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Inhalt ein andrer substituirt, welcher der realen Welt entnommen
wurde: so entstand die Landschaft und das Genre; Gebiete,
die gegenüber dem Idealismus der religiösen und historisch-mo-
numentalen Malerei den Realismus, d. h. die wirkliche Natur
und den wirklichen Menschen repräsentiren. Und zwar wurde
weiterhin diese Realität in der allerbeschränktesten Weise gefaßt,
namentlich von den Holländern, welche die ganz triviale Seite
des menschlichen Lebens zur Darstellung brachten, zechende und
prügelnde Bauern und dergleichen. Die letzte Erweiterung nach
der realen Seite hin ist dann die künstlerische Reproduction des
rein Stofflichen, seidene Kleider, geschlachtete Schweine und
Blumenbouquets. An dieser äußersten Grenze angelangt, hatte
sich die Kunstdarstellung zuletzt in ihrer fortschreitenden Ent-
idealisirung erschöpft. Vollkommen inhaltslos geworden, macht
sie auch technisch Banqueroute, und so tritt denn jene Zeit der
Verflachung und Barbarei ein, welche bis in das 18. Jahr-
hundert hineinreicht, die Zeit der Frivolität des Rokoko und
der Unnatur der Zopfzeit.
Eine Reaction konnte, falls sich die Kunst nicht überhaupt
aufgeben sollte, nicht ausbleiben. Abermals tritt nun jene
Frage an die Künstler heran: Ist die Kunst noch der Fortbil-
dung fähig? Giebt es noch eine neue, höhere Aufgabe für sie
zu lösen? — Ja, es gab solche Aufgabe — und diese Aufgabe
ist es, an welche alle Bestrebungen der neueren Kunstgeschichte
seit Winckelmann anknüpfen, es ist die Aufgabe, deren
Lösung vornehmlich Cornelius in allen verschiedenen Phasen
seiner künstlerischen Entwicklung zu seiner Lebensaufgabe machte.
Hier ist der Punkt, an den also auch das Verständniß seines
Strebens und seiner Schöpfungen anknüpfen muß.
Welches ist nun diese Aufgabe?
Alle künstlerischen Bestrebungen seit dem Wiederaufleben
eines wahrhafteren Kunst-Gefühls — gegen das Ende des
18. Jahrhunderts — so verschieden sie in ihrem Princip sein
mögen, lassen sich doch sämmtlich aus dem einen tief, wenn
auch oft nur instinktartig gefühlten Bedürfniß erklären, daß die
Kunst sich von dem Druck des bis zur Trivialität und Unnatur
deprimirten Realismus der Anschauung zu befreien und über-
haupt den Gegensatz, in den das Kunstgefühl mit dem Idealis-
mus gerathen, zu überwinden habe. Also die Versöhnung
des Realismus mit dem Idealismus: das rfctr bie Auf-
gabe, das zu erreichende Ziel. Es handelte sich nur noch
darum, auf welchem Wege dieses Ziel zu erreichen sei. Eine
Regeneration der Kunst wurde gefordert; und die Bestrebungen
waren groß und gewaltig, aber auch vielfach mit Mißverständniß
und Einseitigkeit behaftet. Eine Lösung des Widerspruchs
zwischen Realismus und Idealismus konnte auf verschiedene
Weise erstrebt, in einer einzigen aber nur wahrhaft erreicht
werden.
Der Nächstliegende Weg, ein Weg der Reaction gegen die
inhalts- und formlose Vergangenheit, war nun der einer bloßen
Rückkehr zum Idealismus, also entweder zum antiken Ideal
der hellenischen Kunstanschauung oder zum christlich-roman-
tischen Ideal der vorraphaelitischen und raphaelitischen Kunst-
blüthe. Eine solche Reaction war ganz naturgemäß. In der
Misere der Gegenwart fühlte man die Größe der vergangenen
Idealwelten um so tiefer. Der erste Schritt war daher gleich
der weiteste, er griff über das Cinquecento und das Mittelalter
zurück bis zur Antike. Auf dem theoretischen Wege kritisch-
historischer Kunstwissenschaft gab Winckelmann und nächst
ihm Lessing den ersten entschiedenen Anstoß dazu, auf dem
praktischen Wege künstlerischer Production war es zunächst die
David'sche Schule, sodann in tieferer Weise Carstens und,
um die Verzweigungen dieser antikisirenden Richtung bis in die
Gegenwart zu verfolgen, Genelli, welche sämmtlich jene Ver-
söhnung lediglich durch eine strikte Rückkehr zum antiken Ideal
erreichen zu können glaubten. Zwar auf sehr verschiedene
Weise. Denn während besonders Carstens in seiner Ursprüng-
lichkeit eine edle, einfache Klassicität, verbunden mit geistvoller
Originalität des Inhalts, offenbarte, verflachte sich dies anti-
kisirende Princip in der David'schen Schule bald zu einem
hohlen Pedantismus, den man geradezu als „antiken Zopf" be-
zeichnen kann. Aber wenn Carstens und Genelli durch
die originale Tiefe ihres Geistes diese Klippe zu vermeiden
wußten, so beweist sich doch der Anachronismus ihrer Richtungen
theils durch die Jsolirtheit ihrer künstlerischen Stellung, theils
durch den auffallenden Mangel jener idealen Heiterkeit des
Schaffens, welche die hellenische Kunstentwicklung kennzeichnet.
Auch fehlt ihnen jene edle Volksthümlichkeit der hellenischen
Kunst, weil ihre Schöpfungen eben aus einem fremden Boden
emporwuchsen.
Dennoch waren die Anstrengungen dieser Männer, obschon
sie sich über das zu erreichende Ziel in einem Jrrthum befanden,
nicht vergeblich; denn sie hatten, den Boden von allem Unrath
reingefegt und vor Allem die Kunst selbst wieder zu einer Würde
der Anschauung erhoben, die sie lange verloren. Gleichwohl
fühlte man, daß in der strikten Rückkehr zum antiken Ideal die
Lösung der Aufgabe nicht zu finden sei. Wir sind eben keine
Hellenen mehr, wie sollte denn die hellenische Kunstanschauung
bei uns zu Fleisch und Blut werden. Sie wird immer außer-
halb der nationalen Kunstbewegung bleiben — und jede wahr-
hafte Kunstbewegung ist national, die hellenische war es ihrer
Zeit gewiß am meisten — und alle andern Bestrebungen werden
es höchstens zu einer mehr oder minder reichen Treibhausexistenz
bringen.
Dieses Gefühl war es, welches, im Gegensatz zur antiki-
sirenden Richtung, die romantische Reaction in's Leben
rief, welche durch Overbeck, Veit, Schadow, Schnorr
vertreten wurde. Wie Winckelmann, David und Carstens zum
antiken Ideal zurückgrisien, so griffen diese zur mittelalterlichen
Romantik zurück. Aber wenn dies als ein Fortschritt gegen
die antikisirende Richtung zu betrachten ist — derselbe Fort-
schritt, wie der vom antiken Schönheitsideal zur mittelalterlichen
Kunst selbst — so war es nicht minder ein Jrrthum, zu mei-
nen, daß darin die Aufgabe gelöst, eine wirkliche Fortbildung
der Kunstanschauung selbst angebahnt sei. Und auch hier zeigt
sich als unverkennbares Symptom mangelnder Ursprünglichkeit
jener Fehler der unbefangenen Heiterkeit des Schaffens, wie
wir es vorhin in den Vertretern der antikisirenden Reaction
gegenüber der echten Antike beobachtet haben. Während Ra-
phael z. B. ein lebenslustiger Cavalier und durchaus nicht
skrupulöser Lebemann war, welcher sich den Teufel viel um den
Papst kümmerte, außer insofern er ihm Arbeit im Vatican gab,
Inhalt ein andrer substituirt, welcher der realen Welt entnommen
wurde: so entstand die Landschaft und das Genre; Gebiete,
die gegenüber dem Idealismus der religiösen und historisch-mo-
numentalen Malerei den Realismus, d. h. die wirkliche Natur
und den wirklichen Menschen repräsentiren. Und zwar wurde
weiterhin diese Realität in der allerbeschränktesten Weise gefaßt,
namentlich von den Holländern, welche die ganz triviale Seite
des menschlichen Lebens zur Darstellung brachten, zechende und
prügelnde Bauern und dergleichen. Die letzte Erweiterung nach
der realen Seite hin ist dann die künstlerische Reproduction des
rein Stofflichen, seidene Kleider, geschlachtete Schweine und
Blumenbouquets. An dieser äußersten Grenze angelangt, hatte
sich die Kunstdarstellung zuletzt in ihrer fortschreitenden Ent-
idealisirung erschöpft. Vollkommen inhaltslos geworden, macht
sie auch technisch Banqueroute, und so tritt denn jene Zeit der
Verflachung und Barbarei ein, welche bis in das 18. Jahr-
hundert hineinreicht, die Zeit der Frivolität des Rokoko und
der Unnatur der Zopfzeit.
Eine Reaction konnte, falls sich die Kunst nicht überhaupt
aufgeben sollte, nicht ausbleiben. Abermals tritt nun jene
Frage an die Künstler heran: Ist die Kunst noch der Fortbil-
dung fähig? Giebt es noch eine neue, höhere Aufgabe für sie
zu lösen? — Ja, es gab solche Aufgabe — und diese Aufgabe
ist es, an welche alle Bestrebungen der neueren Kunstgeschichte
seit Winckelmann anknüpfen, es ist die Aufgabe, deren
Lösung vornehmlich Cornelius in allen verschiedenen Phasen
seiner künstlerischen Entwicklung zu seiner Lebensaufgabe machte.
Hier ist der Punkt, an den also auch das Verständniß seines
Strebens und seiner Schöpfungen anknüpfen muß.
Welches ist nun diese Aufgabe?
Alle künstlerischen Bestrebungen seit dem Wiederaufleben
eines wahrhafteren Kunst-Gefühls — gegen das Ende des
18. Jahrhunderts — so verschieden sie in ihrem Princip sein
mögen, lassen sich doch sämmtlich aus dem einen tief, wenn
auch oft nur instinktartig gefühlten Bedürfniß erklären, daß die
Kunst sich von dem Druck des bis zur Trivialität und Unnatur
deprimirten Realismus der Anschauung zu befreien und über-
haupt den Gegensatz, in den das Kunstgefühl mit dem Idealis-
mus gerathen, zu überwinden habe. Also die Versöhnung
des Realismus mit dem Idealismus: das rfctr bie Auf-
gabe, das zu erreichende Ziel. Es handelte sich nur noch
darum, auf welchem Wege dieses Ziel zu erreichen sei. Eine
Regeneration der Kunst wurde gefordert; und die Bestrebungen
waren groß und gewaltig, aber auch vielfach mit Mißverständniß
und Einseitigkeit behaftet. Eine Lösung des Widerspruchs
zwischen Realismus und Idealismus konnte auf verschiedene
Weise erstrebt, in einer einzigen aber nur wahrhaft erreicht
werden.
Der Nächstliegende Weg, ein Weg der Reaction gegen die
inhalts- und formlose Vergangenheit, war nun der einer bloßen
Rückkehr zum Idealismus, also entweder zum antiken Ideal
der hellenischen Kunstanschauung oder zum christlich-roman-
tischen Ideal der vorraphaelitischen und raphaelitischen Kunst-
blüthe. Eine solche Reaction war ganz naturgemäß. In der
Misere der Gegenwart fühlte man die Größe der vergangenen
Idealwelten um so tiefer. Der erste Schritt war daher gleich
der weiteste, er griff über das Cinquecento und das Mittelalter
zurück bis zur Antike. Auf dem theoretischen Wege kritisch-
historischer Kunstwissenschaft gab Winckelmann und nächst
ihm Lessing den ersten entschiedenen Anstoß dazu, auf dem
praktischen Wege künstlerischer Production war es zunächst die
David'sche Schule, sodann in tieferer Weise Carstens und,
um die Verzweigungen dieser antikisirenden Richtung bis in die
Gegenwart zu verfolgen, Genelli, welche sämmtlich jene Ver-
söhnung lediglich durch eine strikte Rückkehr zum antiken Ideal
erreichen zu können glaubten. Zwar auf sehr verschiedene
Weise. Denn während besonders Carstens in seiner Ursprüng-
lichkeit eine edle, einfache Klassicität, verbunden mit geistvoller
Originalität des Inhalts, offenbarte, verflachte sich dies anti-
kisirende Princip in der David'schen Schule bald zu einem
hohlen Pedantismus, den man geradezu als „antiken Zopf" be-
zeichnen kann. Aber wenn Carstens und Genelli durch
die originale Tiefe ihres Geistes diese Klippe zu vermeiden
wußten, so beweist sich doch der Anachronismus ihrer Richtungen
theils durch die Jsolirtheit ihrer künstlerischen Stellung, theils
durch den auffallenden Mangel jener idealen Heiterkeit des
Schaffens, welche die hellenische Kunstentwicklung kennzeichnet.
Auch fehlt ihnen jene edle Volksthümlichkeit der hellenischen
Kunst, weil ihre Schöpfungen eben aus einem fremden Boden
emporwuchsen.
Dennoch waren die Anstrengungen dieser Männer, obschon
sie sich über das zu erreichende Ziel in einem Jrrthum befanden,
nicht vergeblich; denn sie hatten, den Boden von allem Unrath
reingefegt und vor Allem die Kunst selbst wieder zu einer Würde
der Anschauung erhoben, die sie lange verloren. Gleichwohl
fühlte man, daß in der strikten Rückkehr zum antiken Ideal die
Lösung der Aufgabe nicht zu finden sei. Wir sind eben keine
Hellenen mehr, wie sollte denn die hellenische Kunstanschauung
bei uns zu Fleisch und Blut werden. Sie wird immer außer-
halb der nationalen Kunstbewegung bleiben — und jede wahr-
hafte Kunstbewegung ist national, die hellenische war es ihrer
Zeit gewiß am meisten — und alle andern Bestrebungen werden
es höchstens zu einer mehr oder minder reichen Treibhausexistenz
bringen.
Dieses Gefühl war es, welches, im Gegensatz zur antiki-
sirenden Richtung, die romantische Reaction in's Leben
rief, welche durch Overbeck, Veit, Schadow, Schnorr
vertreten wurde. Wie Winckelmann, David und Carstens zum
antiken Ideal zurückgrisien, so griffen diese zur mittelalterlichen
Romantik zurück. Aber wenn dies als ein Fortschritt gegen
die antikisirende Richtung zu betrachten ist — derselbe Fort-
schritt, wie der vom antiken Schönheitsideal zur mittelalterlichen
Kunst selbst — so war es nicht minder ein Jrrthum, zu mei-
nen, daß darin die Aufgabe gelöst, eine wirkliche Fortbildung
der Kunstanschauung selbst angebahnt sei. Und auch hier zeigt
sich als unverkennbares Symptom mangelnder Ursprünglichkeit
jener Fehler der unbefangenen Heiterkeit des Schaffens, wie
wir es vorhin in den Vertretern der antikisirenden Reaction
gegenüber der echten Antike beobachtet haben. Während Ra-
phael z. B. ein lebenslustiger Cavalier und durchaus nicht
skrupulöser Lebemann war, welcher sich den Teufel viel um den
Papst kümmerte, außer insofern er ihm Arbeit im Vatican gab,