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Straße liegenden Fronten zu einem reizenden Komplex von
Villenbauten. Sie hat mit nur wenigen Ausnahmen dies länd-
liche Gepräge bis auf den heutigen Tag bewahrt, wenn auch
von den damaligen Bauten nur noch wenig erhalten ist. Im
zweien und dritten Decennium unsers Jahrhunderts jedoch trat
— in Folge der kriegerischen Zeiten — ein Stillstand ein,
welcher für die gedeihliche Fortentwicklung des Villenbaus un-
heilvoll wurde. Zwar wurde noch hin und wieder ein Land-
haus in dieser Gegend gebaut, aber der trockene Wohnungs-
kastensthl nahm in der weiteren Umgebung des Thiergartens mehr
und mehr überhand, ja er prägte sogar den wenigen kleineren
und einzeln stehenden Häusern, welche in der Potsdamerstraße
und in deren Fortsetzung gebaut wurden, den Charakter einer
fast militärischen Regelmäßigkeit auf. So entstanden z. B. —
um die Mitte der dreißiger Jahre — auf der rechten Seite
der Potsdamerstraße nicht weit vom Botanischen Garten jene
wunderlichen zweistöckigen Häuser von fünf Fenster Front, welche
wie eine Reihe gleich uniformirter Soldaten nebeneinanderstan-
den; ein charakteristisches Denkmal des damaligen Geschmacks.
Jetzt sind viele von ihnen theils verfallen, theils umgebaut; alle
aber gewähren einen gar deplorabeln Anblick.
Aber nicht alle Villenbauten trugen diesen soldatisch-nüch-
ternen Zopf. Schinkel's Einfluß machte sich auch nach dieser
Seite hin geltend. In der Thiergartenstraße entstanden damals
und noch früher mehre treffliche Villen, unter denen nur eine,
die dem Ausgange der Querallee des Parks gegenüber liegende
Villa Wegen er, in der Nähe der Bendlerstraße (Thiergarten-
Straße 16) erwähnt werden mag. Sie ist das Erstlingswerk
eines der ältesten Schüler Schinkels, nämlich Strack's. Sie
entstand ungefähr gegen das Ende der zwanziger Jahre, liegt
ziemlich entfernt von der Straße, mit großem ansteigendem
Vorgarten und schönem Hintergarten. Eigentlich nur einstöckig,
da die Haupträume im Erdgeschoß liegen und das obere Stock-
werk nur ein niedriges Halbgeschoß bildet, ist sie in der Mitte
der Front von einer durch beide Geschosse reichenden flachbogig
überwölbten Nische unterbrochen, welche zugleich den Hauptein-
gang enthält, der direkt in die Wohnräume führt. Nach den
jetzigen Bedürfnissen ist, wenigstens für den ÄZinteraufenthalt,
diese Anlage ziemlich unbequem. Jndeß hat der gegenwärtige
Besitzer, obschon er das Haus bereits aus zweiter Hand gekauft
hat, aus Achtung vor dem künstlerischen Geschmack der damali-
gen Zeit die ursprüngliche Einrichtung, einschließlich der inneren
Dekorationen und sogar des Meublements, sorgsam erhalten;
eine Pietät, die öffentlich anzuerkennen um so höhere Pflicht
scheint, als in der That das durch die heutige Pracht der Aus-
stattung verwöhnte Auge sich an der nebeln Einfachheit in der
ebenso soliden wie künstlerisch feinen Ornamentation der Räume
dieser Villa, namentlich auch der im echt Schinkel'sche Geiste
ausgeführten Malereien, wahrhaft erfreut.
In den 40- und 50er Jahren beginnt die nur auf kurze
Zeit durch die Kalamitäten des Jahres 1848 unterbrochene Bau-
Spekulation auch nach dieser Seite hin, ohne Rücksicht auf die
territorialen Verhältnisse dieses Stadttheils, also zum großen
Nachtheil für die Möglichkeit künftiger Villenanlagen, immer
größere Dimensionen anzunehmen. Im engsten Zusammenhänge
damit steht die Anlage des Schifffahrtskanals. Der kleine, mit
alten Weiden bestandene Schafgraben, welcher sich damals zwischen
grünen Wiesenufern vom Schlesischen Thor um die Stadt herum
nach dem Hofjäger und von da weiter durch den Thiergarten
nach der Spree hinzog, ist heute in einen ziemlich breiten Kanal
verwandelt, an dessen Ufern sich Boulevards voll 4—5stückiger
Häuser hinziehen. Nur bei der Villa von der Hehdt entläßt er
den alten Graben aus sich, der noch heute wie damals zwischen
Moritzhof und dem Hofjäger sein trübes dunkles Wasser durch
den Thiergarten schleichen läßt, das sich nur in den neuen An-
lagen zu weiten, mit den reizendsten Baumgruppen bestandenen
Seen ausbreitet. Der Schifffahrtskanal hat dieser ganzen Ge-
gend einen neuen Charakter aufgedrückt; nicht nur an seinen
Ufern entstanden dicht gedrängt hohe Häusermassen, auch Ver-
bindungsstraßen zwischen dieser, mit der Thiergartenstraße ziem-
lich parallel laufenden Wasserlinie wurden angelegt, von denen
die Matthäikirchstraße, besonders in der nach dem Kanal
ausmündenden Hälfte, ganz den Charakter einer städtischen
Straße hat. Eine zweite, schon ältere Verbindungsstraße ist
die Bendlerstraße, welche auf der Thiergartenseite bei der
Louiseninsel, nach der Kanalseite auf die „Von-der-Hehdt-Brücke"
ausmündet. Sie hatte durch das „Mariannen-Bad mit seinen
prächtigen hohen Bäumen, an welches sich einige anmuthige
Villenbauten anreihten, sowie durch das gothische Haus des
Prof. Lepsius mit seinem schönen Garten lange Zeit hindurch
einen mehr ländlichen Charakter bewahrt. Aber es dauerte nickt
lange, so entstanden auch hier eine Reihe Giebel an Giebel ge-
drängter Miethskasernen, und bald fielen auch die schönen Bäume
des Mariannen-Bades, um die schattigen Räume unter denselben
für die Häuserspekulation zu verwerthen. Dennoch haben beide
Straßen, Dank unfern polizeilichen Bestimmungen für den An-
bau dieser ganzen Gegend, ebenso wie die Boulevards zu beiden
Seiten des Kanals einen Schmuck bewahrt, der sie niemals ganz
in Nüchternheit versinken lassen wird, nämlich die überall vor
den Häusern hinlaufenden, von der Straße durch gefälliges eiser-
nes Gitterwerk abgeschlossenen Vorgärten.
An der stumpfen Ecke, welche die Bellevuestraße mit der
Thiergartenstraße bildet, lag früher die kurze Straße „Am
Kemperhof", zu beiden Seiten aus etwa 4 Häusern bestehend,
welche den Eingang zu dem beliebten Vergnügungslokal „Kemper-
hof" bildete, einem ähnlichen Etablissement wie der Hofjäger.
Es war ein umfangreicher Park, welcher fast das ganze Terrain
der jetzigen Victoria st raße einnahm und sich in der Breite
von der Potsdamerstraße bis zur Matthäikirchstraße erstreckte.
Die gegenüberliegende spitze Ecke, welche durch die Bellevuestraße
und die Lennestraße gebildet wird, war ebenfalls von einem
Bergnügungslokal (von George) eingenommen, welches aus einem
im Garten gelegenen niedrigen Häuschen mit Kegelbahn bestand
und sehr besucht war. Alles dies ist jetzt verschwunden und
an ihrer Stelle erheben sich prachtvolle Paläste und Landhäuser.
(Fortsetzung folgt.)
Straße liegenden Fronten zu einem reizenden Komplex von
Villenbauten. Sie hat mit nur wenigen Ausnahmen dies länd-
liche Gepräge bis auf den heutigen Tag bewahrt, wenn auch
von den damaligen Bauten nur noch wenig erhalten ist. Im
zweien und dritten Decennium unsers Jahrhunderts jedoch trat
— in Folge der kriegerischen Zeiten — ein Stillstand ein,
welcher für die gedeihliche Fortentwicklung des Villenbaus un-
heilvoll wurde. Zwar wurde noch hin und wieder ein Land-
haus in dieser Gegend gebaut, aber der trockene Wohnungs-
kastensthl nahm in der weiteren Umgebung des Thiergartens mehr
und mehr überhand, ja er prägte sogar den wenigen kleineren
und einzeln stehenden Häusern, welche in der Potsdamerstraße
und in deren Fortsetzung gebaut wurden, den Charakter einer
fast militärischen Regelmäßigkeit auf. So entstanden z. B. —
um die Mitte der dreißiger Jahre — auf der rechten Seite
der Potsdamerstraße nicht weit vom Botanischen Garten jene
wunderlichen zweistöckigen Häuser von fünf Fenster Front, welche
wie eine Reihe gleich uniformirter Soldaten nebeneinanderstan-
den; ein charakteristisches Denkmal des damaligen Geschmacks.
Jetzt sind viele von ihnen theils verfallen, theils umgebaut; alle
aber gewähren einen gar deplorabeln Anblick.
Aber nicht alle Villenbauten trugen diesen soldatisch-nüch-
ternen Zopf. Schinkel's Einfluß machte sich auch nach dieser
Seite hin geltend. In der Thiergartenstraße entstanden damals
und noch früher mehre treffliche Villen, unter denen nur eine,
die dem Ausgange der Querallee des Parks gegenüber liegende
Villa Wegen er, in der Nähe der Bendlerstraße (Thiergarten-
Straße 16) erwähnt werden mag. Sie ist das Erstlingswerk
eines der ältesten Schüler Schinkels, nämlich Strack's. Sie
entstand ungefähr gegen das Ende der zwanziger Jahre, liegt
ziemlich entfernt von der Straße, mit großem ansteigendem
Vorgarten und schönem Hintergarten. Eigentlich nur einstöckig,
da die Haupträume im Erdgeschoß liegen und das obere Stock-
werk nur ein niedriges Halbgeschoß bildet, ist sie in der Mitte
der Front von einer durch beide Geschosse reichenden flachbogig
überwölbten Nische unterbrochen, welche zugleich den Hauptein-
gang enthält, der direkt in die Wohnräume führt. Nach den
jetzigen Bedürfnissen ist, wenigstens für den ÄZinteraufenthalt,
diese Anlage ziemlich unbequem. Jndeß hat der gegenwärtige
Besitzer, obschon er das Haus bereits aus zweiter Hand gekauft
hat, aus Achtung vor dem künstlerischen Geschmack der damali-
gen Zeit die ursprüngliche Einrichtung, einschließlich der inneren
Dekorationen und sogar des Meublements, sorgsam erhalten;
eine Pietät, die öffentlich anzuerkennen um so höhere Pflicht
scheint, als in der That das durch die heutige Pracht der Aus-
stattung verwöhnte Auge sich an der nebeln Einfachheit in der
ebenso soliden wie künstlerisch feinen Ornamentation der Räume
dieser Villa, namentlich auch der im echt Schinkel'sche Geiste
ausgeführten Malereien, wahrhaft erfreut.
In den 40- und 50er Jahren beginnt die nur auf kurze
Zeit durch die Kalamitäten des Jahres 1848 unterbrochene Bau-
Spekulation auch nach dieser Seite hin, ohne Rücksicht auf die
territorialen Verhältnisse dieses Stadttheils, also zum großen
Nachtheil für die Möglichkeit künftiger Villenanlagen, immer
größere Dimensionen anzunehmen. Im engsten Zusammenhänge
damit steht die Anlage des Schifffahrtskanals. Der kleine, mit
alten Weiden bestandene Schafgraben, welcher sich damals zwischen
grünen Wiesenufern vom Schlesischen Thor um die Stadt herum
nach dem Hofjäger und von da weiter durch den Thiergarten
nach der Spree hinzog, ist heute in einen ziemlich breiten Kanal
verwandelt, an dessen Ufern sich Boulevards voll 4—5stückiger
Häuser hinziehen. Nur bei der Villa von der Hehdt entläßt er
den alten Graben aus sich, der noch heute wie damals zwischen
Moritzhof und dem Hofjäger sein trübes dunkles Wasser durch
den Thiergarten schleichen läßt, das sich nur in den neuen An-
lagen zu weiten, mit den reizendsten Baumgruppen bestandenen
Seen ausbreitet. Der Schifffahrtskanal hat dieser ganzen Ge-
gend einen neuen Charakter aufgedrückt; nicht nur an seinen
Ufern entstanden dicht gedrängt hohe Häusermassen, auch Ver-
bindungsstraßen zwischen dieser, mit der Thiergartenstraße ziem-
lich parallel laufenden Wasserlinie wurden angelegt, von denen
die Matthäikirchstraße, besonders in der nach dem Kanal
ausmündenden Hälfte, ganz den Charakter einer städtischen
Straße hat. Eine zweite, schon ältere Verbindungsstraße ist
die Bendlerstraße, welche auf der Thiergartenseite bei der
Louiseninsel, nach der Kanalseite auf die „Von-der-Hehdt-Brücke"
ausmündet. Sie hatte durch das „Mariannen-Bad mit seinen
prächtigen hohen Bäumen, an welches sich einige anmuthige
Villenbauten anreihten, sowie durch das gothische Haus des
Prof. Lepsius mit seinem schönen Garten lange Zeit hindurch
einen mehr ländlichen Charakter bewahrt. Aber es dauerte nickt
lange, so entstanden auch hier eine Reihe Giebel an Giebel ge-
drängter Miethskasernen, und bald fielen auch die schönen Bäume
des Mariannen-Bades, um die schattigen Räume unter denselben
für die Häuserspekulation zu verwerthen. Dennoch haben beide
Straßen, Dank unfern polizeilichen Bestimmungen für den An-
bau dieser ganzen Gegend, ebenso wie die Boulevards zu beiden
Seiten des Kanals einen Schmuck bewahrt, der sie niemals ganz
in Nüchternheit versinken lassen wird, nämlich die überall vor
den Häusern hinlaufenden, von der Straße durch gefälliges eiser-
nes Gitterwerk abgeschlossenen Vorgärten.
An der stumpfen Ecke, welche die Bellevuestraße mit der
Thiergartenstraße bildet, lag früher die kurze Straße „Am
Kemperhof", zu beiden Seiten aus etwa 4 Häusern bestehend,
welche den Eingang zu dem beliebten Vergnügungslokal „Kemper-
hof" bildete, einem ähnlichen Etablissement wie der Hofjäger.
Es war ein umfangreicher Park, welcher fast das ganze Terrain
der jetzigen Victoria st raße einnahm und sich in der Breite
von der Potsdamerstraße bis zur Matthäikirchstraße erstreckte.
Die gegenüberliegende spitze Ecke, welche durch die Bellevuestraße
und die Lennestraße gebildet wird, war ebenfalls von einem
Bergnügungslokal (von George) eingenommen, welches aus einem
im Garten gelegenen niedrigen Häuschen mit Kegelbahn bestand
und sehr besucht war. Alles dies ist jetzt verschwunden und
an ihrer Stelle erheben sich prachtvolle Paläste und Landhäuser.
(Fortsetzung folgt.)