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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 12.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.13559#0350

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versteht, bewohnt: es sind die Fabrik- und Handwerker-Distrikte
von Berlin. So breitet sich das heutige Berlin, welches vor
noch nicht 200 Jahren (1680) kaum 9800 Einwohner zählte
und dessen größte Ausdehnung damals sich von der Jannowitz-
brücke bis zur Friedrichsbrücke erstreckte, zwischen dem Rummels-
burger See und der Hasenhaide einerseits bis nach Moabit und
der Jungfernhaide andrerseits mit einer Bevölkerung von über
700,000 Seelen aus.

Eigenthümlich ist das rasche Wachsthum Berlins. Im
Jahre 1685 zählte es bereits 17,400 Einwohner, also fast das
Doppelte der Anzahl als fünf Jahre zuvor. Von da ab findet
eine fast regelmäßige Steigerung von jährlich 4—5 Procent
statt. Am Schluß der Regierung des großen Kurfürsten (1688)
zählte es 20,000 Einwohner. Zu Friedrichs I. Zeiten begann
es schon mit Dresden zu rivalisiren, welches damals die schönste
Stadt Deutschlands war. Im Jahr 1713, am Schluß der
Regierung Friedrichs I., ist die Einwohnerzahl schon auf 50,000
gestiegen, welche sich beim Regierungsantritt Friedrichs II.
(1740) fast um das Doppelte vermehrt hatte. Beim Ausbruch
des siebenjährigen Krieges (1756) zählte Berlin 128,000 Ein-
wohner, die sich am Schluß desselben zwar auf 119,000 ver-
mindert, zehn Jahre später jedoch auf 134,000 vermehrt hatten.
Eine Zählung von 1784 giebt die Höhe der Bevölkerung auf
145,621, eine spätere von 1796 auf 160,733 an. Im Anfänge
dieses Jahrhunderts war die Seelenzahl: 172,908, 1806:
184,000, 1816: 178,000, 1828: 236,830. Bon da ab be-
ginnt, namentlich durch den Bau der Eisenbahnen, eine be-
deutende Steigerung, so daß man einen jährlichen Zuwachs von
anfänglich 10-, später 15,000 Einwohnern annehmen kann,
welchem entsprechend auch die bauliche Erweiterung gleichen
Schritt hielt.

Nur das Jahr 1848 brachte einen vorübergehenden Still-
stand, bezüglich eine Abnahme in der Bevölkerung; bald begann
jedoch das progressive Wachsthum von Neuem und zwar von
Jahr zu Jahr in steigendem Verhältniß. — Was die bauliche
Ausdehnung betrifft, so hat sich dieselbe innerhalb der letzten
40 Jahre verfünffacht. Am Ende des Jahres 1827 zählte
Berlin im Ganzen 7330 Privathäuser und gegen 100 öffentliche
Gebäude, mit Einschluß der Kirchen. Heute beträgt die Zahl
der öffentlichen Gebäude über 700, und die der Privat-Häuser
33,263, worunter 21,919 Wohnhäuser, 1164 Fabrik-Gebäude
und 10,180 Ställe und Scheunen sich befinden. An Civil-
Bewohnern rechnete man in dem angegebenen Jahre 205,000,
heute beträgt sie über 700,000; sie hat sich also nur verdrei-
facht; ein Beweis, daß sich die Wohnungsverhältnisse im Ganzen
verbessert haben, sofern die Anzahl der Wohnhäuser sich gegen
die der Bewohner in höherem Maaße vermehrt hat; ein Ver-
hältniß, welches sich noch günstiger gestaltet, wenn man bedenkt,
daß früher selten höher als drei Stock gebaut wurde, während
heute 5-, ja 6stöckige Häuser keine Seltenheit sind und die
meisten neuen Straßen, namentlich in den östlichen und nörd-
lichen Stadttheilen, fast durchgängig mindestens 4stöckige Häuser
zeigen. Eine statistische Vergleichung der Häuser nach der An-
zahl ihrer Stockwerke zeigt, daß überhaupt die 4stöckige Bauart
überwiegt; denn während es kaum 1600 Häuser giebt, die nur
einen Stock hoch sind, steigt die Anzahl der 2stöckigen schon auf

2616, der 3stöckigen auf 4400, der 4stöckigen auf 5000. Hier
findet nun wieder eine — und zwar plötzliche — Abnahme
statt, indem an fünf- und mehrstöckigen Häusern nur zusammen
2290 vorhanden sind. Noch deutlicher wird das Verhältniß,
wenn man die Zahlen im Procentsatz betrachtet, wonach die
Istöckigen etwa 8%, die 2stöckigen etwas über 15%, die 3stöcki-
gen 25,4 %, die 4stöckigen über 36 % betragen, während 5- und
mehrstöckige 15 %, also soviel wie die 2stöckigen ausmachen.
Hienach besteht der vierte Theil sämmtlicher Häuser aus drei,
aber mehr als der dritte aus vier Stockwerken.

Ein andrer, für die Charakteristik der Wohnungsverhältnisse
sehr wichtiger Punkt ist die Flächenausdehnung der bebauten
Theile. Hier stellt sich das Verhältniß, z. B. gegenüber von
Paris, außerordentlich günstig. Denn während Berlin etwas
mehr als eine Quadratmeile bei circa 700,000 Einwohner um-
faßt, drängen sich in Paris über zwei Millionen Bewohner auf
einen nur wenig größeren Raum, nämlich 1% Quadratmeile
zusammen. Es folgt hieraus, daß Berlin durchaus keine Ver-
anlassung hat, sich über zu große Enge der Straßen zu beklagen,
noch weniger aber, die neuen Straßen, welche auf Grund des
neuen Bebauungsplans projektirt werden, mit 5- bis 6stöckigen
Wohnungskasten zu besetzen. Es geht im Gegentheil daraus
hervor, daß sowohl der innere, dem öffentlichen Leben gewidmete
Kern wie die sich um denselben herumziehenden Stadttheile ersten
und zweiten Ranges auf eine Reihe von Jahren, ja vielleicht
Jahrhunderten hinlänglichen Raum für die vielseitigste geschäft-
liche, kommerzielle wie industrielle Bewegung und Entwicklung
der Residenz darbieten. Allerdings ist Berlin seit dem ruhmvoll

beendeten österreichischen Kriege, welcher Preußen durch Besitz-
ergreifung Hannovers, Hessen-Kassels und Frankfurts nicht nur
bedeutend vergrößert, sondern ihm auch durch Gründung des
norddeutschen Bundes eine ganz andre Machtstellung in Deutsch-
land gegeben hat, aus einer Residenz der preußischen Herrscher
zu der Hauptstadt des norddeutschen Bundes geworden; und es
wird sicherlich nur weniger Jahre bedürfen, um aus dieser Zu-
nahme an Macht und Bedeutung einen das frühere Wachsthum
weit überflügelnden Aufschwung der Stadt in industrieller und
socialer Beziehung und in Folge dessen auch an räumlicher Aus-
dehnung hervorzurufen. Allein es liegt nicht die geringste Noth-
wendigkeit vor, daß dies in der Weise geschehe, daß diese räum-
liche Ausdehnung zu einer Verstopfung des für eine in solchem
Maaße anwachsende Großstadt doppelt nöthigen Kanals führen
müsse, aus welchem ihr gesunde Lebenslust zugeführt wird. Ein
solcher Kanal ist aber für Berlin die Thiergartenseite. Diese
ist und muß — wenn Berlin gesund bleiben will — für alle
Zeit das Organ bleiben, mit welchem die Stadt athmet: der
Thiergarten ist die wahre Lunge der Residenz.

Man hat dies auch von jeher eingesehen; früher mehr als
heutzutage, wo diese Einsicht noch nöthiger wäre. Oder ist es
etwa Zufall, daß die vom Potsdamer Thor sich nach Außen
strahlenförmig ausbreitenden Straßen, die Potsdamer-Straße
selbst, namentlich aber die Bellevue-Straße und die Thiergarten-
Straße, von jeher aus mehr oder minder durch Gartenanlagen
verschönerten Villenanlagen bestehen? Zwar in den letzten De-
cennien hat auch hier der äußerlich ziemlich prunkvoll auftretende
Wohnungskastenstyl sich eingedrängt. Die Vorgärten sind, Dank
 
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