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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

DOI issue:
Heft 18 (2. Juniheft 1918)
DOI article:
Avenarius, Ferdinand: May-Rummel und freie öffentliche Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0175

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Vorgängerin die abscheulichsten Dinge nachgesagt hatte. Außer in diesen war
M. während seines letzten Iahrzehnts noch in mehrere andere Prozesse ver°
wickelt, die seine Lhre als Mensch und Schriftsteller zerstörten. Man wies ihm
nach, er lasse sich als »katholischer Dichter« feiern, sei aber Protestant, er habe
trotz abenteuerlicher Photographien niemals wilde Gegenden betreten, führe
den Doktortitel fälschlich und vor allem: daß er zugleich mit seinen frommen
Werken die sehr anfechtbaren Kolportageromane »Waldröschen« (>882), »Der ver-
lorene Sohn« (1884), »Die Liebe des Ulanen« (1.33^), »Deutsche Herzen, deutsche
Helden« ((885) und »Der Weg zum Glück« ((887) verfertigt habe. In all diesen
Prozessen war M.s Kampfesweise die gleiche: milde Worte für die üffentlichkeit,
keckes Leugnen, ein Abwälzen der Schuld auf unglaubliche Unterlassungen.
Am den Verleger nicht Lügen zu strafen, will sich M. gegen den Doktortitel
nicht gewehrt haben, zumal er (aber erst (Z02!) ans Ehicago ein Diplom erhalten
(— gekauft) habe; das k(atholisch) im »Kürschner« fei ihm entgangen. Die
»Wahrheit« der Reiseromane suchte er nun mittels einer verschwommenen Zwei-
seelentheorie in der Wahrheit des inneren Erlebnisses; von den Kolportage-
romanen habe er weder die Korrektur noch die fertigen Hefte gelesen (!) und
so die unsittlichen Einschübe des Verlegers Münchmeyer nicht bemerken können
usw. Mah versucht also «in Abbiegen auf Nebengeleise, um Scheinerfolge
zu erzielen und diese mit meisterlicher Zeitungsreklame ausnutzen zu können.
Dann gab er Geständnisse. Aber diese Geständnisse »Meine Beichte« ((907)
und die nachgelassene »Selbstbiographie« verhüllen alles Tatsächliche so sehr mit
Phrasen und Selbstbeweihräucherung, daß in dieser Aufmachung auch alleS
vielleicht Wahre verhallt. Auf Mays Grabmonument steht die von ihm selbst
verfaßte Inschrift:

Sei üns gegrüßt! Wir, deine Erdentaten,

Erwarteten dich hier am Himmelstor,

Du bist die Ernte deiner eignen Saaten

Und steigst mit uns nun — zu dir selbst empor.

Sein Ruf beruht auf seinen »Reiseromanen«. Sie reihen ohne notwendig«
innere Verbindung, doch geschickt mit dem Stoffhunger anspruchsloser Leser
rechnend, eine Unzahl von Abenteuern aneinander, die M. in Asien alS
»Kara ben Nemsi Effendi«, in Amerika als »Old Shatterhand« bestanden
haben will. Aus dieser Täuschung an sich kann man ihm gewiß keinen Vor-
wurf machen, wohl aber aus der künstlerisch nicht zu motivierenden irreführenden
Betonung einer Identität des Verfassers mit seinem von Edelmut, Kraft und
Weisheit triefenden Helden. Die Charakteristik der Gestalten wirkt kindisch,
so sehr entbehren sie einer Entwicklung oder der gewöhnlichsten psychologischen
Wahrscheinlichkeit: Old Shatterhand sieht, hört, weiß und kann alles, sein«
Freunde besitzen unter ost rauher oder komischer Hülle das edelste und frommst«
Herz, seine Gegner, mögen sie sich nun glatt oder gemein betragen, sind innen
schwarz wie die Hölle. Ebenso schematisch ist die Handlung gebaut, sie läßt
immer wieder nervenaufreizend auf eine Spannung die mit einer unglaublichen
Heldentat »motivierte« Entspannung folgen. Daß in diesem mit kitschiger
»Poesie« und salbungsvoller »Frömmigkeit« aufgeputzten Wust von Abenteuern
der Aufschwung der Seele von Erdenstaub zu Wahrheit und Reinheit dargestellt
sei, ist eine jedenfalls kühne Behauptung Mays. So wenig ich in den Vorgängen
schöpferische Phantasie verspüre, ebensowenig in den von M.s Anhängern
gerühmten Landschaftsschilderungen. Sie häufen wohl verschwenderisch die Far-
ben, aber zur zwingend-einhcitlichen Anschauung schließen sich diese höchst
seltcn zusammen. Handelt es sich darum, Naturbilder den Lesern nnd be°
sondcrs der Iugend zu geben, so hat man viele reinere und unmittelbarere
Quellen als M.s abgeleitete Afterkunst. Auch seine glatte, aber breite, charak-
terlose und oft flüchtige Sprache empfiehlt ihn nicht/

Soweit also Kleinberg; es folgt noch eine Bibliographie.

Das weitere zur Beleuchtung dieses neuen „Falls" finden die Leser in dem
Offenen Briefe an die Mitarbeiter und Freunde des „Bibliographischen Iahr-
 
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