Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 12.1867

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13559#0023

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
7

Dns Mkopol'M silberne

u ie in Petersburg erscheinende deutsche „Wochenschrift" bringt
unter dem Titel „Archäologische Studien" einige Mit-
theilungen über die antiquarischen Sammlungen der
Czarenresidenz, denen wir folgende Beschreibung des be-
rühmten Nikopol'schen Weingefäßes entnehmen, welches
bei den Ausgrabungen des Jahres 1862 und 1863 im
^katerinosslaw'schen Gouvernement zu Tage gefördert wurde. Der

„Die Resultate dieser Ausgrabung waren glänzend: die werth-
s°Üsten Denkmäler der antiken Kunst wurden aus dem Schooße der
r°e/ in dem sie wohl über zweitausend Jahre ruhten, an das Ta-
ässlicht gefördert. Diese Denkmäler verrathen auf den ersten Blick
te Zeit ihres Entstehens: sie gehören unzweifelhaft in die Zeit des
Selsten griechischen Kunststyls, in das vierte Jahrhundert vor unserer
Zeitrechnung.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Nikopol'sche Hügel
as Grab eines skylhischen Königs in sich barg, und die darin ge-
fundenen Gegenstände sprechen deutlich dafür, daß die skythischen
onige Pfleger der griechischen Kunst waren, indem sie griechische
Hustler, wohl aus den Kolonien am nördlichen Gestade des Schwar-
h" leeres, bei sich beschäftigten. Die Hand eines griechischen
unstlers ist an der in Rede stehenden Base nicht zu verkennen, wie
der andern Seite die Bestimmung der Base für einen skythischen
°uig ebenso offenbar ist. Sie hat die Gestalt einer Amphora und
leMe als Weinbehälter: an ihrem untern Theile sind drei Schnäbel
Zum Auszapfen des Weins angebracht, von denen der eine, an der
dordern Seite sich bcfiudeude die Gestalt eines Pferdekopfcs, die
^iden andern die von Löwenköpfen haben. Dieser Pferdekopf schon
^ ein vortreffliches Kunstwerk und bestätigt die oben ausgesprochene
^usicht, bag wir es hier mit einem Denkmal aus der besten Zeit
cv griechischen Kunst zu thun haben. Der Rumpf der Base ist
"Ut künstlich verschlungenen Blätter- und Blumenarabcskcn verziert.

riter nach oben zu erblicken wir zwei große Vögel auf der vorderen,
°toie auf der Rückseite der Vase. Diese Vögel werden gewiß
^chtig als Auerhähne gedeutet, die auch jetzt noch im südlichen Ruß-
. häufig Vorkommen. Auf jeder der Seitenflächen sehen wir je
C'nen kleineren Vogel von derselben Gestalt neben einem Kranich,
dxx ^ einem in jenen Gegenden gewöhnlichen Vogel. Den Hals
J* ^afe schmücken zwei Gruppen von je zwei Greifen, welche einen
sck^ Zerfleischen. Der Greif ist nicht ein Erzeugniß der griechi-
J'f" Phantasie, sondern ist den Griechen aus dem entferntesten
in T "verkommen, ja gewöhnlich wird er von den Griechen selbst
. Skythenland versetzt, wo er als Hüter des Goldes gedacht
PZw natürlich ist es also, dast der griechische Künstler, der
te Vase für einen Skythenkönig anfertigte, zum Schmuck auf der-
fel6e« Greifen anbrachte.

fcen "un kommen wir zur Hauptsache, zu den Reliefs, welche

sg mies der Vase bilden. Diese sind es gerade, welche unsere
m e Z" einem der merkwürdigsten Denkmäler der antiken Kunst
St v*1' h"ben cs hier nicht mit einer, wenn auch vollendeten
ö» tta^ ber Natur in der Weise der flamändischen Malerschule
aus pudern mit einer kühn und originell gedachten und wahr
Leb °^ ^hrten Darstellung einer Scene aus dem gewöhnlichen Leben.

und Bewegung athmet jede einzelne Figur, hat die ganze
ie«er^a'- ist die symmetrische Anordnung der Figuren, die

Mit'' ^igenthümlich war und häufig störend auf uns wirkt,

we>^"^ Wunderbarer Geschicklichkeit gehandhabt. - In der Steppe
ende Pferde der edelsten Race werden von Skythen mit Schlin-

gst in It. Deterödurg.

gen eingefangen, mit Stricken gebunden. Die aus Golddraht ver-
fertigten Stricke konnten dem Zahn der Zeit nicht widerstehn. Die
menschlichen Figuren verrathen sogleich den skythischen Typus und sind
auch an ihrer Kleidung als Skythen leicht kenntlich; denn diese Klei-
dung erinnert deutlich an diejenige, wie sie noch heut zu Tage von
den Bauern im südlichen Rußland getragen wird. Den Mittelpunkt
der Gruppe bildet eine Stute, deren Füße von Stricken umwunden
sind, die von einem Skythen rechts und zweien links mit aller Ge-
walt angezogen werden. Dem zweiten Skythen links entspricht
rechts ein eben solcher in etwas rälhselhafter Stellung. Leider ist
diese Figur beschädigt, so daß »ns ihre Erklärung unmöglich wird.
Weiter rechts bindet ein Skythe einem derben Klepper die Füße zu-
sammen, der mit Zaum und Sattelzeug versehen ist, und auf dem
offenbar einer aus der Gesellschaft angeritten gekommen ist. Dieser
Gruppe entspricht links ein Skythe, der einen wunderschönen Hengst,
wohl den schönsten der ganzen Gruppe, eingefangen hat und ihn zu
zähmen sucht. Der edel geformte Kopf des Pferdes tritt ganz aus
der Oberfläche der Vase heraus; unbändige Widerspänstigkeit zeigt
jedes Glied, das Pferd scheint vor unfern Augen Leben zu gewinnen.
Dies ist die vordere Seite der Vase. Der Fries der Rückseite ist
spärlicher mit Figuren besetzt. An die zuletzt beschriebenen Gruppen
schließt sich je ein Skythe an, der einem Pferde eben eine Schlinge
unigeworfen hat und, sich mit Macht gegen die Erde stemmend, es
zum Stehen zu bringen sucht. In der Mitte sehen wir zwei noch
ruhig grasende Pferde.

Alle diese Pferde erinnern uns lebhaft an die des Parthenons
in Athen, sind aber unendlich höher zu stellen als diese letzteren,
gerade weil unser Künstler sich frei gerirt und sich ganz dem Ein-
fluß jener Wahrheit hingiebt, von der allein die Kunst geadelt wird.
Noch im vorigen Jahrhundert war die pseudo-klassische Richtung in
der Kunst, namentlich auch in der Darstellung der Pferde herrschend,
indem man die antiken Kunstwerke gerade auch in ihren Mängeln
in pedantischer Weise nachahmte und nach althergebrachten Schablo-
nen arbeitete. Man betrachte die Statue Peters des Großen auf
dem Jsaaksplatz. Wie schön das Pferd auch in seinen Details sein
mag, so gehört es doch jener verwerflichen Richtung an, weil es
widersinnig und unnatürlich ist*). Wie originell und genial auch
die Idee ist, so bleibt doch die Ausführung weit hinter ihr zurück.
Ich möchte doch in aller Welt wissen, wer je ein lebendiges Pferd
in solcher Stellung gesehen hat? Unserer Zeit bleibt es Vorbehalten,
gerade in dieser Beziehung etwas Bedeutendes zu leisten. Man sehe
nur die schönen Pferde auf der Anitschkin-Brücke an und das herr-
liche Pferd des Nikolai-Denkmals, welche alle aus der Werkstatt des
Baron Clodt stammen. Wie originell ist hier die Konccption, wie
unendlich wahr die Darstellung! Welches Leben manifestirt sich in
jedem Muskel, in jeder Ader, welche lebendige Bewegung durchfluthet
jede Faser, wie fließt diese Bewegung in einen Strom zusammen,
so daß die ganze Figur als ein einheits- und lebensvolles Ganzes
erscheint! Hier ist der Künstler im edelsten Sinne des Worts Schöpfer,
denn er hat seinen Werken den lebendigen Odem eingehaucht."

._ K. A.

*) Es bedarf wohl kaum einer Hinweisung darauf, daß wir das hier
ausgesprochene Priucip nicht anerkennen können. Die monumentale Kunst
hat noch andere, höhere Kriterien zu berücksichtigen, als die der bloßen Na-
turwahrheit. Wäre diese allein maaßgebend, so müßte eine Reiterstatue auf
einem Piedestal überhaupt als ein Widersinn betrachtet werden, weil sich
kein Reiter in der Wirklichkeit auf einen so hohen Untersatz stellen wird.

Die Red.
 
Annotationen