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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 12.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.13559#0266

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meriren und immerzu Oelbilder für den Kunstmarkt zu fabri-
ciren, so würde im Volke bald wieder das frühere Kunstbedürf-
niß wach gemacht werden können, weil eben die Mittel zur
Befriedigung desselben zur Hand wären. Auch die höheren
Stände ließen sich dann zweifelsohne wieder herbei, an der
Lust und Freude des Volkes thätigen Antheil zu nehmen.

Den Brienzer See wird selbstverständlich Niemand pas-
siren, ohne den Gießbach in Augenschein genommen zu haben.
Die von der Höhe des Berges von Fels zu Fels sich herab-
stürzende Wassermasse bietet ein prachtvolles Naturschauspiel dar,
und menschlicherseits wird Alles aufgeboten, um dasselbe möglichst
zugänglich und — rentabel zu machen. Um in letzterer Be-
ziehung nichts zu versäumen, zeigt man bei hereinbrechender
Nacht, gegen ein mäßiges Eintrittsgeld, den Wasserfall in ben-
galischer Beleuchtung und läßt auch wohl noch sonstiges Kunst-
Feuerwerk spielen. Ich meines Theils glaubte um so mehr
auf solchen Hochgenuß für diesmal verzichten zu sollen, als
zweifelsohne zur Zeit meiner nächsten Schweizer-Reise auch noch
das Ballet-Personal irgend einer Hauptstadt eine Anzahl von
Najaden und Tritonen der Gießbachs-Administration abgelassen
haben wird und man dann von seinem Sperrsitze aus eine Dar-
stellung anstaunen kann, in Vergleich mit welcher selbst die
berliner Zauberoper „Flick und Flock" nur ein Kinderspiel ist.

Den nächsten Halt machte ich in Jnterlaken, wo ein
so starker und ausdauernder Regen eintrat, daß an Ausflüge
nicht zu denken war. Nach den Zeitungsreklamen, die ich vor-
her gelesen hatte, kann man dort zwar, von ich weiß nicht wie
vielen Gasthöfen ans, selbst im Bette liegend, sich am Anblick
der Jungfran erheben, allein ungünstiges Wetter entlastet na-
türlich die Wirthe in dieser Hinsicht von jeder Verpflichtung;
man muß eben die erforderlichen Konjunkturen unter ihrem gast-
lichen Dache abwarten. Um mir die Zeit zu vertreiben, sowie
auch zugleich von einem gewissen ästhetischen Instinkt geleitet,
besuchte ich die Buden der in Jnterlaken ziemlich zahlreichen
Holzschnitzwaarenhändler. Ich fragte nach Stöpseln mit Grein-
köpfen, erhielt aber den Bescheid, daß deren keine zu haben
seien, die Fremden auch so etwas „Lustiges" nicht zu kaufen
pflegten. Daß der Humor in den höheren Kunstregionen ein
Fremdling geworden sei, wußte ich längst schon, desgleichen,
daß die Porzellan- und Neusilber-Fabriken sich bereits auch der
Stöpselköpfe bemächtigt hatten, um uns selbst bei Tisch noch
mit „klassisch-akademischer" Formgebung zu ennuyiren; indeß
hatte ich doch geglaubt, daß dem Volkswitz immer noch eine
Zufluchtsstätte unter den Naturkünstlern der Bergwälder ge-
blieben sei. Den Hauptvorrath bildeten Modelle von Schweizer-
häusern; aber auch diese sind schon von der Kultur beleckt und
tragen den Bildungsfirniß an sich; es sieht Alles wie im Akkord
gefertigte Duzendwaare aus — keine Spur von Originalität oder
Liebe an der Arbeit. So werden denn nicht einmal die Holz-
schnitzer den künftigen Generationen das Bild eines echten,
altherkömmlichen Schweizerhauses mehr vorzuführen im Stande
sein; daß die „Herren" Zimmerleute, zufolge ihrer polytechni-
schen Ausbildung und ihrer Studien in Chemie und Aerostatik,
mehr und mehr solche Dinge, die man Meisterstücke nennt, tief
unter ihrer Würde erachten werden, versteht sich von selbst.
Das Schurzfell wird natürlich abgelegt; sie tragen Handschuhe,

sind Mitglieder des Casino's und können im Geiste des Fort-
schritts sich höchstens noch einen Gang auf den Zimmerplatz zu-
muthen, um sich mit Hülfe einer Lorgnette davon zu überzeugen,
daß die Arbeiter die benöthigte Zahl von Kubikfußen Holz be-
schlagen und dafür sorgen, daß die Zapfen so ungefähr in die
Löcher passen. Die Bau-Eleven und -Kondukteure mögen dann
zusehen, wie sie die noch höhere Bildungsstufe, welche sie zu
behaupten haben, der Welt gegenüber dokumentiren.

Die Schönheiten der Ufer des Brienzer- und des Thuner-
See's im Allgemeinen mögen Andere schildern; meine Notizen
gelten nur Solchem, was die Hand des Menschen hinzugethan
hat. Unter den Architekturen, welche ich vom Dampfboote aus
an mir vorüberziehen sah, siel mir besonders ein großartiger
Burgbau auf, der Eigenthum der Familie Pourtales sein soll,
ein interessantes Gemisch von alten und neu hinzugekommenen
Konstructionen, überragt durch einen machtvollen Mittelthurm,
durch lustige Wetterfahnen, keck vorspringende Dachfenster und
Zinnen in stets wechselnden Linien phantastisch ausgeschmückt.
Das praktische Moment scheint indeß nicht in minderem Maaße
Berücksichtigung gefunden zu haben als das malerische, kurz,
soweit das Aeußere einen Schluß auf das Innere gestattet, hat
hier einmal der rechte Geist im Dienste des rechten Willens
gewaltet. Mag indeß auch bei genauerer Prüfung des Ein-
zelnen noch so Manches zu wünschen übrig bleiben, jedenfalls
thäten die Besitzer alter Schlösser und Burghäuser klug, sich
diesen Bau einmal ansehen zu kommen, bevor sie den ihrigen
zum Zwecke einer zeitgemäßen Herstellung desselben einem Archi-
tekten überantworten. Insbesondere dürfte wohl von den Re-
präsentanten alter Adelsgeschlechter zu erwarten sein, daß sie
die Achtung, welche sie mit Recht für ihre Stammbäume hegen
und von Andern fordern, ihrerseits auch ihren Stammsitzen
zuwenden und dieselben nicht von irgend einem Modernisten
so zurecht machen lassen, als ob sie von heute oder gestern da-
tirten, geschweige denn, daß sie dieselben dem Verfalle oder
den Spekulanten preisgeben. Auch in dieser Beziehung gilt
der Spruch: noblesse oblige. Es kann meines Erachtens,
gegenüber den bezüglichen Vorkommnissen, die sich haufenweise
aufführen ließen, im Interesse der Erhaltung des aristokrati-
schen Elementes in der bürgerlichen Gesellschaft kaum zu oft
und zu eindringlich auf den Punkt hingewiesen werden.

Nicht blos böse Beispiele, auch gute wecken, mitunter
wenigstens, die Nachahmung. Zwei weiter nach Thun hin
am See-Ufer aufsteigende, in spätgothischem, mit Renaissance-
Motiven untermischtem Style in jüngster Zeit erbaute Landsitze
sind dem Vorgänge des Pourtalvs'schen Schlosses gefolgt und
gereichen der Landschaft zur wahren Zierde. So ist denn wenig-
stens noch einige Hoffnung vorhanden, daß die modernen vier-
eckigen Fensterkasten im Geiste der berliner Akademie oder des
Züricher Central-Polytechnikums an diesen Ufern nicht zur
Herrschaft gelangen und ihrer Poesie den Garaus machen. Wie
zum Schutze dieser Poesie erhebt sich am Ende des See's die
wuchtige, altersgraue Bastille von Thun, in Gemeinschaft mit
der daneben liegenden Kirche Stadt und Land überragend.

Thun gehört zu den gewachsenen Städten, im Gegen-
satz zu den, nach Anleitung der Polizeischnur, gemachten.
Seine namhafteren Bauwerke tragen sammt und sonders den
 
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