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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 12.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.13559#0330

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krankhafte Drang der Bade- und Gebirgsreisen, welcher im
Grunde nur eine andere Art der Veräußerlichung des Lebens
mit sich bringt, bald verschwinden. Was auf diesen künstlichen
Restitutionstouren in wenig Wochen erstrebt und zum Theil
auch erlangt wird, würde dem Geschäftsmann täglich erreichbar
sein, wenn er, nach Vollendung seiner Tagesarbeit, sich hinaus-
begeben könnte in seine Billa, wo er seine Familie findet und
etwa einige gute Freunde, mit denen er in aller Behaglichkeit
sich unterhalten mag.

Daß dies Bedürfniß einer Erholung im Freien und wo
möglich im Grünen beim Großstädter in viel lebhafterer Weise
vorhanden ist, als bei dem Bewohner kleinerer Städte, beweisen
nicht nur die zahllosen Menschenströme, welche sich Sonntags
nach allen Weltgegenden hinaus „auf's Land", d. h. auf die
nächsten Dörfer vor den Thoren, ergießen, oder auf den Eisen-
bahnen vermittelst Extrafahrten einige Meilen fortgeführt wer-
den, das beweisen mehr noch die zahlreichen „Garten-Etablisse-
ments" in und außerhalb der Stadt, d. h. einige kleine, mit
wenigen dünnleibigen Bäumchen, auf deren Blättern der dicke
Staub liegt, besetzte Plätze vor oder hinter großen Häusern, wo
an vielen hundert weiß angestrichenen Tischen die ehrsamen
Bürger und kleinen Beamten mit ihren Frauen und Töchtern
Abends ihr Seidel Bier trinken. Aber verglichen mit der be-
haglichen Abgeschlossenheit in der hon wildem Wein überwucherten
Laube des eignen Gartens oder auf der schattigen Veranda des
eignen Hauses dürfte dieses Bierlokalgartenvergnügen mit seinem
Gläser- und Tellergeklirr, seinem hastigen Hin- und Herlaufen
der Kellner, dem aus den offenen Fenstern dringenden Klappern
der Billardkugeln, dem aus der Küche herüberwehenden Dust
von verbranntem Fett u. s. f. schwerlich ein beneidenswerthes
Surrogat für jenes Natur- und Familienstillleben gewähren;
auch trägt es dasselbe trostlose Gepräge der Veräußerlichung des
Lebens an sich wie die Bade- und Gebirgsreisen des Groß-
Städters. Denn was weder auf den Badereisen der Reichen
und Vornehmen noch bei den Abenderholungen des Bürgers in
den Biergärten erreicht wird, das ist eben jene Behaglichkeit,
jenes heitere Stillleben und die damit verbundene Verinner-
lichung und Innigkeit der Familienexistenz, welche nur
in der eignen Häuslichkeit gefunden werden kann und welche die
wahrhafte und am besten regenerirende Badekur nicht nur des
Körpers, sondern auch der Seele ist.' In der That hat sich auch
der Großstädter bereits derartig an die Bedürfnisse gewöhnt,
welche eine Veräußerlichung des Lebens mit sich bringen, daß
er selbst in den Bädern seine Koncerte und Reunions, seine
L'hombre- und Thee-Gesellschaften nicht entbehren kann und
den ganzen großstädtischen Plunder, statt froh zu sein, sich seiner
auf einige Zeit zu entledigen, überall mit sich herumträgt.

Dies ist der Fluch des großstädtischen Lebens, nnd dieser
kann nur von uns genommen werden, wenn das Leben selbst
aus der immer mehr und mehr zunehmenden Veräußerlichung,
die mit der in steigender Progression wachsenden Anhäufung
nüchterner Steinkolosse gleichen Schritt hält, zurückkehrt zur
Einfachheit und Natürlichkeit eines wahrhaft menschlichen Da-
seins. Dies wird aber nicht eher möglich sein, als bis wir
unsre ganze Bauthätigkeit ändern, mit einem Worte,
bis wir, statt lange und langweilige Straßen von

monotonen Miethskasernen zu bauen, den für den
Geschäftsverkehr bereits viel zu großen Steinkern
der großen Städte mit weiten und ebenso male-
rischen wie gesunden Villenanlagen umgeben.

Das dies bis jetzt nicht geschehen ist, davon liegt der
Grund lediglich darin, das man den großen und tiefen Gegen-
satz, welcher zwischen dem Geschäftsleben und dessen
Forderungen einerseits und dem Privatleben und
dessen Bedürfnissen andrerseits überall, besonders aber
in großen Städten, herrscht, und der vor Aller Augen greifbar
zu Tage liegt, bei der räumlichen Erweiterung des Staatsge-
biets nicht mit in Rechnung bringt,- sondern ihn auf eine ebenso
unerklärliche wie unverantwortliche Weise gänzlich unberücksichtigt
läßt. Die strikten Forderungen des Geschäftslebens dringen in
Bezug auf die Behausungs-Verhältnisse auf Centralisation,
auf möglichste Raumersparniß, auf engstes Zusammenhalten aller
Lokalitäten: breite und weite Straßen, große Plätze, Bäume,
Gärten u. d. g. sind für den Geschäftsverkehr ebenso viele
zeitraubende Hindernisse, ein überflüssiger nicht nur, sondern
geradezu ein schädlicher Luxus, zu dessen Genuß ohnehin dem
Geschäftsmann als solchem Muße und Stimmung fehlen. Die
Bedürfnisse des Privatlebens gehen gerade auf das Gegentheil
hinaus, nämlich auf Derentralisation, auf ein Fliehen
nach der Peripherie, wo Raum, Luft und grüne Bäume zur Be-
haglichkeit und zur Freude an der Natur einladen. Und je größe-
ren Werth der Geschäftsmann in der City auf alle expeditiven
Mittel legt, welche den Geschäftsverkehr erleichtern und abkürzen,
um so tiefer wird er andrerseits das Bedürfniß nach freier
Expansion, nach einem ruhigen Laisser-aller, kurz nach allen
den Dingen fühlen, deren Genuß ihm die Anforderungen des
Geschäfts versagen. Jene Centripetalkraft des Geschäftsverkehrs
und diese Centrifugalkraft des Privatlebens bilden also einen
diametralen Widerspruch, wie Nacht und Tag; die Befriedigung
ihrer einander widerstrebenden »und ausschließenden Bedürfnisse
rücksichtlich der lokalen Disposition ihrer respektiven Spielräume
muß also naturgemäß ebenfalls eine völlig entgegengesetzte sein.

1. Die City, der innere Kern der großen Städte, worin
das eigentliche Geschäfts- und Berufsleben sich koncentrirt, wird
schmale Straßen, hohe Häuser, enge von Gebäuden umschlossene
Höfe und möglichst wenig Plätze nicht nur vertragen, sondern
geradezu bedürfen. — 2. Von diesem verhältnißmäßig kleinen Kern
der Großstadt werden sich naturgemäß einige Hauptadern des
Verkehrs strahlenförmig nach den äußersten Endpunkten des
Weichbildes erstrecken; Adern, die zugleich die Haupt kommuni-
kativ nswege zwischen dem Centrum und der Peripherie bilden.—
3. Zwischen ihnen aber werden sich, je nach den territorialen
Verhältnissen, in denen das Wasser, der Hauptfluß und dessen
Kanäle, eine Hauptrolle spielt, Distrikte bilden, welche theils
von Fabrikanlagen der verschiedensten Art ausgefüllt werden,
theils von der großen Masse der Bevölkerung, d. h. von den
Tausenden kleiner Beamten- und Arbeiterfamilien bewohnt wer-
den. — 4. Endlich aber wird sich fast bei jeder großen Stadt ein
in lokaler Beziehung begünstigter Theil finden, welcher ihr
die Vortheile des Landes zu gewähren bestimmt scheint. Eines-
theils zu weit vom Centrum des Verkehrs entfernt, um in den-
selben hineingezogen werden zu können, anderntheils ungeeignet
 
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