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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 18 (2. Juniheft 1918)
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Steuerfragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0168

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wie weniges bei, die Freudigkeit eines Volkes zu erhalten und läßt es andre
Widrigkeiten zehnfach leicht ertragen; eine „schlechte" verschärft alle Unlust,
die es über sonstige schwer erträgliche Dinge empfindet. Wie tief Steuer--
fragen verankert sind, zeigt sich auch daran, daß sie unnrittelbar die höchsten
Grundsätze unsres Lebenswillens berühren — es gibt kaum eine nennenswert«
Steuer, die nicht nach ihrer ganzen Anlage erne bestimmbare sittliche
Anschauung von dem, was sein soll, bekundet, das Steuersystem eines Landes
ist eine sehr objektive Vertreterin seiner öffentlicheu Sittlichkeit. Dem ent°
spricht es, wenn wir von der Stenerverteilung verlangen, sie solle „gerecht"
sein, oder wenn wir einer Steuervorlage die Gerechtigkeit absprechen nnd si«
darum verwerfen. Man kann es als eine der vornehmsten Pflichten eines
reifen Volkes bezeichnen, sein eignes Steuersystem zu kenuen, sich mit wichtigen
Steuervorlagen gründlich zu befassen.

Das Steuersystem des Deutschen Reichs macht es dem deutschen Staats-
bürger unwahrscheinlich schwer, sich darüber klar zu werden, wann und wo er
eigentlich zu den Staatsfinanzen beiträgt; denn dieses System ließ „jeden
organischen Aufbau von Anfang an vermissen". Gehn wir diesen Dingen
einmal an der Hand eines ungewöhnlich klaren Aufsatzes der „Frankfurter
Zeitung" nach, der sich in ihrem Abendblatte vom s3. Mai lW findet. Vor
allem entbehrt unser Shstem der sog. „direkten" Steuern, die der Staats--
bürger „bar bezahlt" unü daher Halbjahr für Halbjahr klar und bewußt in
seine Haushaltberechnung einstellen kann; dafür ist es reich an „indirekten"
Steucrn, die wir beim Ankauf Dutzender von Dingen des täglichen Bedarfs,
bei jedem zweiten oder dritten Geschäftsabschluß bezahlen, ohne uns jedesmal
dessen bewußt zu sein. Dieses verschleierte System, an das wir seit Iahr--
zehnten gewöhnt sind, hat noch immer den Ausbruch des Unwillens hintan--
gehalten; stände beispielsweise auf einem Pfund Lebensmittel zu lesen: „Preis
l Mk., Steuer 85 Pf.", so würde das sehr für die Änderung des Shstems
agitieren — eben deshalb verschleiert man ja.

Das Verschleierungsshstem erschwert aber nicht nur Äberblick und Klarblick,
sondern auch das sittliche Urteil über die Steuerpolitik. Ls inutet nns zu,
uns in zahlreiche, geradezu „fachwissenschaftlich" aussehende Angelegenheiteu
hineinzuarbeiten, ehe wir die Grundlagen eines Arteils glücklich erarbeitet
haben. Es ist das typische System des Obrigkeitsstaates, in dem die hohe
Obrigkeit in weiter Entfernung vom Volk die schwierigen Staatsgeschäfte ab-
wickelt; es widerspricht dem Gedanken des Volksstaates. Dieses System hat
in Deutschland bis sM geherrscht; es herrscht, wenn auch nicht unbeschränkt,
noch; es beherrscht sogar die neuesten Vorschläge der Regierung noch; aber der
Reichstag hat endlich die Kraft zum Einspruch dagegen und zu Gegenvor-
schlägen gefunden, und die Tage der Alleinherrschaft des verschleierten Shstems
dürften gezählt sein.

Ein Blick auf ein grundsätzlich anderes Shstem möge dartun, welche Nach-
teile das unsere hat. In England hat die Regierung während des Krieges
Parlament und Volk ständig darüber offen unterrichtet, wie es mit deu Fi-
nanzen des Königreichs steht; „Stand und Höhe der Einnahmen und Aus-
gaben" sind dort ebenso allgemein bekannt wie ihre H'erkunft und die Haupt-
gebiete ihrer Verwendung. Die deutsche Obrigkeit macht aus dem Staats-
haushaltsplan während des Kriegs ein Geheimnis.

„Von Anfang an vertraut mit der ganzen, ungeheuerlichen Größe der
finanziellen Belastung, die der Krieg in noch immer steigendem Ausmaße allen
beteiligten Ländern auferlegt, hat der englische Steuerzahler früher als alle
anderen gelernt, sich mit dem Gedanken abzufinden, daß auch auf finanziellem
Gebiet der Krieg revolutionierend gewirkt hat, daß der Staat heute Anforde-
rungen zu stellen gezwnngen ist, die, gemessen an denen der Friedenszeit,
exorbitant erscheinen müssen. Änd er hat die von ihm geforderten Opfer ge°
bracht in einer Weise, die geradezu als heroisch bezeichnet werden darf. Im
Vertrauen auf die politische Einsicht des Volkes, auf sein Verständnis für

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