GEORG
SCHRIMPF.
»KINDER-
BILDNIS«
GEORG SCHRIMPF.
Dieser junge, bayrische Künstler gehört der
nach-expressionistischen Generation an;
er steht gewissermaßen auf den Schultern Franz
Marc's, dessen Tierbilder seine Anfänge ge-
stimmt haben. Fest gefügt sind seine Kompo-
sitionen, eindeutig ist seine Gegenstands-Wie-
dergabe. Der Tumult des Expressionismus hat
sich bei ihm zu klassizistischer Ruhe beschwich-
tigt. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet steht
er in einer Reihe mit den italienischen Valori-
Plastici-Künstlern, mit Chirico und Carrä, und
mit den Franzosen Picasso, Andre Lhöte, Cou-
bine, Ozenfant und Jeanneret, für deren stili-
stische Haltung Ingres vorbildlich ist.
Was Schrimpf mit den genannten Italienern
und Franzosen verbindet, ist ein neuer Wille
zur Formverfestigung und Gegenständlich-
keit, ein Verzicht auf Valeur-Malerei zu Gun-
sten einer klaren, strengen Zeichnung und einer
vollentwickelten Plastizität. Damit scheint —
wenigstens vorläufig — eine große, schon mit
Tizian einsetzende, über das Barock und Ro-
koko, die französische Romantik und den Im-
pressionismus bis zum Fauvismus und Expres-
sionismus führende malerische Bewegung sich
allmählich in ihr Gegenteil zu verkehren. Die
Mal-Kunst wird wieder „haptisch", nachdem
sie jahrhundertelang „optisch" gewesen ist. . .
Bei Schrimpf fehlt aber im Gegensatz zu den
gleichstrebigen Italienern und Franzosen die
museale, kunsttheoretische Einstellung. Als
Schaffender ist er vollkommen naiv. Den „Zöll-
ner" (Henri Rousseau) ausgenommen, wüßte
ich sicherlich keinen Künstler unter den moder-
nen, der es an kindlicher Unbefangenheit und
Ursprünglichkeit mit ihm aufnehmen könnte.
Als Sohn einfacher Eltern blieb er von den
Einflüssen einer auf Überbildung hinauslaufen-
den Erziehung verschont. Wie sein Leben ver-
lief, hat er selbst einmal in seiner anspruchslosen,
unliterarischen Weise niedergeschrieben:
„Ich bin am 13. Februar 1889 in München
geboren, wo ich auch die Volksschule besuchte.
Als Knabe zeichnete ich, den wilden Völkern
besonders zugetan, mit Vorliebe Szenen aus
dem Indianerleben; am liebsten stellte ich die
Vertreibung der Weißen aus Amerika dar. Es
waren gleichsam Illustrationen zu den Texten
der Indianer-Geschichten. Nach der Volksschule
wollte ich gerne eine Anstalt besuchen, die
mich im Zeichnen hätte unterweisen können.
Aber mir fehlte der Mut und die Selbständig-
keit, um mich durchzusetzen, und so schob man
mich zu einem Zuckerbäcker in die Lehre. Es
war mir damals alles wie eine Enttäuschung.
Mein einziges Ziel war nunmehr: weit fort in die
Welt. Mit lö1/^ Jahren begann ich mit meinen
Wanderungen. . . Erst durch Deutschland den
XXVI. November 1922. 3
SCHRIMPF.
»KINDER-
BILDNIS«
GEORG SCHRIMPF.
Dieser junge, bayrische Künstler gehört der
nach-expressionistischen Generation an;
er steht gewissermaßen auf den Schultern Franz
Marc's, dessen Tierbilder seine Anfänge ge-
stimmt haben. Fest gefügt sind seine Kompo-
sitionen, eindeutig ist seine Gegenstands-Wie-
dergabe. Der Tumult des Expressionismus hat
sich bei ihm zu klassizistischer Ruhe beschwich-
tigt. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet steht
er in einer Reihe mit den italienischen Valori-
Plastici-Künstlern, mit Chirico und Carrä, und
mit den Franzosen Picasso, Andre Lhöte, Cou-
bine, Ozenfant und Jeanneret, für deren stili-
stische Haltung Ingres vorbildlich ist.
Was Schrimpf mit den genannten Italienern
und Franzosen verbindet, ist ein neuer Wille
zur Formverfestigung und Gegenständlich-
keit, ein Verzicht auf Valeur-Malerei zu Gun-
sten einer klaren, strengen Zeichnung und einer
vollentwickelten Plastizität. Damit scheint —
wenigstens vorläufig — eine große, schon mit
Tizian einsetzende, über das Barock und Ro-
koko, die französische Romantik und den Im-
pressionismus bis zum Fauvismus und Expres-
sionismus führende malerische Bewegung sich
allmählich in ihr Gegenteil zu verkehren. Die
Mal-Kunst wird wieder „haptisch", nachdem
sie jahrhundertelang „optisch" gewesen ist. . .
Bei Schrimpf fehlt aber im Gegensatz zu den
gleichstrebigen Italienern und Franzosen die
museale, kunsttheoretische Einstellung. Als
Schaffender ist er vollkommen naiv. Den „Zöll-
ner" (Henri Rousseau) ausgenommen, wüßte
ich sicherlich keinen Künstler unter den moder-
nen, der es an kindlicher Unbefangenheit und
Ursprünglichkeit mit ihm aufnehmen könnte.
Als Sohn einfacher Eltern blieb er von den
Einflüssen einer auf Überbildung hinauslaufen-
den Erziehung verschont. Wie sein Leben ver-
lief, hat er selbst einmal in seiner anspruchslosen,
unliterarischen Weise niedergeschrieben:
„Ich bin am 13. Februar 1889 in München
geboren, wo ich auch die Volksschule besuchte.
Als Knabe zeichnete ich, den wilden Völkern
besonders zugetan, mit Vorliebe Szenen aus
dem Indianerleben; am liebsten stellte ich die
Vertreibung der Weißen aus Amerika dar. Es
waren gleichsam Illustrationen zu den Texten
der Indianer-Geschichten. Nach der Volksschule
wollte ich gerne eine Anstalt besuchen, die
mich im Zeichnen hätte unterweisen können.
Aber mir fehlte der Mut und die Selbständig-
keit, um mich durchzusetzen, und so schob man
mich zu einem Zuckerbäcker in die Lehre. Es
war mir damals alles wie eine Enttäuschung.
Mein einziges Ziel war nunmehr: weit fort in die
Welt. Mit lö1/^ Jahren begann ich mit meinen
Wanderungen. . . Erst durch Deutschland den
XXVI. November 1922. 3