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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Kurth, Willy: Kleinplastik von Renée Sintenis
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0289

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renke sintenis—berlin.

kleinplastik »liegendes pferd«

KLEINPLASTIK VON RENEE SINTENIS.

Von der „Erfindung" eines Kunstwerkes hört
man heute wenig reden. Das Wort hat in
der ästhetischen Urteilssprache einen dilettan-
tischen Beigeschmack bekommen. Allerorts
tönt es: Problem. Vor den neuen Arbeiten der
Renee Sintenis empfinden wir wie bei den
früheren, daß das gesteltzte Pathos jener mo-
dernen Terminologie nicht am Platze ist. So
klar die plastische Vorstellung auch auf ein zu-
sammenhängendes Ganzes hinarbeitet, würde
man doch mit diesen künstlerischen Willens-
kräften nicht die Melodie ihrer Gestaltungen
erklingen hören. Hier eben ist das altmodische
Wort Erfindung mehr im Recht. Zu sinnlich
naiv ist der Anlaut des Erlebens, zu frohgemut
die Hingabe an die lebendige Erscheinung. Im-
mer wieder ist es der Reiz der Situation, der
uns umfängt. Mehr als Gaul, zieht sie die Um-
welt des Tieres in seine Form mithinein. Mag
im Liegen des jungen Pferdes die Rhythmisie-
rung der Glieder in die Form des Dreiecks mit
der Spitze im Kopf des Tieres meisterhaft und
echt plastisch gelungen sein, der Reiz der Er-
scheinung, eben jene unmittelbare Situation
eines Lebens ist damit nicht erklärt. Weniger
als der Charakter der Form wie bei Gaul, ist
es hier die Bildhaftigkeit der künstlerischen
Vorstellung, die entzückt. Mit diesen Werten

mag das malerische Moment in dieser plasti-
schen Form bezeichnet sein. Daß die Künst-
lerin aber ohne jedes Motiv, das außerhalb der
plastischen Erscheinung liegt, diese Empfindung
schafft, nirgends in die genrehafte Pointe ver-
fällt, beweist die Reinheit der plastischen Ver-
anlagung. Die Situation ist eindeutig durch die
Form allein. Recken der Hälse und Zurück-
legen des Halses bleibt nicht Motiv, sondern
Exponent einer Formenstimmung, die den gan-
zen Körper bis in die Ferse durchklingt. Das
Problematische enihüllt sich hier als ein offener,
heiterer Trieb, unbeschwert von den Lasten der
„Idee der plastischen Form". Wie das Spiel
des Umrisses in der Innenform nachklingt hat
dann seinen besonderen Reiz. Im bewegten
Fluß tritt die Innenform an die Oberfläche, die
Bewegung gleichsam weiterführend. In dieser
Bewertung der ganzen Erscheinung liegt das
eigentlich Materialistische dieser Formenspra-
che, nicht im Ausdeuten kleiner Oberflächen-
werte der Fellcharakteristik oder in kunstge-
werblicher Stilisierung des Materials. Jedenfalls
könnte man sich nicht leicht ein anderes Mate-
rial als Bronze dafür denken. So könnte auch
die menschliche Erscheinung neue Erfindungen,
neue Melodien erhalten, wofür die abgebildete
Figur bemerkenswerte Ansätze zeigt, w. kurth.

XXVI. Februar 1923 . 4*
 
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