein Wort,
das freilich ganz Verschiedenes bedeuten kann. Lin Wandbild kann „monumental"
genannt werden, weil es sich einem monnmentalen Raum in vollendeter Ruhe
ein- und unterordnet, oder weil es ihm an rechter Stelle krönend den Punkt
aufs i setzt, oder ganz ohne Rücksicht auf den Raum, ganz an sich, weil eine
große Idee sich darin „usrs psrsnnius" ausdrückt — dann kann das monumen-
tale Bild räumlich so bescheiden sein, wie Klingers Radierung „And doch!" oder
gar wie Holbeins Totentanzblättchen. Hodler will zwei Arten vereinigen: das
energisch „krönende" Wandbild, das glänzend weithin beherrscht, und das eine
Idee als solche groß ausdrückende Bild. Das ist möglich und dann und wann
Hodlern gelungen. Aber niemals restlos. Denn das sozusagen unterirdische
Gegeneinander der mit jenen Shnthesen zusammengezwungenen Stilbestrebungen
stört die Ruhe der Monumentalität, sobald man es bcmerkt.

Auch höchst begeisterte Verehrer Hodlers sprechen davon, allerdings: seine
Kunst sei kalt. Auch die mit äußerst starkem Ausdruck ist es oft, wie eben
die „Nacht" odcr die „A.uiss äsyuss". Dort jedes der fünf Paare, hier jede der
fünf Gestalten ist glänzend charakterisiert, aber etwa wie ein Irrenarzt einem
ärztlichen Kollegen die Pshchosen seiner Patienten schildert. Vortrefflich be°
schrieben, jaja, so sind sie. Manche sagen, gerade dieses „Abstandhalten" sei
von der Monumentalität vcrlangt. Nein, Monumentalität verlangt Ruhe,
aber Ruhe braucht nicht kühl zu sein. Sie verlangt Ausschalten alles Neben--
sächlichen, nicht vom „objektiven Befund", sondern vom eigenen, innigen Er°
lebnis der Sache und das Sammeln aller Krast zum Steigern dieses
Erlebens. Die Aberdehnung und Aberdrehung der Hodlerschen Bewegungen ist
zudem nicht mit zwingend anschaulicher Steigerung des Körperhaften ver-
bunden, wie etwa bei Michelangelo, sondern im Gegenteil mit einem Auflösen
des Körpcrhaften, und auch andre Kunstelemente verlieren das Zwingende
 
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