Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Gartenkunst — 12.1910

DOI Artikel:
Groddeck, Georg: Heimatschutz und Naturschutz, [1]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.22776#0092

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
84

DIE GARTENKUNST.

XII, 5

und müssen. Denn nur inmitten der Natur, im Verkehr mit
der Erde bleibt der Mensch lebensfähig.

In meinem Wohnsitz Baden-Baden wurde vor einigen
Monaten ein Vortrag über Kinderarbeit gehalten, über das
Elend, das allenthalben die Heimarbeit mit sich bringt. Ich
habe mir damals die Frage erlaubt, was denn dagegen ge-
schehen solle. Eine Antwort habe ich darauf nicht erhalten,
denn der Hinweis auf das Gesetz ist keine Antwort. Das
Gesetz kann nur wirken, wenn es schon im Denken der All-
gemeinheit lebendig ist, wenn es den allgemeinen Willen
formuliert. Ich habe mich mit der eigenen Antwort begnügen
müssen, daß man, da die Heimarbeit auf dem Lande immer
noch besser sei, als die in der Stadt, Land ankaufen solle,
um die Menschen dort anzusiedeln, und ich habe es als
wünschenswert hingestellt, daß jeder Deutsche soviel Erde
sein Eigen nenne, als er selbst mit Weib und Kind bebauen
kann. Man hat mir dann das Zeugnis ausgestellt, daß ich
sozialdemokratischer denke, als die Sozialdemokraten selbst.
Ich bezweifle das gar nicht. Nur denke ich auch richtiger
als die Sozialdemokratie. Denn ich bilde mir nicht ein, daß
es tunlich oder zweckmäßig ist, jedem Menschen die Möglich-
keit gleicher geistiger oder körperlicher Ausbildung zu geben.
Es gibt mehr unfähige Menschen als fähige und die seelisch
oder geistig Unfähigen sinken immer nach unten, selbst wenn
sie die beste Erziehung genossen haben und die größeren
Reichtümer besitzen, ja dann erst recht. Aber ich bilde mir
allerdings ein, daß eine Kolonisation des deutschen Landes
durch deutsche Bürger möglich ist, ich bilde mir allerdings
ein, daß jedem Deutschen, nicht etwa jedem, der als italienischer
Erdarbeiter oder dergl. in unsere Heimat eingedrungen ist,
ein eigenes Heim geschaffen werden könnte. Ja, ich gehe
darin noch viel weiter, ich sage, daß es geschehen muß, daß
es das Allernotwendigste ist. Denn ich wiederhole es, nur
aus der Erde wächst die Kraft des Menschen, und wer die
Erde verläßt, der geht unter, er oder seine Nachkommen.
Und jetzt knüpfe ich an das an, was ich oben von den Städten
sagte: wer in der Stadt lebt, dessen Geschlecht stirbt nach
drei oder vier Generationen aus, mag er reich oder arm sein.

Das ist eine Tatsache, die man immer und immer wieder-
holen muß, bis jeder sie kennt wie das Einmaleins. Genau so
wie jene Tatsache, die der Sonnenstrahl für jedes eigene
Elend ist, daß nach längerer oder kürzerer Zeit, meist auch
im Verlauf weniger Generationen, das Geschlecht der Menschen,
die jetzt auf der Höhe des Lebens wandeln, in die Tiefen des
Volkes versunken ist, während die Nachkommen derer, die
heute mühsam mit ihrer Hände Arbeit sich und die Ihrigen
vor dem Hunger schützen, dann oben stehen.

Wer da hoch stehet, der soll erniedrigt werden, das ist
so in der Welt. Wo sind die Hohenstaufen geblieben, wo die
Cäsaren des römischen Reiches, wo die Völker der Griechen
und Römer? Wo sind die Nachkommen Luthers oder Goethes
oder Kants? Wo ist der Stamm Raffaels oder Michelangelos?
Der alte Fritz starb kinderlos, Alexander der Große starb so,
Cäsar ebenso, Napoleons Geschlecht erlosch mit ihm.

Und nun die Gegenrechnung: Krupp stammt aus der
Tiefe des Volks, Goethes Großvater war ein kleiner Gastwirt,
Luthers Vater ein Bergmann, Schillers Vorfahren waren
Tischler. Das Rad der Geschichte dreht sich, was oben war,
wird unten, was unten liegt, kommt oben auf.

Mancher wird das einen schlechten Trost nennen, diesen
Zukunftstrost auf den Tag, den er selbst nicht mehr erlebt.
Sie haben auch ganz recht: der Hunger plagt deshalb nicht
weniger. Aber man sollte doch denken, es sei ein guter Trost,
zu wissen daß einmal ein Tag kommt, wo der Enkel oder
der Urenkel die Frucht erntet, die der einfache Arbeiter heute
sät. Hier liegt eine Hoffnung, heller als jede, die sonst ge-
boten werden kann.

Denn selbst etwas zu sein, ist gewiß schön, aber den •
Wenigsten ist es beschieden. Wir, die wir keine weltgeschicht-
liche Bedeutung haben, wir müssen uns mit der Hoffnung
begnügen, daß in unseren Nachkommen die Größe ruht, und

soweit wir aus alten verbrauchten Geschlechtern stammen,
uns mit der Gewißheit abfinden, daß es bald bergab mit
unserer Herrlichkeit gehen wird. Das ist ein Trost, mehr
noch, das ist eine Gewißheit.

Doch ich schweife von meinem Thema ab und mache
Sie ungeduldig. Ich sprach von den großen Städten und ihrem
verhängnisvollen Einfluß, ich sprach davon, weil Sie hier das
größte Gebiet des Heimatschutzes vor sich haben. Denn was
soll der Heimatschutz, solange wir alle keine Heimat mehr
haben. Wir haben keine Heimat mehr, wir modernen Menschen
sind wieder Nomaden geworden, die ohne festen Sitz im Lande
umher wandern, bald hierhin, bald dorthin geschleudert werden.
Wir wohnen zur Miete und den Wenigen, die noch Grund
und Boden, eine Heimat besitzen, denen wankt dieser Boden
unter den Füßen. Mit dem Schaffen der Heimat, damit be-
ginnt der Heimatschutz.

Sie sehen, ich knüpfe an das an, was man neuerdings
Bodenreform zu nennen pflegt. Sie gehört im eigentlichen
Sinne in den Bereich meines Vortrages, und es war berechtigt,
wenn ich den Wunsch, daß jeder Deutsche ein eigenes Be-
sitztum haben möge, als ersten der zahlreichen Wünsche des
Heimatschutzes aussprach.

Sogleich fällt Ihnen aber auch ein, daß das Heim, soll es
dem Menschen wirklich Kraft und Ercmickung geben, heimisch
sein muß, und da finden Sie nun den Ubergang zu dem zweiten
Wort meines Themas, zu dem Naturschutz. Denn was anders
gibt wohl das Gefühl des Heimischen als die Natur?

Der Mensch ist ein Teil des großen Ganzen, er lebt mit
seiner Seele, mit seinem Kern, mit seinem Innersten von dem,
was um ihn ist; er lebt in Gemeinschaft mit Bach und Fels,
mit Baum und Strauch, mit Tier und Gras. Nur im Verkehr
mit der Natur entsteht die Dichtung, die Kunst. Im Anblick
der Natur ist zuerst gedacht worden, alle Philosophie ist daraus
entstanden, der Natur haben wir unsere Maschinen nach-
gebildet. Alles, was der Mensch geschaffen hat, hat er er-
funden im Anblick der Natur, im Umgang mit dem lebendigen
Gott. Alle menschliche Größe hängt von den Eindrücken ab,
die die Natur dem Menschen gibt.

Wahrhaftig, er hat Ursache, sich diese Eindrücke rein zu
erhalten, er hat die Pflicht dazu. Denn alle inneren Werte,
Liebe, Schönheitssinn, Tapferkeit, Arbeitskraft, Religiosität,
Freundschaft, Ehe und Kindesliebe hängen davon ab, und
diese Werte stehen höher als das Geld. Sie sind dem Menschen
auch näher als das Geld. In allen Momenten Ihres Lebens,
die wahrhaft gut waren, haben Sie nicht an Geld gedacht,
weder in ihrer Kindheit, wo Sie nach den Schmetterlingen
griffen, noch in Ihrer Jugend, als Sie Ihr Mädchen liebgewannen,
noch in den Tagen der Kraft, wo sie Ihre Arme mit Lust
wiegten und fühlten: Ich bin ein Mann und was ich tue, tue
ich gut, noch endlich als Greis, als das Verständnis Ihnen kam
für Sonnenaufgang und Sonnenuntergang und für das, was
zwischen beiden liegt.

Gewiß, es fehlt uns nicht an Stunden der Verzagtheit,
wo unsere Seele nach Geld schreit, wo wir unter der Not
oder der Angst vor der Not zusammenbrechen und nichts
anderes denken als Geld. Aber wenn es uns der Zufall
schenkt, macht uns das Geld etwa froh? Nein, es ist immer
der Gedanke: Jetzt kann ich die Meinen kleiden, jetzt brauchen
sie nicht zu entbehren. Oder auch: Das ist der Anfang, die
Grundlage zum Wohlstand, das wird mir helfen, meinen
Kindern eine Stellung in der Welt zu geben. Und ich bin es,
der sie hinaufführt. Das macht uns froh, das Gefühl, vorwärts
zu kommen, unserem Geschlecht vorwärts zu helfen. Nicht
das Geld an sich ist es, der Gedanke an die Zukunft ist es,
der das Geld wertvoll macht, der Gedanke an die, die uns
nahe stehen, die wir emporführen wollen. Unsern Kindern,
in denen wir die Zukunft vor uns sehen, mehr zu geben, als
wir selbst besaßen, das ist die Triebkraft unsers Lebens.

Wie töricht aber, wenn wir ihnen, in dem Eifer ihnen
mehr zu geben, das Beste nehmen. Wenn wir ihnen den
Anblick der Sonne rauben durch himmelhohe Häuser, wenn
 
Annotationen