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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Michel, Wilhelm: Die Deutsche Gewerbeschau München in Französischem Urteil
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0248

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DIE DEUTSCHE GEWERBESCHAU MÜNCHEN
IN FRANZÖSISCHEM URTEIL.

Im Novemberheft der Pariser Kunstzeitschrift
„ Art et Decoration" gibt Louis Deshairs einen
ausführlichen Bericht über seine Eindrücke von
der „Gewerbeschau". Sein Urteil ist im ganzen
ruhig und besonnen, die Anerkennung zweifel-
los noch etwas gedämpft unter der Nachwir-
kung der großen Haßwelle, aber die Bemänge-
lungen nicht übertrieben, in einigen Punkten
sogar gerechtfertigt.

Der Augenblick, der die Solidarität der Kul-
turvölker gegenüber den höheren Aufgaben und
Leistungen wieder herstellt, ist noch nicht ge-
kommen. Man liegt noch auf der Lauer, man
steckt noch halb in der Rüstung. Und sind wir
auch über den idiotischen Geisteszustand hin-
aus, da es Blätter der Entente für vaterländische
Pflicht hielten, einen treuherzigen Ekel vor
deutscher Gewerbekunst vorzuspiegeln, von
der herzhaften Anerkennung an fremder Lei-
stung ist man noch weit entfernt.

Der französische Bericht stellt zwar fest, daß
der Gedanke der „Gewerbeschau" ein großer
und umfassender Gedanke war, Aufgebot der
künstlerischen Energien eines ganzen Volkes;
aber die Gefühlsbetonung, die dieser Feststel-
lung einer ungeheuren Anspannung unter bösen
äußeren Umständen gebührt, kann er nicht
geben. Er hilft sich durch mit der Anerkennung
von Fall zu Fall, er ist weit entfernt vom um-
fassenden Verständnis dessen, was der Sinn
der Gesamtanstrengung war. „Embellir le decor
de la vie" — das scheint ihm der selbstver-
ständliche Zweck. Aber das Bemühen der
Deutschen gilt einem höheren Ziel als der „Ver-
schönerung der Umgebung des Daseins". Es
ist längst zum Streben geworden, Lebens-Ten-
denzen auszudrücken, Daseinsgefühl darzustel-
len, Zeit und Volkscharakter zu fassen und zu
formen. Eine Zielsetzung also, die den be-
grenzten Verschönerungszweck weit hinter sich
gelassen hat und zum allgemeinen Kunstzweck
aufgestiegen ist. Erst dies gibt die Unterlage
für eine gerechte Beurteilung der deutschen An-
strengung. Ihr gegenüber verharrt die franzö-
sische noch heute in niederem und sehr einge-
schränktem Bezirk, wenn auch nicht ohne Ein-
zelleistungen von Treue, Liebe und Können.

Der französische Bericht rühmt vor allem die
Mannigfaltigkeit der Gruppierung und der Zu-
sammenarbeit, er hebt als beherrschenden Ein-
druck den einer allgemeinen regsamen Tätigkeit

hervor. Indem er das Fehlen neuer baulicher
Schöpfungen bedauert, sagt er, daß gerade in
der Baukunst, die die Lebenskraft eines Volkes
spiegele, der deutsche Geist seit zwanzig Jahren
sich am mächtigsten offenbart habe. Immerhin
gilt ihm die „Dombauhütte" als eine sehr fes-
selnde Konstruktion, und die billigen Land-
häuser bezeichnet er als äußerst anziehend,
sinnreich im Grundriß, sorgsam in der Raum-
ausnützung, sehr komfortabel und reich an
künstlerisch wertvollen Einzelheiten; auch wer-
den die feinen Harmonien der Farben hervor-
gehoben. Die Bemängelung, daß sie bei alldem
Idealtypen und hübsche Phantasien seien, an
denen die Zeit und die Notwendigkeiten des
Tages zu wenig mitgearbeitet hätten, kommt
aus einer ganz falschen Richtung; Häuser sol-
cher Art stehen in Deutschland schon massen-
haft, und was Zeit und Gebrauch mit sich brin-
gen, sind Naturreize, die kein Architekt dem
neuen Objekt mitgeben kann.

Der Ausstattung der großen Hallen wird
volles Lob gezollt, besonders der Verwendung
von Stoffen für den oberen Abschluß. Für den
französischen Geschmack ist es bezeichnend,
daß ihm der liebenswürdig und ansprechend
aufgemachte Bazar von R. Schulz (Berlin) bei
weitem am meisten zusagt. Die Durchwande-
rung der einzelnen Abteilungen ergibt alsdann
eine hohe Anerkennung für das deutsche
Buch insgesamt. Die keramische Abteilung
scheint dem Berichterstatter die einzige zu sein,
die zu einem ungünstigen Vergleich mit franzö-
sischen Leistungen führt; doch wird auch hier
der große Reichtum der Formen und Materia-
lien gerühmt. Ablehnung erfährt die Vorliebe
für keramische Formen der Vergangenheit. Sie
geht ja in der Tat bei uns sehr weit, das muß
zugegeben werden, wenn schon wir den ge-
heimen Untergedanken des Franzosen: moder-
nes Gewerbe müsse vor allem ein Suchen nach
nie dagewesenen Formen sein — nicht unbe-
dingt akzeptieren können. Den „entzückenden
Figuren" von Wackerle, Meisel und Storch
wird gleichwohl zugestanden, daß sie eine alte
Überlieferung mit modernem Empfinden wie-
der aufnehmen.

Andere Abteilungen werden hauptsächlich
durch Stichproben namhaft gemacht, so z. B.
die Glasmalerei, die Metallbearbeitung,
die Gläser, Tapeten, Stoffe, die Medail-

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